IMK Inflationsmonitor: Inflation für 8 von 9 Haushaltstypen unter Zielrate der EZB, weiterer EZB-Zinsschritt notwendig
Die Inflationsrate in Deutschland hat im Mai bei 2,1 Prozent verharrt und
liegt damit fast am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von
zwei Prozent. Von neun verschiedenen Haushaltstypen, die sich nach
Einkommen und Personenzahl unterscheiden, hatten acht eine
haushaltsspezifische Teuerungsrate unter dem Zielwert, der neunte direkt
beim Inflationsziel.
Konkret reichte die Spannweite im Mai von 1,4 bis 2,0
Prozent, der Unterschied lag also bei 0,6 Prozentpunkten, zeigt der neue
Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung
(IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Inflationswelle im Herbst 2022 betrug
die Spanne 3,1 Prozentpunkte. Während Haushalte mit niedrigen Einkommen,
insbesondere Familien, während des akuten Teuerungsschubs der Jahre 2022
und 2023 eine deutlich höhere Inflation schultern mussten als Haushalte
mit mehr Einkommen, war ihre Inflationsrate im Mai 2025 wie in den
Vormonaten gering: Der Warenkorb von Paaren mit Kindern und niedrigen
Einkommen verteuerte sich um 1,4 Prozent. Auf 1,7 Prozent Inflationsrate
kamen Alleinlebende mit niedrigen Einkommen. Alleinerziehende sowie
Alleinlebende mit jeweils mittlerem Einkommen wiesen mit 1,5 bzw. 1,6
Prozent ebenfalls relativ niedrige Teuerungsraten auf (siehe auch die
Abbildung in der pdf-Version dieser PM; Link unten).
Als einziger Haushaltstyp hatten im Mai Alleinlebende mit sehr hohen
Einkommen mit 2,0 Prozent eine Inflation direkt auf dem Niveau der EZB-
Zielrate. Es folgten Paare mit Kindern und hohen Einkommen (1,9 Prozent)
sowie Paare ohne Kinder mit mittleren Einkommen (1,8 Prozent). Ein
wichtiger Faktor für das etwas höhere Niveau ist, dass bei diesen drei
konsumstarken Haushaltstypen die niedrigeren Energiepreise weniger stark
ins Gewicht fallen als bei Haushalten mit weniger Einkommen, deren
Warenkörbe stärker durch Güter des täglichen Bedarfs geprägt sind. Zudem
fragen Haushalte mit höheren Einkommen stärker Dienstleistungen nach, die
sich derzeit noch merklich verteuern, wie Versicherungsdienstleistungen,
Pflegedienstleistungen und Dienstleistungen des Gastgewerbes. Allerdings
verzeichneten alle drei Haushaltsgruppen einen leichten Rückgang ihrer
Inflationsrate, weil sich der Preisauftrieb bei Pauschalreisen gegenüber
dem Vormonat normalisiert hat. In der Folge hat sich die Spanne zwischen
den haushaltsspezifischen Inflationsraten von 0,8 Prozentpunkten im April
auf 0,6 Prozentpunkte im Mai verringert.
Die beiden anderen untersuchten Haushaltstypen, Familien mit mittleren
Einkommen und Alleinlebende mit höheren Einkommen, verzeichneten im Mai
eine Inflationsrate von je 1,7 Prozent. Dass aktuell alle vom IMK
ausgewiesenen haushaltsspezifischen Inflationsraten leicht unter der
Gesamtinflation liegen, wie sie das Statistische Bundesamt berechnet,
liegt an unterschiedlichen Gewichtungen: Das IMK nutzt für seine
Berechnungen weiterhin die repräsentative Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe, während Destatis seit Anfang 2023 die
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung heranzieht.
Zusätzliches Argument für Zinssenkung: Euro hat deutlich aufgewertet
Im Jahresverlauf 2025 dürfte sich die Inflationsrate weiter normalisieren
und um den Wert von zwei Prozent schwanken, so die Erwartung von Dr. Silke
Tober, IMK-Expertin für Geldpolitik und Autorin des Inflationsmonitors.
Allerdings sind die Risiken für die Inflationsprognose in den vergangenen
Wochen etwas gestiegen, und zwar in beide Richtungen: Während ein länger
andauernder Konflikt zwischen Israel und dem Iran zu anhaltend höheren
Rohöl- und Erdgaspreisen führen könnte, besteht durch den weiter
schwelenden von US-Präsident Donald Trump provozierten Zollkonflikt das
Risiko, dass die Teuerung sogar unter die Zielinflation fällt. Denn auch
wenn sich die handelspolitische Auseinandersetzung zeitweilig etwas
beruhigt hat, hält sie die Gefahr einer weltweiten Rezession hoch, die die
Preisentwicklung zusätzlich dämpfen würde.
Tober hält eine weitere Leitzinssenkung durch die EZB für erforderlich.
Die Zinsschritte der vergangenen Monate, zuletzt am 11. Juni auf 2,0
Prozent, hätten zwar für Entlastung gesorgt. Sie reichten aber noch nicht
aus, zumal seit Jahresbeginn der Euro gegenüber dem US-Dollar um 10
Prozent aufgewertet hat, was die ohnehin verhaltenen Exportaussichten der
Europäer bremst. Ein weiterer Zinsschritt solle „zeitnah folgen, zumal die
aktuelle Inflationsprognose der EZB dies ohnehin annimmt“, erklärt die
Ökonomin. „Eine Belebung der Binnennachfrage ist dringend erforderlich und
könnte zudem einen Beitrag zur Lösung des Zollkonflikts liefern.“
Langfristiger Vergleich: Lebensmittel knapp 40 Prozent teurer als 2019
Das IMK berechnet seit Anfang 2022 monatlich spezifische Teuerungsraten
für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Zahl und Alter der
Mitglieder sowie nach dem Einkommen unterscheiden (mehr zu den Typen und
zur Methode unten). In einer Datenbank liefert der Inflationsmonitor zudem
ein erweitertes Datenangebot: Online lassen sich Trends der Inflation für
alle sowie für ausgewählte einzelne Haushalte im Zeitverlauf in
interaktiven Grafiken abrufen (Link unten).
Die längerfristige Betrachtung illustriert, dass Haushalte mit niedrigem
bis mittlerem Einkommen von der starken Teuerung nach dem russischen
Überfall auf die Ukraine besonders stark betroffen waren, weil Güter des
Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Energie in ihrem Budget eine größere
Rolle spielen als bei Haushalten mit hohen Einkommen. Diese wirkten lange
als die stärksten Preistreiber, zeigt ein längerfristiger Vergleich, den
Tober in ihrem neuen Bericht ebenfalls anstellt: Die Preise für
Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke lagen im Mai 2025 um 39,6 Prozent
höher als im Mai 2019, also vor Pandemie und Ukrainekrieg. Damit war die
Teuerung für diese unverzichtbaren Basisprodukte mehr als dreimal so stark
wie mit der EZB-Zielinflation von kumuliert 12,6 Prozent in diesem
Zeitraum vereinbar. Energie war trotz der Preisrückgänge in letzter Zeit
um 33,0 Prozent teurer als im April 2019.
Informationen zum Inflationsmonitor
Für den IMK Inflationsmonitor werden auf Basis der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts die für
unterschiedliche Haushalte typischen Konsummuster ermittelt. So lässt sich
gewichten, wer für zahlreiche verschiedene Güter und Dienstleistungen –
von Lebensmitteln über Mieten, Energie und Kleidung bis hin zu
Kulturveranstaltungen und Pauschalreisen – wie viel ausgibt und daraus die
haushaltsspezifische Preisentwicklung errechnen. Die Daten zu den
Haushaltseinkommen stammen ebenfalls aus der EVS. Im Inflationsmonitor
werden neun repräsentative Haushaltstypen betrachtet: Paarhaushalte mit
zwei Kindern und niedrigem (2000-2600 Euro), mittlerem (3600-5000 Euro),
höherem (mehr als 5000 Euro) monatlichem Haushaltsnettoeinkommen;
Haushalte von Alleinerziehenden mit einem Kind und mittlerem (2000-2600
Euro) Nettoeinkommen; Singlehaushalte mit niedrigem (unter 900 Euro),
mittlerem (1500-2000 Euro), höherem (2000-2600 Euro) und hohem (mehr als
5000 Euro) Haushaltsnettoeinkommen sowie Paarhaushalte ohne Kinder mit
mittlerem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 3600 und 5000 Euro monatlich.
Der IMK Inflationsmonitor wird monatlich aktualisiert.