Meilenstein im Windel-Recycling: NMI gelingt Abbau der Zellulose in Verbundmaterialien
Papier, Glas, Plastik, sogar Beton: Viele Materialien werden inzwischen
recycelt. Bei Windeln hingegen funktioniert das bis heute praktisch nicht.
Weltweit werden weniger als ein Prozent aller Windeln recycelt – und das
bei einem Anteil von Windeln am Hausmüll von etwa zehn Prozent (in
Pflegeheimen kann dieser Anteil bis auf 70 Prozent ansteigen).
Die
Herausforderung ist die Trennung der Zellulose in den Windeln von dem
Superabsorber, der die Flüssigkeit aufnimmt. Einem Team von Forschenden um
Dr. Anne Zeck, Gruppenleiterin am NMI Naturwissenschaftlichen und
Medizinischen Institut in Reutlingen, ist nun im Rahmen des Invest BW-
Projekts Encycling mit Hilfe von Enzymen ein Durchbruch gelungen.
Meilenstein im Windel-Recycling: NMI gelingt Abbau der Zellulose in
Verbundmaterialien
Papier, Glas, Plastik, sogar Beton: Viele Materialien werden inzwischen
recycelt. Bei Windeln hingegen funktioniert das bis heute praktisch nicht.
Weltweit werden weniger als ein Prozent aller Windeln recycelt – und das
bei einem Anteil von Windeln am Hausmüll von etwa zehn Prozent (in
Pflegeheimen kann dieser Anteil bis auf 70 Prozent ansteigen). Die
Herausforderung ist die Trennung der Zellulose in den Windeln von dem
Superabsorber, der die Flüssigkeit aufnimmt. Einem Team von Forschenden um
Dr. Anne Zeck, Gruppenleiterin am NMI Naturwissenschaftlichen und
Medizinischen Institut in Reutlingen, ist nun im Rahmen des Invest BW-
Projekts Encycling mit Hilfe von Enzymen ein Durchbruch gelungen.
Mischung von Zellulose und dem Superabsorber
Windeln sind ein sogenanntes Verbundmaterial. In ihrem Inneren befindet
sich eine Mischung von Zellulose, die in diesem Fall Watte-artig und für
ein möglichst angenehmes Tragegefühl notwendig ist, und dem sogenannten
Superabsorber, der aus dem Natriumsalz der Polyacrylsäure besteht und ein
Vielfaches des eigenen Gewichts an Flüssigkeit aufnehmen kann. Beide
Materialien sind für sich genommen gut recycelbar. Im Falle von Windeln
müssen sie aber zunächst entmischt werden. Das ist kompliziert – und
leider nicht bei allen Herstellern möglich.
Extrem zähflüssige Masse
„Wenn auf diese Mischung aus Zellulose und Superabsorber eine Flüssigkeit
kommt, entsteht daraus eine gelförmige Masse. Eine gute Durchmischung und
Behandlung der Masse mit Enzymen wird dadurch unmöglich“, schildert
Projektleiterin Anne Zeck. Durch Zugabe von Kalziumchlorid gibt der
Superabsorber die gebundene Flüssigkeit wieder ab. Die geschredderte
Windelmasse kann nun gut durchmischt werden.
Zellulose-Abbau ist nicht neu – in Windeln aber schon
Der nächste Schritt war die Suche nach Enzymen, welche den Zellulose-Abbau
übernehmen können. „Bei dieser Suche sind vor allem zwei Kriterien
wichtig: Aus einem riesigen Angebot an Enzymen mussten wir welche finden,
die in dem sehr speziellen Umfeld einer Windel zuverlässig in der Lage
sind, die Zellulose in lösliche Zuckermoleküle umzuwandeln. Zugleich
durften diese Enzyme aber nicht zu teuer sein, damit die Technik eine
realistische Chance hat, später auf dem Markt zu bestehen“, beschreibt
Anne Zeck die Herausforderungen. Bei dieser Suche unterstützte die Firma
Candidum.
0,7 Gramm Enzyme bauen 800 Gramm Zellulose ab
Ganze 0,7 Gramm der letztlich ausgewählten Enzyme gab das Team um Anne
Zeck auf 5,8 Kilogramm Windelmaterial, das sie zuvor geschreddert und mit
Wasser getränkt hatten – denn Windeln landen nun mal in gebrauchtem, also
feuchtem Zustand im Müll. Diese Mischung schüttelten sie mehrere Tage bei
50 Grad Celsius. In dieser Zeit bauten die Enzyme 800 Gramm Zellulose ab
und produzierten daraus Zucker, der mit der wässrigen Phase entfernt
wurde. Übrig blieben fünf Kilogramm des geschredderten Windelmaterials,
welches vorwiegend Superabsorber enthält.
Ein Meilenstein – dem weitere folgen müssen
Im nächsten Schritt wird die Firma ARCUS Greencycling in Technikumsmaßstab
(d.h. im Umfang größer als ein Laborexperiment, aber kleiner als ein
industrieller Produktionsprozess) testen, ob das Zellulose-arme
Verbundmaterial sich deutlich besser chemisch recyclen lässt. Vereinfacht
ausgedrückt geht es um die Frage, ob diese sogenannte Pyrolyse (das ist
die Aufspaltung des Verbundmaterials in seine ursprünglichen Rohstoffe)
und somit die Rückführung der Rohstoffe in den Kreislauf besser gelingt.
Für die Zucker-haltige Flüssigkeit sollen Wege geprüft werden, um diese
zukünftig stofflich nutzen zu können. Der Wasserverbrauch muss ebenfalls
noch optimiert werden. Denn erst dann wäre das Recycling wirklich
erfolgreich und sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll. Auf dem
Weg dorthin ist der erfolgreiche Einsatz der Enzyme in schwieriger
Umgebung nichtsdestotrotz ein Meilenstein.
Förderkennzeichen BW1_5021/02. Das Projekt Encycling wurde gefördert von
der Invest BW Innovationsförderung – Green Tech.
Über das NMI:
Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut in Reutlingen ist
eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und betreibt
anwendungsorientierte Forschung an der Schnittstelle von Bio- und
Materialwissenschaften. Es verfügt über ein einmaliges, interdisziplinäres
Kompetenzspektrum für F&E- sowie Dienstleistungsangebote für regional und
international tätige Unternehmen. Dabei richtet sich das Institut
gleichermaßen an die Gesundheitswirtschaft wie an Firmen aus dem
Fahrzeug-, Maschinen- und Werkzeugbau. Zugleich unterstützt das NMI aktiv
Ausgründungen aus dem Institut.
In der Forschung arbeitet das NMI mit zahlreichen hochkarätigen
Institutionen wie der Universität Tübingen, dem Universitätsklinikum
Tübingen und den Instituten der Innovationsallianz Baden-Württemberg
(innBW) zusammen.
Das NMI wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des
Landes Baden-Württemberg unterstützt und ist Mitglied der innBW, einem
Zusammenschluss von 12 außeruniversitären und wirtschaftsnahen
Forschungsinstituten.