Wirtschaftlicher Erfolg und ethische Standards für Lieferketten schliessen sich nicht aus
Schaden neue Gesetze zur Sorgfaltspflicht gegenüber Zulieferern der
Wirtschaft, wie Wirtschaftskreise zuweilen behaupten? Zwei Forschende der
Universitäten Zürich und Glasgow haben Firmendaten von über 11'000
französischen Unternehmen untersucht und keine langfristigen ökonomischen
Nachteile für betroffene Betriebe gefunden.
Internationale NGOs fordern von den Unternehmen, ihre Lieferketten in
Bezug auf die Menschenrechte und Umweltstandards zu überprüfen. Nur so
kann sichergestellt werden, dass Zulieferbetriebe keine Kinder- oder
Zwangsarbeit dulden, keine Umweltsünden begehen oder es mit der Sicherheit
ihrer Mitarbeitenden nicht so genau nehmen. 2013 etwa starben über tausend
Menschen beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch, die für
europäische Modefirmen wie Mango, C&A, Primark oder KIK produzierte.
Als Reaktion auf solche Missstände in Produktionsstätten haben europäische
Länder wie Frankreich oder Deutschland die unternehmerische
Sorgfaltspflicht bei Lieferketten rechtlich geregelt. Die EU
verabschiedete im Jahr 2024 eine Richtlinie dazu. In der Schweiz gilt seit
2022 eine Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz in Bezug auf
Mineralien und Metalle aus Konfliktgebieten sowie auf Kinderarbeit.
Lieferkettengesetz in Frankreich seit 2017 in Kraft
Obwohl sie grundlegende Menschenrechte und Umweltstandards schützen
sollen, stehen diese Gesetze zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht in der
Kritik. Aus Wirtschaftskreisen wird häufig bemängelt, dass sie mit
übermässiger Bürokratie und hohen Kosten verbunden seien. Doch schaden sie
tatsächlich den Unternehmen? Dieser Frage sind Christoph Steinert, Postdoc
an der Universität Zürich und Bernhard Reinsberg von der Universität
Glasgow nachgegangen.
In ihrer Studie haben sie das französische Lieferkettengesetz aus dem Jahr
2017 systematisch untersucht. Es ist das einzige derartige Gesetz, das
lange genug in Kraft ist, dass daran langfristige Effekte analysiert
werden können. Von den Vorgaben betroffen sind alle französischen
Unternehmen samt Tochtergesellschaften mit über 5‘000 Angestellten sowie
solche mit über 10‘000 Angestellten, die ihren Hauptsitz in Frankreich
oder im Ausland haben. Sie müssen in ihrer Geschäftspraxis einen
Sorgfaltsplan verankert haben, der sämtliche Aktivitäten der Firma
inklusive Subunternehmen und Zulieferer in Bezug auf Menschenrechte,
Gesundheit, Sicherheit und Umwelt regelt.
Keine negativen Auswirkungen auf Gewinn und Umsatz
Die statistischen Analysen der Daten von mehr als 11’000 französischen
Firmen zeigen, dass das Lieferkettengesetz keine negativen Auswirkungen
auf Gewinn und Umsatz der Unternehmen hatte. Dafür wurden insbesondere die
Indikatoren von Firmen knapp über und unter der gesetzlichen Grenze von
5'000, respektive 10'000 Mitarbeitenden im Zeitverlauf verglichen. «Die
vom Gesetz betroffenen Unternehmen haben im Durchschnitt genauso häufig
Profite erzielt, wie solche, die keine unternehmerische Sorgfaltspflicht
einführen mussten», erklärt Christoph Steinert vom Institut für
Politikwissenschaft der Universität Zürich. Einzig in der Phase vor dem
Inkrafttreten des Gesetzes seien zum Teil höhere Unternehmenskosten
erkennbar gewesen, weil gewisse Anpassungen gemacht werden mussten. «Es
gibt jedoch keine Evidenz für langfristige und weitreichende negative
ökonomische Effekte», so Steinert.
Weiter zeigen die Forschenden auf, dass das nationale Lieferkettengesetz
die französischen Unternehmen nicht davon abhält, sich zusätzlich
freiwilligen Initiativen wie der UN Global Compact anzuschliessen. Deren
zehn Nachhaltigkeitsprinzipien regeln global die grundlegende
Sorgfaltspflicht in den Bereichen Menschenrechte, Arbeit, Umwelt und
Korruptionsbekämpfung.
Ergebnisse widersprechen dem Narrativ der Wirtschaftslobby
Insgesamt widersprechen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse dem Narrativ
der Wirtschaftslobby, wonach Gesetze zu unternehmerischen
Sorgfaltspflichten in Lieferketten zwangsläufig wirtschaftlich schädlich
seien. «So hat etwa auch der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz die
baldige Abschaffung des deutschen und des europäischen
Lieferkettengesetzes angekündigt», hält Steinert fest. Das Beispiel des
französischen Gesetzes zeige jedoch, dass es möglich sei, wirtschaftlichen
Erfolg mit dem Schutz grundlegender Menschenrechte und Umweltstandards zu
vereinen.