"Gute Raumplanung sichert qualitätsvolle Raumentwicklung" - Stellungnahme des Präsidiums der ARL
Am 18. Juni 2025 hat die Bundesregierung den so genannten „Bauturbo“
beschlossen, eine Gesetzesinitiative zur Beschleunigung des Wohnungsbaus
und zur Wohnraumsicherung (Bundesregierung, 18.6.2025). Die neue
Gesetzgebung soll am 7. Juli in den Bundestag eingebracht werden.
Die vorgesehenen Änderungen am Baugesetzbuch, u. a. die Einführung des
neuen § 246e, sollen den Wohnungsbau auch dort erleichtern, wo die
bisherigen Vorschriften dies nicht vorsahen. Das Hauptziel der Initiative
ist, einen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot zu leisten, vor allem
durch Erleichterung und Beschleunigung der Wohnungsproduktion. Der
Wohnungsmangel wird in Deutschland zu Recht als erhebliches
gesellschaftliches Problem angesehen, und die Klagen über langwierige
Planungs- und Genehmigungsverfahren haben an Intensität und Häufigkeit
zugenommen.
Allerdings ist strittig, ob die vorgesehenen Maßnahmen zur Beschleunigung
tatsächlich durchgreifende Verbesserungen erwarten lassen. Zugleich
spricht viel dafür, dass die Beschleunigung eine Reihe von Nachteilen und
Risiken mit sich bringt. Fachverbände der Stadtplanung und des Städtebaus
wie die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL,
27.6.2025) oder die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung
(SRL, 18.6.2025) haben sich daher bereits kritisch zur Gesetzesnovelle
geäußert. Vor allem die mit der Einführung des § 246e BauGB einhergehende
Außerkraftsetzung „elementarer Grundsätze des Baugesetzbuches“ (DASL) wird
als kritisch für eine geordnete städtebauliche Entwicklung gesehen. Sie
würde ein „Genehmigungsrecht ohne Bezug auf vorhandenes Planungsrecht“
(ibid.) einführen. Der Preis, der für eine Planungsbeschleunigung
entrichtet werden muss, ist offenkundig hoch.
Die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) teilt
diese Kritik. In Ergänzung zur baurechtlichen Problematik der vorgesehenen
Beschleunigungsmaßnahmen wollen wir vor allem aus einer überörtlichen
Sicht auf einige weitere Konfliktfelder hinweisen, die die Gesetzesnovelle
für die Entwicklung der Städte, Gemeinden und Regionen insgesamt mit sich
bringt.Dies konkretisieren wir wie folgt:
- Erstens ist es nicht zielführend, wenn in der öffentlichen Debatte die
Raumplanung einseitig für die Verzögerung der wohnbaulichen Entwicklung
verantwortlich gemacht wird. Bei näherer Betrachtung der vorgebrachten
Kritik geht es vor allem um materielle Vorgaben und verbindliche Standards
für das Bauen einschließlich der erforderlichen Prozesse. Die
Planungsprozesse setzen sich jedoch aus verschiedenen Elementen zusammen
und werden von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, wie Angebot und
Nachfrage nach Grundstücken, Investitionskapital, Interesse der künftigen
Nutzer, Inflation und nicht zuletzt Bodenspekulation. Die These, dass die
Verantwortung für den Wohnungsmangel in erster Linie bei der
städtebaulichen Planung liege, ist u. E. nicht durch empirische Belege
gestützt.
- Zweitens sehen wir mit Sorge, dass die Bauturbo-Entscheidung nur ein
Teil eines größeren Trends ist, der die räumliche Planung grundsätzlich in
Frage stellt. Er untergräbt die breite Akzeptanz der Planung und stellt
rechtliche Verfahren in Frage, die für eine qualitätsvolle Entwicklung des
Raums unerlässlich sind, wie die Begrenzung des bebaubaren Raums oder die
Bindung von Baugenehmigungen an bauplanungsrechtliche Voraussetzungen.
Beispielsweise ist es ein klares Qualitätskriterium für Wohnquartiere,
wenn in unmittelbarer Nachbarschaft unbebaute Grünräume für Kinderspiel
und Naherholung zur Verfügung stehen. Im Sinne der Anpassung an
Klimaveränderungen und der Biodiversität sollten diese in regionale
Grünzüge bzw. Freiraumverbünde integriert werden. Die planungskritische
Stimmung geht aber noch darüber hinaus und betrifft auch benachbarte
Politikfelder. In Bereichen wie der Umweltpolitik (Luftqualität,
Wasserpolitik, Naturschutz) und der Mobilitätspolitik ist zunehmender
politischer Dissens zu beobachten. Es besteht Anlass zur Vermutung, dass
räumliche Planung im Grundsatz in Frage gestellt wird, ohne dass die
zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konflikte konstruktiv gelöst würden.
- Drittens muss das Versprechen, durch eine beschleunigte Entwicklung mehr
Wohnungen zu bauen, im Kontext der zentralen Limitationen des
Wohnungsmarkts gesehen werden. Hierzu gehören nicht nur planungsrechtliche
Bestimmungen, sondern mangelnde Verfügbarkeit von gewidmeten Bauflächen,
Finanzierungsfragen etc. Zudem wird auch eine verstärkte Bautätigkeit die
strukturellen Hauptprobleme, mit denen der Wohnungsbau unter den
derzeitigen Marktbedingungen auf dem Bausektor konfrontiert ist, nicht
lösen. Ohne eine passgenaue Regulierung und Förderung sowie eine
verstärkte Aktivität öffentlicher Akteure wird vor allem bezahlbarer
Wohnraum weiterhin fehlen. Zugleich warnen wir davor, die mit der
Errichtung nicht integrierter Stadtquartiere im großen Stil verbundenen
Probleme (fehlende Infrastruktur, schwierige Anbindung) zu ignorieren.
- Viertens dürfte klar sein, dass die Umgehung von Planungsverfahren bei
weitem nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen wie einer
Beschleunigung des Entwicklungsprozesses und einer besseren Akzeptanz der
Ergebnisse führen wird. Oft dürfte das Gegenteil der Fall sein. Solange
Nachbarn und Betroffene Rechtsmittel gegen Entwicklungsprozesse einlegen
können, wird sich in der Sache wenig ändern. Der einzige Unterschied
besteht darin, dass sich bei erforderlicher, aber fehlender oder
schlechter Planung der Streitpunkt vom Planungsprozess auf die Ebene der
Zulassungsentscheidung oder der der Gerichte verlagert, was zu
langwierigen (und kostspieligen) Streitigkeiten führen kann. Dies wird mit
der Ausschaltung der Planung weder besser und schneller noch effektiver
sein, weil die Konflikte damit ja nicht aufgelöst sind. Es steht zu
erwarten, dass die ohnehin überlastete Verwaltungsgerichtsbarkeit mit
zusätzlichen Anfechtungsklagen gegen Bauvorhaben, deren Zulässigkeit ja
zumeist auch nicht mehr Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzes sein
kann, zu rechnen hat.
- Fünftens schließlich signalisiert die neue Gesetzgebung auch die Absicht
der Bundesregierung, ihre eigenen flächenpolitischen Ziele (bundesweit
Reduzierung des Flächenverbrauchs auf 30 Hektar/Tag, ursprünglich bis
2020, aktuell bis 2030) sowie die von der Europäischen Union formulierte
Zielsetzung zur deutlichen Reduzierung des Flächenverbrauchs (Netto-Null
Flächenverbrauch bis 2050) aufzugeben. Da der § 246e BauGB-E kaum noch
einschränkende Voraussetzungen (angespannter Wohnungsmarkt, Wohngebäude
mit mindestens sechs Wohnungen) enthalten soll, ist zu erwarten, dass
weiterhin auch für die Schaffung von Wohnraum wenig effektive
flächenintensive Wohnbauvorhaben – übrigens auch in strukturschwachen
Regionen – verwirklicht werden. Diese Fehlentwicklungen haben schließlich
bereits zur endgültigen Abschaffung des § 13b BauGB (Einbeziehung von
Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren) geführt. Des Weiteren
sind ohne jegliche Planung auch freiraumschützende Festlegungen zur
Mehrfachnutzung von Flächen nicht umsetzbar. Dies ist ein sehr
problematisches Signal aus Sicht des Freiflächenschutzes und der allgemein
anerkannten Notwendigkeit zur Herstellung von Klimaresilienz und Förderung
der Biodiversität.
- Sechstens unterläuft die beschleunigte Bautätigkeit Ziele der
Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft und des Klimaschutzes, da sie
meist auf Neubau statt auf Umbau und Bestandserhalt setzt. Dies führt zu
hohem Ressourcenverbrauch, grauen Emissionen und unzureichender
Wiederverwertung von Baumaterialien. Um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen,
braucht es einen grundsätzlichen Wandel hin zu zirkulärem,
flächensparendem und klimaorientiertem Bauen.
Die Rede vom Bauturbo suggeriert, man könne die Vorbereitung der
Bautätigkeit beliebig und ohne Nachteile beschleunigen. Dies halten wir
für eine Illusion. Vielmehr dürfte der Wegfall transparenter
Planungsverfahren dazu führen, dass der gesellschaftlich gebotene
Ausgleich zwischen unterschiedlichen Belangen und Interessen, der
üblicherweise im Planungs- und Beteiligungsverfahren erfolgt, nicht mehr
möglich ist. Die Folge sind aufgestaute Konflikte und eine noch höhere
Klagebereitschaft. Planung und Politik dürften gegenüber populistischen
Diskursen weiter an Boden verlieren. Tatsächlich wird in dieser
gesellschaftlichen Gemengelage nicht weniger, sondern mehr und vor allem
bessere Planung benötigt.
Elemente einer solchen Planung sind klar formuliert und finden sich in
vielen programmatischen Erklärung der Planungspraxis, -forschung und
Politik auf kommunaler Ebene wie bei Bund und Ländern sowie der
Europäischen Union. Es ist fachlich weitgehend Konsens, dass die
Qualitätsziele einer nachhaltigen Stadt- und Raumplanung gerade in
scheinbar schwierigen Zeiten Bestand haben sollten. Grundsätze wie Innen-
vor Außenentwicklung, Erhaltung regionaler Grünzüge, sorgfältige Abwägung
im Planungsprozess sowie die Verbesserung der Konfliktlösungsfähigkeiten
müssen im Sinne einer lebenswerten gebauten und natürlichen Umwelt sowie
des Vertrauens in die Demokratie weiterhin Geltung haben.
(Stand der Stellungnahme: 07.07.2025)
Prof. Dr. Axel Priebs (Präsident)
Prof. Dr. Antje Bruns (Generalsekretärin)
Prof. Dr. Susan Grotefels (Vizepräsidentin)
Prof. Dr. Markus Hesse (Vizepräsident)
Prof. Dr. Jochen Monstadt (Vizepräsident)
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Die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) ist
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