Auf Skitour – nicht ohne meinen Anwalt?
Im Interview mit dem WSL/SLF-Magazin DIAGONAL spricht SLF-Leiter Jürg
Schweizer über juristische Aspekte von Lawinenunglücken. Um das Thema geht
es auch im SLF-Seminar Lawinen & Recht vom 11. bis 13. Juni 2025 in Davos.
- Strafrecht bei Lawinen: Nach tödlichen Lawinenunfällen wird immer
ermittelt – Schuldsprüche wegen Fahrlässigkeit sind selten, aber möglich.
- Sorgfalt zählt: Wer sorgfältig plant und handelt, muss rechtlich kaum
etwas befürchten – auch nicht als Fachperson.
- Prävention vor Paragrafen: Entscheidend ist nicht juristisches Wissen,
sondern umsichtiges Verhalten im Gelände.
Jürg Schweizer, das SLF organisiert ein Seminar «Lawinen und Recht».
Warum?
Um das Verständnis zwischen Untersuchungsbehörden und Gerichten einerseits
und Berggängerinnen und -gängern andererseits zu verbessern. Denn erstere
wissen oft wenig über Lawinen. Letztere sind ebenso oft irritiert, dass
ein Lawinenunfall strafrechtliche Folgen haben kann. Juristisch gesehen
kann man sich aber bei einem Lawinenunfall der fahrlässigen Tötung
schuldig machen.
Wie das?
Wenn eine überlebende Person nicht die nötige Sorgfalt anwendete und etwas
machte oder unterliess, das zum Unfall führte. Bei jedem tödlichem Unfall
muss die Staatsanwaltschaft untersuchen, ob ein solches pflichtwidriges
Verhalten vorliegt. Die meisten Verfahren stellt sie ein, und
Schuldsprüche sind sehr selten. Wir beobachten zum Glück keine
Kriminalisierung des Bergsports. Dass immer überall Schuldige gesucht
werden, ist eher ein Medienphänomen.
Was müssen Tourengeher über rechtliche Konsequenzen von Lawinenunfällen
wissen?
Eigentlich gar nichts! Besser setzen sie sich mit Lawinenprävention
auseinander: die Tour sorgfältig planen, die Lawinensituation kennen und
sich im Gelände entsprechend verhalten – etwa einzeln abfahren und die
steilsten Hangpartien meiden. Kommt es dann doch zu einem tödlichen
Lawinenunfall, dürften ihre moralischen Probleme grösser sein als ihre
juristischen. Man kann also weiterhin ohne Anwalt auf Skitour.
Kann nach einer falschen Prognose auch ein SLF-Lawinenwarner einer
Strafuntersuchung ausgesetzt sein?
Theoretisch schon. Die Fehlprognose müsste aber den Unfall direkt
verursacht haben und auf Pflichtwidrigkeit beruhen. Wenn sie sorgfältig
arbeiten, sollten sie nichts zu befürchten haben. Fehler sind erlaubt,
Fahrlässigkeit nicht.
Und was müssen Staatsanwältinnen und Richter über Lawinen wissen?
Dass die Beurteilung der Lawinengefahr nie ganz genau ist, und die
Unterschiede im Gelände gross sein können. Selbst eine hohe Gefahrenstufe
ist nicht vergleichbar mit einer roten Ampel. Daher sollten Gerichte
unbedingt Gutachten von Sachverständigen beiziehen.
SLF-Mitarbeitende verfassen solche Gutachten. Ist das Institut da nicht in
einem Interessenskonflikt, weil auch das Lawinenbulletin hinterfragt
werden muss?
Doch, ein Stück weit schon. Daher trennen wir Gutachten und
Lawinenbulletin personell. Und manchmal kritisieren die Gutachter das
Bulletin auch in ihren Berichten. Das Bulletin ist aber vor allem eine
Planungsgrundlage. Wichtiger ist die Beurteilung der Situation vor Ort. Es
geht meist darum, ob die Betroffenen bei den damals herrschenden
Verhältnissen die Standards der Unfallprävention eingehalten haben.
Ist die juristische Situation in den Nachbarländern ähnlich wie in der
Schweiz?
Ja. Nur Italien ist speziell: Dort ist das Auslösen einer Lawine strafbar,
auch ohne Schaden. Das führt dazu, dass viele Leute glimpflich verlaufene
Vorfälle aus Angst vor Strafe nicht melden. Und das kann unnötige
Rettungsaktionen auslösen, zum Beispiel, wenn jemand anderes einen
Lawinenkegel entdeckt, in den Skispuren hineinführen.
Zurück zum Seminar: Welchen Schwerpunkt hat es dieses Jahr?
Im Grunde dieselben wie immer. Denn es kommen immer wieder neue
Staatsanwälte und Sicherheitsverantwortliche, die wir ans Thema
heranführen wollen. Daneben legen wir einen Schwerpunkt auf Absperrungen,
besonders bei der künstlichen Auslösung von Lawinen mit Sprenganlagen.
Hat Ihr vertieftes Wissen über «Lawinen und Recht» Auswirkungen darauf,
wie Sie z’Berg gehen?
Nicht direkt. Aber weil ich beim Erstellen von Unfallgutachten oft sehe,
was alles schieflaufen kann, mache ich mir heute viel mehr Gedanken, was
passieren würde, wenn sich an dieser oder jener Stelle eine Lawine
ereignet. Ich beachte also nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer
Lawinenauslösung, sondern auch die potenziellen Folgen. Also zum Beispiel,
wie gross der Hang ist, und ob ich aufgrund der Geländeform tief
verschüttet werden könnte.