Wie „Supergene“ bei Fischen helfen, neue Arten zu entwickeln

Eine der großen Fragen der Biologie ist, wie neue Arten entstehen und wie
die unglaubliche Vielfalt der Natur zustande kommt. Eine neue Arbeit, die
jetzt im Fachmagazin „Science“ von einem internationalen Team
veröffentlicht wurde, bringt uns der Antwort einen Schritt näher. Sie
zeigt die wichtige Rolle einer genetischen Besonderheit – der sogenannten
„Supergene“.
Buntbarsche aus dem Malawisee in Ostafrika bieten einen faszinierenden
Anhaltspunkt, um zu verstehen, wie die Vielfalt des Lebens auf der Erde
entstanden ist. In diesem einzigen See haben sich über 800 verschiedene
Arten von Buntbarschen aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt. Diese
Entwicklung ist dabei in einem Bruchteil der Zeit abgelaufen, die den
Menschen vom Schimpansen trennt. Zudem ist bemerkenswert, dass diese
Bildung von so vielen Arten ohne physische Barrieren stattfand. Die Fische
lebten während des Prozesses in ein und demselben Gewässer, ohne dass die
Buntbarsche örtlich getrennt wurden.
Erstaunlich viele Arten, erstaunlich schnell
Einige dieser Buntbarsche wurden während dieser Entwicklung zu großen
Raubfischen, andere passten sich an, um Algen zu fressen, Sand zu
durchwühlen oder sich von Plankton zu ernähren. Jede Art fand ihre eigene
ökologische Nische. Wie konnte dies so schnell geschehen? In der Studie
analysierten die Hauptautoren Hannes Svardal von der Universität Antwerpen
und Moritz Blumer von der Universität Cambridge gemeinsam mit einem
internationalen Forschungsteam das Erbgut der Buntbarsche. Astrid Böhne
vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels in Bonn
untersuchte dabei gemeinsam mit anderen Forschenden mögliche
Geschlechtschromosomen.
Den Forschenden fiel bei ihren Untersuchungen eine Besonderheit in den
Genen auf: „Wir entdeckten, dass bei einigen Arten große Teile der DNA auf
fünf Chromosomen umgedreht sind – eine Art von Mutation, die als
Chromosomeninversion bezeichnet wird“, so Hannes Svardal. Astrid Böhne
hebt hervor, dass es bei den Buntbarschen in Malawi insgesamt bei
erstaunlich vielen Arten zu einer Inversion genomischer Regionen gekommen
ist: „Diese Inversionen haben einen großen Anteil am Erfolg der
Buntbarsch-Arten im Malawisee. Wir konnten zeigen, dass die Inversionen in
den Malawi-Buntbarschen per Genfluss zwischen Arten weitergegeben wurden,
welche wiederum explosionsartig neue Arten gebildet haben. Diese sind auf
vielfältige Weise an verschiedene ökologische Bedingungen im See angepasst
und haben ihre Körper entsprechend verändert.“
Arten getrennt halten
Normalerweise wird bei der Fortpflanzung von Tieren die DNA in einem
Prozess namens „Rekombination“ neu gemischt – das genetische Material
beider Elternteile wird kombiniert. Wenn jedoch ein Chromosom umgedreht
wird, ist die Vermischung in dieser Region blockiert. Das bedeutet, dass
bestimmte Genkombinationen unverändert weitergegeben werden können,
Generation für Generation. Diese erhaltenen Genblöcke werden manchmal als
„Supergene“ bezeichnet.
Bei den Malawi-Buntbarschen scheinen diese Supergene mehrere wichtige
Rollen zu spielen. Obwohl sich Buntbarsch-Arten immer noch kreuzen können,
hilft die umgedrehte DNA, die Arten voneinander zu trennen. Sie
verhindert, dass sich ihre Gene zu sehr vermischen. Dies ist vor allem in
Teilen des Sees nützlich, in denen die Fische nebeneinander leben – wie in
offenen Sandgebieten, wo es keine physische Trennung zwischen den
Lebensräumen gibt.
Schlüsselfaktor in der Evolution
Interessanterweise steuern die Gene in diesen Supergenen oft
Eigenschaften, die für das Überleben und die Fortpflanzung entscheidend
sind - wie Sehkraft, Gehör und Verhalten. Fische, die bis zu 200 Meter
tief im See leben, brauchen zum Beispiel andere visuelle Fähigkeiten als
Fische in der Nähe der Oberfläche. Die Supergene helfen, diese speziellen
Anpassungen aufrechtzuerhalten. Hauptautor Moritz Blumer, Doktorand an der
Universität Cambridge, hebt hervor: „Wir haben Fälle gefunden, in denen
Hybridisierungsereignisse, das heißt Verpaarungen zwischen Arten, die
Übertragung ganzer Inversionen ermöglicht haben. Somit wurden bestimmte
ökologische Anpassungen übertragen.“
Was können wir von Buntbarschen über andere Arten lernen?
Ein weiteres faszinierendes Detail betont Co-Erstautorin Valentina
Burskaia von der Universität Antwerpen: Die Forschenden hätten
festgestellt, dass „in einigen Fällen diese umgedrehten Regionen nun als
Geschlechts-chromosomen fungieren und dabei helfen, zu bestimmen, ob ein
Fisch männlich oder weiblich wird. Da Geschlechtschromosomen beeinflussen
können, wie sich neue Arten bilden, ergeben sich daraus spannende neue
Fragen darüber, wie die Evolution funktioniert.“
Die aktuelle Studie konzentriert sich dabei zwar auf Buntbarsche, aber
Chromosomenumkehrungen kommen auch bei vielen anderen Tieren und auch beim
Menschen vor. So werden sie zunehmend als Schlüsselfaktor für die
Evolution und die biologische Vielfalt angesehen.
Damit liefert die Science-Veröffentlichung wichtige Erkenntnisse zum
Prozess der Artbildung, den Forschende seit langem untersuchen. Durch
Erkenntnisse dazu, wie Supergene entstehen und sich ausbreiten, rückt die
Antwort auf eine der größten Fragen der Wissenschaft näher: Die Antwort
auf die Frage, wie das Leben auf der Erde so reichhaltig und vielfältig
geworden ist.