Direktanstellungsgebot wie auf Schlachthöfen: Rechtsgutachten zeigt Kriterien für Übertragbarkeit auf weitere Branchen
„Scharfes Schwert“ gegen prekäre Arbeitsbedingungen
Direktanstellungsgebot wie auf Schlachthöfen: Rechtsgutachten zeigt
Kriterien für Übertragbarkeit auf weitere Branchen
In der Fleischbranche hat der Gesetzgeber durchgegriffen und für bessere
Arbeitsbedingungen gesorgt. Ein Vorbild für die Paketzustellung – und auch
für andere Wirtschaftsbereiche? Das lotet eine neue Studie aus, die das
Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-
Böckler-Stiftung gefördert hat.*
Die miserablen Arbeitsbedingungen von Migrant*innen, die zu extrem
niedrigen Löhnen bei langen Arbeitszeiten als Beschäftigte verschachtelter
Subunternehmer-Konstruktionen in deutschen Schlachthöfen schufteten, waren
nie ein Geheimnis. Doch erst die Corona-Ausbrüche in Fleischbetrieben im
Jahr 2020 lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Branche, in der
die Missachtung von Arbeitsschutzvorschriften an der Tagesordnung war. Die
Politik reagierte mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, einem Bündel von
Maßnahmen, die zum Teil rechtliches Neuland darstellten. Unter anderem
darf die Fleischindustrie heute keine Verträge im Kernbereich ihrer
Tätigkeit mit Subunternehmern mehr schließen, um an billiges Personal zu
kommen. Eine aktuelle Branchenstudie zeigt: Zwar lässt das Lohnniveau
immer noch zu wünschen übrig, doch insgesamt hat sich die Lage der
Beschäftigten deutlich verbessert.
Könnten und sollten Regelungen, die das Arbeitsschutzkontrollgesetz für
die Fleischwirtschaft trifft, auf andere Branchen mit prekären
Beschäftigungsbedingungen übertragen werden? Mit dieser Frage setzt sich
das neue Rechtsgutachten im Auftrag des HSI auseinander. Anneliese Kärcher
und Prof. Dr. Manfred Walser von der Hochschule Mainz haben Anhaltspunkte
herausgearbeitet, die dafür sprechen, dass der Gesetzgeber in einer
Branche mit dem „scharfen Schwert“ des Direktanstellungsgebots
durchgreifen kann, wie er es in den Schlachthöfen getan hat:
- Wesentliche Teile der Arbeitsleistung werden von Fremdpersonal erbracht,
etwa durch die Vergabe von Werk- oder Dienstverträgen an Subunternehmer
und an Soloselbstständige oder durch die Beschäftigung von
Leiharbeitskräften.
- Die Art des Personaleinsatzes führt zu Intransparenz und unklaren
Verantwortlichkeiten.
- Ein großer Teil der Beschäftigten ist in einer schwachen Position, zum
Beispiel wegen des Aufenthaltsstatus, eines geringen Ausbildungsniveaus
oder fehlender Sprachkenntnisse.
- In der Branche wird „in erheblichem Ausmaß“ gegen
Mindestarbeitsbedingungen verstoßen und illegale Beschäftigung ist an der
Tagesordnung.
- Die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen ist schwer zu
kontrollieren.
- Es fehlen die strukturellen Voraussetzungen, um Missstände mithilfe
„kollektivarbeitsrechtlicher Instrumente“ – wie etwa der Sozialkassen der
Bauwirtschaft – abzustellen.
- Es stehen keine „milderen“ Regulierungsinstrumente zur Verfügung, die
effektiv wären.
- Die Branche lässt sich klar abgrenzen.
In einer Gesamtschau dieser Branchenumstände, so Kärcher und Walser, wäre
ein Direktanstellungsgebot wie in der Fleischwirtschaft nach deutschem und
europäischem Recht zulässig – und nötig. Es würde nämlich für klare
Verantwortlichkeiten sorgen und so eine effektive Rechtswahrnehmung und
-durchsetzung ermöglichen. Nicht zuletzt könnte dann auch Mitbestimmung
effektiv ausgeübt werden, was in der Folge auch den Weg für Tarifverträge
ebnen könnte.
Dr. Ernesto Klengel, wissenschaftlicher Direktor des HSI, sagt: „Prekäre
Arbeitsbedingungen sind kein Naturgesetz, es gibt eine Reihe von
Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Das Gebot, dass Unternehmen die
Arbeitnehmer*innen, die sie im Betrieb einsetzen, selbst beschäftigen, ist
in vielen Branchen ein wirksames und effektives Instrument.“
Eine Branche, die die Kriterien für ein Direktanstellungsgebot erfüllt,
ist laut der Analyse von Kärcher und Walser die Paketzustellung. In
anderen Wirtschaftsbereichen mit prekären Beschäftigungsbedingungen, in
denen Fremdpersonaleinsatz keine Rolle spielt, etwa der
landwirtschaftlichen Saisonarbeit, lägen die Voraussetzungen dagegen nicht
vor. Um auch in solchen Branchen Verbesserungen zu erreichen, empfehlen
Kärcher und Walser stattdessen die Einrichtung „zentralisierter
Arbeitsinspektorate mit umfassenden Kompetenzen hinsichtlich der
Kontrolle, aber auch erweiterten Möglichkeiten zur Durchsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen“.