Leibniz-Forschungsnetzwerk präsentiert neues Konzept für gesunde, nachhaltige und widerstandsfähige Ernährungssysteme
Die Herausforderungen globaler Ernährungssicherheit, Umweltzerstörung und
sozialer Ungleichheit verlangen ein Umdenken in der Gestaltung unserer
Agrar- und Ernährungssysteme. In ihrem aktuellen, interdisziplinären
Positionspapier stellt ein Team des Leibniz-Forschungsnetzwerks „Grüne
Ernährung – Gesunde Gesellschaft“ das Konzept der „Sustainable and
Resilient Agrifood Systems“ (SARAS) vor – ein neuer systemischer Ansatz
für gesunde, nachhaltige und widerstandsfähige Ernährungssysteme.
Das
Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke ist als
koordinierende Einrichtung des Netzwerks maßgeblich an der im Journal
Sustainable Development veröffentlichten Publikation beteiligt.
Kritische Ausgangslage
Die derzeitigen Agrar- und Ernährungssysteme tragen maßgeblich zu globalen
Umweltproblemen bei. Sie verursachen etwa ein Drittel der globalen
Treibhausgasemissionen, beeinträchtigen die Biodiversität und belasten die
Böden mit Stickstoff und Phosphor. Gleichzeitig erhöht eine ungesunde
Ernährung das Risiko für chronische Krankheiten, wie Diabetes, Krebs und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sowohl Übergewicht als auch Unterernährung
sind weit verbreitet, und Milliarden Menschen können sich keine gesunde
Ernährung leisten. Lebensmittelverluste und -verschwendung verschärfen
diese Probleme noch weiter, und globale Handelsabhängigkeiten machen viele
Länder zusätzlich verwundbar. Um diesen Herausforderungen zu begegnen,
wurden Konzepte wie „Sustainable Diets“, „Sustainable Food Systems“ und
die „Planetary Health Diet“ entwickelt, die jedoch vor allem auf
Gesundheit und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind.
Ein neuer, ganzheitlicher Ansatz
Die Partner des Leibniz-Forschungsnetzwerks „Grüne Ernährung – Gesunde
Gesellschaft“ sind der Auffassung, dass diese Ansätze durch den Aspekt der
Resilienz ergänzt werden müssen, um Systeme widerstandsfähiger gegenüber
Krisen, wie z. B. Klimawandel, Pandemien, Handelsrestriktionen und Kriege,
zu machen. In einem interdisziplinären Workshop entwickelten 19
Wissenschaftler*innen aus führenden deutschen und internationalen
Forschungsinstitutionen das Konzept der „Sustainable and Resilient
Agrifood Systems“ – kurz SARAS. Es kombiniert Nachhaltigkeit mit Resilienz
und liefert konkrete Handlungsempfehlungen zur ökologischen,
wirtschaftlichen, politischen, sozialen und global-lokalen Umgestaltung
von Ernährungssystemen – von der Produktion bis zum Konsum. Das Ziel von
SARAS ist es, stabile und gesunde Ernährungssysteme für gegenwärtige und
zukünftige Generationen sicherzustellen.
Die fünf Säulen des Konzepts
Im ökologischen Bereich empfiehlt SARAS die Diversifizierung in der
Landnutzung, mehr Vielfalt bei Nutzpflanzen und Essgewohnheiten sowie
smarte Landwirtschaft und städtische Ernährungssysteme.
Wirtschaftlich wird angestrebt, die Lebensmittelverschwendung zu
verringern und die Preise von Lebensmitteln so zu gestalten, dass gesunde
und nachhaltige Ernährung bezahlbar wird. Für eine höhere Resilienz der
Lieferketten sollten Agrarprodukte aus mehreren Ländern zusätzlich zur
inländischen Produktion bezogen werden. Zudem sollte die Handelspolitik
nachhaltiger gestaltet werden, um Umweltbelastungen nicht in die
Produktionsländer zu verlagern.
Auf politischer Ebene schlägt SARAS vor, Umweltschäden in die Preise von
Lebensmitteln einzubeziehen, etwa durch eine CO₂-Steuer. Darüber hinaus
sollten Steuern auf ungesunde Lebensmittel geprüft und umweltschädliche
Agrarsubventionen reformiert werden. Ernährungsempfehlungen sollten sowohl
die Gesundheit des Menschen als auch der Erde berücksichtigen, wie es z.
B. die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihren aktualisierten
Ernährungsempfehlungen von 2024 umgesetzt hat.
In sozialer Hinsicht gilt es, ein faires Lebensmittelumfeld zu fördern,
das mehr und einfachere Wahlmöglichkeiten für eine nachhaltigere Ernährung
bietet. Zudem sollte kooperativen Produktionsmodellen für integrierte und
regionale Agrar- und Ernährungssysteme größere Aufmerksamkeit geschenkt
werden.
Für die global-lokale Umgestaltung von Ernährungssystemen empfiehlt SARAS,
dass internationale Klimaziele auch in der Landwirtschaft und bei der
Ernährung berücksichtigt werden. Entscheidungen sollten auf globalen und
lokalen Zukunftsplänen aufbauen und die internationale Zusammenarbeit
sollte verbessert werden. Außerdem sollten faire und inklusive
Ernährungssysteme entstehen – innerhalb und zwischen Ländern.
„SARAS bedeutet mehr als nachhaltige und gesunde Ernährung. Es steht für
Ernährungssysteme, die gleichzeitig krisenfest sind“, erklärt Dr. Petra
Wiedmer, Koordinatorin des Leibniz-Forschungsnetzwerks „Grüne Ernährung –
Gesunde Gesellschaft“ vom DIfE. „Nur durch die Perspektive auf
Nachhaltigkeit und Resilienz können wir die globalen Herausforderungen
bewältigen.“
Wohlhabende Länder sollten Vorreiter sein
Für den Erfolg von SARAS ist es wichtig, Zielkonflikte und Synergien zu
erkennen und zu bewerten. Trotz vieler Fortschritte bestehen weiterhin
Wissenslücken, insbesondere zur praktischen Umsetzung auf lokaler Ebene
und zur Veränderung individueller Ernährungsgewohnheiten. Zudem sind
politische Maßnahmen kontextabhängig und schwer auf alle Länder
übertragbar.
Die Publikation betont insbesondere die Verantwortung wohlhabender Länder:
Sie sollten durch politische Maßnahmen, Forschung und internationale
Zusammenarbeit Vorreiter bei der Umsetzung von SARAS sein – zum Nutzen
aller. „SARAS zeigt einen Weg auf, wie wir Landwirtschaft und Ernährung
umweltschonender, gesünder, gerechter und krisenfester gestalten können“,
sagt Prof. Tilman Grune, Sprecher des Leibniz-Forschungsnetzwerks „Grüne
Ernährung – Gesunde Gesellschaft“ vom DIfE. „Dafür sind viele kleine und
große Schritte nötig – weltweit, in Politik und Wirtschaft und bei uns
allen im Alltag.“
Hintergrundinformationen
Der interdisziplinäre Workshop des Leibniz-Forschungsnetzwerks „Grüne
Ernährung – Gesunde Gesellschaft“ fand vom 7. bis 8. Juni 2022 in der
Leibniz-Geschäftsstelle in Berlin statt. Forschende aus den Leibniz-
Instituten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Leibniz-
Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), Leibniz-Institut für
Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB), Leibniz-Institut für Gemüse- und
Zierpflanzenbau (IGZ), Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in
Transformationsökonomien (IAMO) und Deutsches Institut für
Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), vom Thünen-Institut, ILS –
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, International
Security and Development Center, Institute for Global Health, Max-Rubner-
Institut (MRI) sowie von den Universitäten Halle, Konstanz, Oxford,
Waterford, Bologna und Humboldt-Universität zu Berlin diskutierten über
die ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Dimensionen
nachhaltiger Ernährungssysteme und damit zusammenhängende Zielkonflikte.
Ihre Lösungsvorschläge veröffentlichten sie nun im gemeinsamen Leibniz-
Positionspapier.
Leibniz-Forschungsnetzwerk „Grüne Ernährung – Gesunde Gesellschaft“
Im Leibniz-Forschungsnetzwerk „Grüne Ernährung - Gesunde Gesellschaft”
beschäftigen sich Wissenschaftler*innen aus zehn Leibniz-Instituten mit
disziplinenübergreifenden Lösungsstrategien für ein gesundes und zugleich
nachhaltiges Ernährungssystem. Eine „Grüne Ernährung“ beinhaltet sowohl
eine ernährungsphysiologisch optimale Ernährung, als auch eine
ressourcenschonende Lebensmittelproduktion, -verarbeitung und -verteilung.
Fokus der Zusammenarbeit ist der wissenschaftliche Austausch zwischen den
Leibniz-Forschenden, die Identifizierung konkreter Forschungsbedarfe und
ein regelmäßiger Wissenstransfer in Politik und Öffentlichkeit.
Das Leibniz-Forschungsnetzwerk „Grüne Ernährung – Gesunde Gesellschaft“
wird vom DIfE koordiniert.
Leibniz-Forschungsnetzwerke widmen sich einem besonderen Schwerpunktthema
oder einer Schlüsseltechnologie. Ziel ist es, die fachlichen und
methodisch-technischen Kompetenzen der beteiligten Leibniz-Institute zu
bündeln, auszutauschen, weiterzuentwickeln und nach außen hin sichtbar zu
machen. Leibniz-Forschungsnetzwerke werden auf Vorschlag aus der Leibniz-
Gemeinschaft vom Leibniz-Präsidium eingerichtet.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Petra Wiedmer
Koordinatorin des Leibniz-Forschungsnetzwerks „Grüne Ernährung – Gesunde
Gesellschaft“
Tel.: +49 33 200 88 - 2245
E-Mail: <
Originalpublikation:
Hunecke, C., Thom, F., Vogt, J. H.-M., Bellingrath-Kimura, S. D., Brück,
T., Gaupp, F., Geppert, F., Grune, T., Herzfeld, T., Kulling, S. E., Ojha,
S., Piorr, A., Regierer, B., Renner, B., Schlüter, O., Schreiner, M.,
Springmann, M., Weith, T., Wiedmer, P.: Sustainable and Resilient Agrifood
Systems (SARAS). A Leibniz Position. Sustain. Dev. in press (E-pub ahead
of print) (2025). [Open Access]
https://doi.org/10.1002/sd.346