Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen: Kaum mehr unter 1.000 Euro im Monat
Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen: Kaum mehr unter 1.000 Euro im
Monat – Fachkräftemangel führt in vielen Tarifbranchen zu
überdurchschnittlichen Erhöhungen Nach einer erneut kräftigen Erhöhung der tarifvertraglichen
Ausbildungsvergütungen im Ausbildungsjahr 2024/25 um 6,4 Prozent
(ungewichteter Durchschnitt der hier berücksichtigten Tarifbereiche; siehe
unten) gibt es nur noch sehr wenige Branchen, in denen Auszubildende im
ersten Jahr laut Tarifvertrag weniger als 1.000 Euro im Monat erhalten.
Dies zeigt eine aktuelle Studie über 20 ausgewählte Tarifbranchen, die das
Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)
der Hans-Böckler-Stiftung heute vorlegt.*
„Mit den Tarifverträgen sichern die Gewerkschaften den Auszubildenden ein
Einkommen, das in der Regel mindestens dem Bafög-Höchstsatz für
Studierende von derzeit 992 Euro entspricht,“ sagt der Autor der Studie
und Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Damit wird
dem Anspruch vieler Auszubildender nach einer von den Eltern unabhängigen
Existenzsicherung Rechnung getragen.“ Problematisch ist die Situation
hingegen in Bereichen, in denen keine Tarifverträge existieren. „Hier
erhalten die Auszubildenden oft lediglich die viel zu niedrige
Mindestausbildungsvergütung von 682 Euro im Monat“, so Schulten. Der
Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb, dass die
Mindestausbildungsvergütung mindestens auf 80 Prozent der
durchschnittlichen tarifvertraglichen Vergütungen angehoben werden soll,
was derzeit 834 Euro im Monat entsprechend würde.
„Unter den Engpassberufen, in denen Fachkräfte fehlen, sind längst auch
etliche Ausbildungsberufe“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die
wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Eine Stärkung der Tarifbindung ist
ein wichtiger Beitrag, um die Fachkräftebasis von morgen zu sichern.“
Große Niveauunterschiede bei den Ausbildungsvergütungen nach Branche,
Region und Ausbildungsjahr
Die Ausbildungsvergütungen werden normalerweise im Rahmen der regulären
Tarifverhandlungen zusammen mit den Entgelten der Beschäftigten
verhandelt. Je nach Branche, Region und Ausbildungsjahr zeigen sich bei
den tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen große Niveauunterschiede.
Insgesamt reicht die Spannbreite in den hier untersuchten Tarifbranchen
von 710 Euro im Monat im ersten Ausbildungsjahr im Friseurhandwerk in
Nordrhein-Westfalen bis zu 1.650 Euro im Monat im vierten Ausbildungsjahr
für gewerbliche Auszubildende im westdeutschen Bauhauptgewerbe.
Die Unterschiede bei den tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen zeigen
sich bereits im ersten Ausbildungsjahr (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-
Version dieser PM; Link unten). In der Mehrzahl der hier untersuchten
Tarifbranchen liegen die Vergütungen mittlerweile (deutlich) über 1.000
Euro pro Monat. Lediglich in drei Tarifbranchen werden im ersten
Ausbildungsjahr noch Vergütungen unterhalb von 1.000 Euro gezahlt. Diese
sind die Landwirtschaft, Bezirk Nordrhein (855 Euro) und Mecklenburg-
Vorpommern (906 Euro), die Floristik in Westdeutschland (900 Euro) und das
Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen (710 Euro).
Die höchsten monatlichen Ausbildungsvergütungen mit Beträgen oberhalb von
1.200 Euro werden im ersten Ausbildungsjahr in folgenden Branchen gezahlt:
- Pflegeberufe im Tarifbereich des Öffentlichen Dienstes bei Bund und
Kommunen mit 1.416 Euro und bei den Ländern mit 1.381 Euro
- Privates Bankgewerbe mit bundeseinheitlich 1.350 Euro
- Öffentlicher Dienst bei Bund und Kommunen mit bundeseinheitlich 1.293
Euro und bei den Ländern mit 1.237 Euro
- Deutsche Bahn AG mit bundeseinheitlich 1.275 Euro
- Textilindustrie in Baden-Württemberg mit 1.270 Euro
- Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg mit 1.267 Euro und in
Sachsen mit 1.234 Euro
- Süßwarenindustrie in Ostdeutschland mit 1.227 Euro
- Versicherungsgewerbe mit bundeseinheitlich 1.205 Euro
- Chemische Industrie im Tarifbezirk Nordrhein mit 1.204 Euro
In etwa der Hälfte der hier untersuchten Tarifbranchen liegt die
Ausbildungsvergütung zwischen 1.000 und 1.200 Euro pro Monat. Hierzu
gehören das Backhandwerk, das Bauhauptgewerbe, die Druckindustrie, der
Einzelhandel, das Gastgewerbe, die Gebäudereinigung, die Holz und
Kunststoff verarbeitende Industrie, das Kfz-Handwerk und das Private
Verkehrsgewerbe. Hinzu kommen für das ostdeutsche Tarifgebiet die
Chemische Industrie sowie für Nordrhein-Westfalen die Süßwarenindustrie.
In lediglich sieben der vom WSI untersuchten Tarifbranchen existieren
bundesweit einheitliche Ausbildungsvergütungen, darunter das Backhandwerk,
das Private Bankgewerbe, die Druckindustrie, die Deutsche Bahn AG, das
Gebäudereinigungshandwerk, der Öffentliche Dienst und das
Versicherungsgewerbe.
In zwölf Tarifbranchen bestehen teilweise nach wie vor Unterschiede im
Niveau der Ausbildungsvergütungen zwischen den west- und den ostdeutschen
Tarifgebieten. Den größten Unterschied gibt es mit einer Differenz von 220
Euro in der Textilindustrie sowie in der Floristik mit 218 Euro. In den
übrigen Branchen variieren die Ost-West-Unterschiede zwischen 12 Euro in
der Chemischen Industrie und 135 Euro im Gastgewerbe. Im privaten
Verkehrsgewerbe, in der Landwirtschaft und in der Süßwarenindustrie liegen
die ostdeutschen Ausbildungsvergütungen mit 50,51 und 76 Euro oberhalb des
Niveaus in Westdeutschland.
Die erheblichen Unterschiede zwischen den Branchen setzen sich auch im
zweiten und dritten Ausbildungsjahr fort. So variieren die
Ausbildungsvergütungen im zweiten Ausbildungsjahr zwischen 830 Euro, die
im Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen gezahlt werden, und 1.477 Euro
für die Auszubildenden in der Pflege bei Bund und Kommunen (Tabelle 1 in
der pdf-Version).
Im dritten Ausbildungsjahr liegen die Unterschiede zwischen 955 Euro im
Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen und 1.578 Euro für die
Auszubildenden in der Pflege bei Bund und Kommunen. Mit Ausnahme des
Friseurhandwerks und der Landwirtschaft (Nordrhein) liegen im dritten
Ausbildungsjahr mittlerweile alle Ausbildungsvergütungen oberhalb von
1.000 Euro.
In elf der hier ausgewerteten Branchen existiert darüber hinaus auch eine
Vergütung für ein viertes Ausbildungsjahr. Die höchste
Ausbildungsvergütung wird dann mit 1.650 Euro im Monat im westdeutschen
Bauhauptgewerbe für gewerbliche Auszubildende gezahlt. Der niedrigste Wert
für das vierte Ausbildungsjahr findet sich mit 1.185 Euro im Kfz-Gewerbe
von Thüringen.
Ausbildungsvergütungen steigen in vielen Tarifbranchen
überdurchschnittlich
Im Laufe des Ausbildungsjahres 2024/25 (zwischen dem 1. September 2024 und
dem 1. September 2025) sind die tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen
in den hier berücksichtigten Tarifbranchen im ungewichteten Durchschnitt,
d.h. ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausbildungszahlen in den
einzelnen Tarifbranchen, im ersten Ausbildungsjahr um 6,4 Prozent
gestiegen. Gegenüber dem vorherigen Ausbildungsjahr 2023/2024, als der
Anstieg in Zeiten erhöhter Inflation bei außergewöhnlich hohen 9,0 Prozent
lag, sind die Zuwächse in diesem Jahr wieder geringer ausgefallen. Die
Ausbildungsvergütungen steigen aber weiterhin schneller als die regulären
Tarifvergütungen der Beschäftigten, die im Jahr 2024 um 5,5 Prozent
zugenommen haben.
Insgesamt gibt es bei den Zuwächsen der Ausbildungsvergütungen im
Ausbildungsjahr 2024/25 zwischen den Tarifbereichen eine große Spannbreite
(Abbildung 2 in der pdf-Version). In insgesamt sieben Tarifbereichen
wiesen die Vergütungen zweistellige Zuwachsraten auf. Spitzenreiter ist
mit einem Zuwachs von 18,6 Prozent das Backhandwerk, das unter einem
besonders hohen Fachkräftemangel leidet und deshalb seine im Vergleich zu
vielen anderen Branchen immer noch eher niedrigen Ausbildungsvergütungen
anpassen muss. Überdurchschnittlich stark stiegen die
Ausbildungsvergütungen auch bei den Pflegekräften sowie den sonstigen
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei den Ländern, in der
westdeutschen Floristik, in der Gebäudereinigung sowie in der Metall- und
Elektroindustrie.
In sieben Tarifbranchen – darunter der Druckindustrie, dem Kfz-Handwerk,
dem Öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden), dem Privaten
Verkehrsgewerbe, der Süßwarenindustrie sowie dem bayerischen Gastgewerbe
und der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie in Sachsen – lagen
die Zuwächse zwischen 5,0 und 10,0 Prozent. In weiteren acht Tarifbranchen
– darunter der Chemischen Industrie, der Deutschen Bahn AG, dem
Einzelhandel, der Landwirtschaft, dem Privaten Bankgewerbe, der
Textilindustrie sowie dem sächsischen Gastgewerbe und der Holz und
Kunststoff verarbeitenden Industrie in Westfalen-Lippe – stiegen die
Vergütungen zwischen 2,0 und 5,0 Prozent und damit geringer als die
gesetzliche Mindestausbildungsvergütung.
Lediglich drei Branchen haben bislang im Ausbildungsjahr 2024/25 noch
keine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen vorgenommen. Im Bauhauptgewerbe
sind erst im vergangenen Ausbildungsjahr 2023/24 die
Ausbildungsvergütungen mit 22,7 Prozent in Ostdeutschland und 15,5 Prozent
in Westdeutschland überdurchschnittlich stark angehoben worden, so dass im
aktuellen Ausbildungsjahr keine weiteren Erhöhungen vorgesehen sind. Im
Versicherungsgewerbe laufen derzeit noch die Tarifverhandlungen und im
nordrhein-westfälischen Friseurhandwerk starten diese im Sommer 2025.
Hohe Zuwächse bei den Ausbildungsvergütungen im Trend
Die mittelfristige Dynamik der tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen
zeigt sich in der Entwicklung der letzten fünf Jahre seit Beginn des
Ausbildungsjahres 2020/21 (siehe auch Abbildung 3 in der pdf-Version)
Während die Tarifentgelte für die Beschäftigten in den letzten fünf Jahren
im Durchschnitt um etwa 17 Prozent angestiegen sind, lag der Zuwachs der
Ausbildungsvergütungen in den meisten der hier betrachteten Tarifbranchen
deutlich darüber. Die höchsten Steigerungsraten gab es dabei im
Backhandwerk, wo die Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr seit
2020 um 65,9 Prozent zunahmen. An zweiter Stelle steht die ostdeutsche
Süßwarenindustrie, wo die Ausbildungsvergütungen sich um 58,9 Prozent
erhöhten. In weiteren sieben Tarifbereichen stiegen die
Ausbildungsvergütungen zwischen 40 und 50 Prozent – darunter in den
ostdeutschen Tarifgebieten des Gastgewerbes (Sachsen), des Kfz-Handwerks
(Thüringen), der Landwirtschaft (Mecklenburg-Vorpommern sowie des Privaten
Verkehrsgewerbes (Brandenburg) und in den westdeutschen Tarifgebieten der
Floristik und des Gastgewerbes (Bayern).
In etwa der Hälfte der hier untersuchten Tarifbereiche lagen die
Erhöhungen der Ausbildungsvergütungen in den letzten fünf Jahren zwischen
20 und 35 Prozent. Lediglich in fünf Branchen betrug der Zuwachs weniger
als 20 Prozent, wobei der Öffentliche Dienst (Bund und Gemeinden) mit
etwas über 13 Prozent das Schlusslicht bildete. „Insgesamt kam es
insbesondere in solchen Branchen zu besonders starken Erhöhungen, in denen
traditionell eher niedrigere Ausbildungsvergütungen gezahlt werden und die
vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels einen besonders
hohen Anpassungsbedarf haben“, resümiert der Studienautor Schulten.