Verborgene Potenziale erschließen - Berufseinstieg für internationale Fachkräfte in Kitas und Schulen erleichtern
In Kitas und Schulen fehlt es an Fachkräften in Deutschland. Zugewanderte
pädagogische Fachkräfte könnten einen wesentlichen Beitrag leisten, um
diese Lücke zu schließen. In seinem Policy Brief „Verborgene Potenziale
erschließen – Berufseinstieg für internationale Fachkräfte in Kitas und
Schulen erleichtern“ beziffert der wissenschaftliche Stab des
Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) das
Fachkräftepotenzial von im Ausland qualifizierten Pädagoginnen und
Pädagogen und diskutiert Herausforderungen auf ihrem Weg in die
pädagogische Praxis.
Zwischen 2008 und 2023 sind 136.000 Menschen mit einem im Ausland
erworbenen pädagogischen Berufsabschluss nach Deutschland zugewandert, ein
Teil von ihnen kam auf dem Wege der Fluchtmigration. „Diese Personen
könnten den Fachkräftebedarf in Kitas und Schulen reduzieren und zugleich
dazu beitragen, die Einrichtungen diversitätssensibler aufzustellen. Doch
nur wenigen gelingt der Einstieg in die pädagogische Praxis“, sagt Dr.
Mohini Lokhande, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der SVR-
Geschäftsstelle und Autorin des Policy Briefs. Nur 9,2 Prozent der im
Ausland qualifizierten Lehrkräfte arbeiten in Schulen und 18,4 Prozent der
frühpädagogischen Fachkräfte in Kitas. Dies zeigt eine Sonderauswertung
des Mikrozensus 2023, die der wissenschaftliche Stab des SVR beim
Statistischen Bundesamt beauftragt hat. Dr. Lokhande ergänzt: „Die
Fachkräftelücke im Bildungsbereich ist hoch, und zugleich besteht die
Herausforderung, dass sich die Einrichtungen auf die Diversität bei den
Kindern und Jugendlichen einstellen. Mehr Zugewanderte für die
pädagogischen Berufe zu gewinnen, kann den Bildungsinstitutionen helfen,
sich besser auf die wachsende sprachliche, kulturelle, religiöse und
soziale Vielfalt der Kinder einzustellen. Sie können aufgrund ihrer
eigenen zuwanderungsbezogenen Erfahrungen und Perspektiven ein Kita- oder
Schulteam bereichern.“
Die Analyse zeigt, dass viele der im Ausland qualifizierten Pädagoginnen
und Pädagogen noch nicht in Deutschland erwerbstätig sind, vor allem
Personen, die erst kürzlich zugewandert sind. Dabei besteht durchaus
Interesse an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. „Es gibt ein
Fachkräftepotenzial von rund 40.000 im Ausland qualifizierte Pädagoginnen
und Pädagogen, die gerne hier arbeiten würden,“ so Dr. Jan Schneider,
Leiter des Bereichs Forschung beim SVR. Warum der Berufseinstieg für die
zugewanderten Pädagoginnen und Pädagogen trotz Fachkräftelücke so
schwierig ist, hat der Policy Brief untersucht: „Eine zentrale
Herausforderung ist das komplexe und für Betroffene oft schwer zu
durchschauende Anerkennungssystem, das sich zudem von Bundesland zu
Bundesland unterscheidet. Die zentrale Voraussetzung für den
Berufseinstieg ist aber in reglementierten Berufen eine erfolgreich
durchlaufene Überprüfung der Gleichwertigkeit des ausländischen
Berufsabschlusses. Dieser Weg in die pädagogische Praxis ist für die
Betroffenen mit langwierigen Verfahren verbunden und häufig unattraktiv“,
sagt Lokhande. „Weitere Hürden sind hohe Sprachanforderungen sowie eine
mangelnde Systemkenntnis. Zu fehlenden Kenntnissen über die infrage
kommenden Bildungseinrichtungen kommen finanzielle Engpässe bei den
potenziellen Fachkräften. Auch Vorbehalte bei denjenigen, die über die
Einstellung entscheiden, spielen eine Rolle.“
In der Konsequenz scheitern viele Antragstellerinnen und Antragsteller an
den Verfahren. So gelingt es beispielsweise nur zwei von zehn Lehrkräften
aus einem EU-Staat (18,7 Prozent) und weniger als einer von zehn
Lehrkräften aus einem Drittstaat (7,5 Prozent), eine volle Anerkennung
ihrer Gleichwertigkeit zu erhalten. „Personen ohne Anerkennung sind als
Fachkraft für Kitas und Schulen verloren. Das ist eine verpasste Chance
für beide Seiten: für die Einrichtungen, die nach qualifiziertem Personal
suchen und für die ausgebildeten internationalen Fachkräfte, die in
berufsfremden Tätigkeiten arbeiten“, so Lokhande. Um sie als Lehrkräfte
und pädagogische Fachkräfte für Schulen und Kitas zu gewinnen, braucht es
eine kohärente Strategie, so eine Schlussfolgerung des Policy Briefs.
„Wichtig wäre es beispielsweise, die Anerkennungsverfahren als zentrale
Hürde zu vereinfachen, Prozesse stärker zu digitalisieren,
muttersprachliche oder zumindest englischsprachige Dokumente anzuerkennen
und die rechtlichen Voraussetzungen länderübergreifend zu harmonisieren“,
sagt Schneider. Bund, Länder und weitere Akteure sind hier bereits erste
Schritte gegangen, an die jedoch mit weiteren Maßnahmen angeknüpft werden
sollte. Der Policy Brief hebt in diesem Zusammenhang einige Beispiele
guter Praxis hervor.
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Über den Sachverständigenrat:
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges
und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen
Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung
bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen
sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und
Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof.
Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin,
Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex,
Ph. D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph. D., Prof.
Dr. Hannes Schammann.
Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der
Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige,
anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration.
Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen.
Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und
Policy Briefs veröffentlicht.
Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de