Transkranielle Pulsstimulation (TPS) bei Alzheimer: Wirksamkeit weiterhin nicht belegt
Aktualisierte Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Klinische
Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e. V.
Menschen mit Alzheimer und ihren Angehörigen wird seit einiger Zeit
Hoffnung gemacht: Die sogenannte Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird
als neue, scheinbar „bahnbrechende“ Therapiemethode angepriesen.
Verschiedene Medien haben darüber berichtet. Die gesetzlichen
Krankenkassen erstatten die Behandlung nicht, sie muss privat finanziert
werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle
Bildgebung (DGKN) e. V. hat die Datenlage bewertet und unter der
Federführung von Vorstandsmitglied Prof. Ulf Ziemann, Ärztlicher Direktor
der Abteilung Neurologie und Co-Direktor am Hertie-Institut für klinische
Hirnforschung der Universität Tübingen, eine aktualisierte Stellungnahme
ausgearbeitet. Das Resümee: Auch die im April 2025 neu veröffentlichte,
erstmals kontrolliert randomisiert durchgeführte Studie zur TPS bei
Menschen mit Alzheimer [1] liefert keinen eindeutigen
Wirksamkeitsnachweis. Es ist laut DGKN daher aktuell weiterhin nicht
gerechtfertigt, TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-
Erkrankung anzusehen und zu bewerben.
TPS: Transkranielle Ultraschall-Pulstherapie
Die Alzheimer-Krankheit ist trotz intensiver Forschung bislang unheilbar.
Sie zählt wie Parkinson oder Multiple Sklerose zu den neurodegenerativen
Erkrankungen und zeichnet sich durch einen fortschreitenden Verlust von
Nervenzellen aus. Dies führt zu einer Beeinträchtigung bestimmter
Hirnfunktionen wie zunehmendem Gedächtnisverlust oder Sprachstörungen.
Forschende der Universitätsklinik für Neurologie in Wien haben gemeinsam
mit der Firma Storz Medical AG die Transkranielle Pulsstimulation (TPS)
entwickelt. Die TPS ist eine gepulste ultraschallbasierte Methode zur
nichtinvasiven Stimulation des Gehirns. Eine spezielle Ultraschallsonde
emittiert sehr kurze (30 µs) Ultraschall-Pulse mit einer typischen
Frequenz von 5 Hz. Dem TPS-Konzept liegt eine mehr als zehnjährige
Forschungstätigkeit der Arbeitsgruppe um Prof. Roland Beisteiner von der
Universitätsklinik für Neurologie und Psychiatrie der Medizinischen
Universität Wien zugrunde.
Die neue Therapie, die umfangreich öffentlich beworben wird, soll die
Regeneration des Gehirns stimulieren. Laut Aussage der Studienautoren ist
es damit „weltweit erstmalig möglich, mit einem Ultraschall-Puls direkt am
Schädelknochen, nichtinvasiv, schmerzfrei und bei vollem Bewusstsein in
alle Bereiche des Gehirns vorzudringen und dort ganz gezielt Hirnareale
anzusteuern und diese zu aktivieren“. In einigen überregionalen
Medienberichten wird TPS bei Alzheimer als „bahnbrechender Fortschritt“
oder „Durchbruch“ bezeichnet. Die „Ärztliche Interessensgemeinschaft
Alzheimer-Demenz-Therapie“ bezeichnet die Methode unter www.alzheimer-
deutschland.de als „sicher und gut verträglich“. Dort sind auch die
internationalen Behandlungsstandorte gelistet.
Erste randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von TPS bei
Alzheimer
2025 wurde die erste durch eine Scheinstimulation kontrollierte
randomisierte doppelt verblindete Crossover-Studie bei n = 60 Patientinnen
und Patienten mit klinisch diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung im Alter
zwischen 51 und 82 Jahren publiziert [1]. Die Studie wurde unter anderem
von der Firma Storz Medical AG finanziert. Diese Firma hat auch bei der
Entwicklung des Studiendesigns beraten und eine Clinical Research
Organization (CRO) beauftragt, eine statistische Interimsanalyse
durchzuführen.
Die Behandlung umfasste entweder 6 Sitzungen mit transkranieller
Stimulation frontoparietaler Hirnregionen innerhalb von 2 Wochen oder eine
Scheinstimulation. Nach einer 4-monatigen Washout-Periode wurde die
jeweils andere Behandlung appliziert. Primärer Endpunkt der Studie war der
korrigierte Gesamtwert nach dem Consortium to Establish a Registry for
Alzheimers Disease (CERAD), ein spezifisch für Alzheimer-Patientinnen und
-Patienten validierter neurokognitiver Test.
Der über drei Monate nach der Stimulation nachbeobachtete primäre Endpunkt
zeigte einen signifikanten Anstieg (Besserung des CERAD) über die Zeit. Es
konnte bezogen auf die Gesamtpopulation aber keine signifikante
Interaktion zwischen Sitzung (die verschiedenen Messzeitpunkte vor und
nach Intervention) und Intervention (TPS vs. Scheinstimulation) gezeigt
werden, sodass ein Wirksamkeitsnachweis von TPS für den primären Endpunkt
deutlich verfehlt wurde.
Post-hoc-Analysen der Altersuntergruppen: Besserung nur bei Jüngeren
Die beiden Therapiegruppen (zuerst TPS, dann Scheinstimulation vs. zuerst
Scheinstimulation, dann TPS) unterschieden sich signifikant im Alter. Die
Gruppe, die zuerst TPS erhielt, war jünger. Das veranlasste die Autorinnen
und Autoren zu nicht geplanten Sekundäranalysen. Es zeigte sich eine
signifikante Interaktion, wenn zusätzlich zu Sitzung und Intervention noch
das Alter (< 70 Jahre vs. > 70 Jahre) als Variable eingeführt wurde.
Spezifisch für die Gruppe der Patientinnen und Patienten, die jünger als
70 Jahre waren, wurde eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und
Intervention gefunden, mit einer Verbesserung der kognitiven Leistung
ausschließlich nach echter TPS, nicht nach Scheinstimulation. Dieser
Effekt war in der Gruppe der Patientinnen und Patienten, die älter als 70
Jahre waren, nicht nachweisbar. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die
beobachteten Effekte allein durch Lerneffekte (bei in kurzen Intervallen
wiederholter Testung des CERAD) erklären lassen, die bei der Gruppe < 70
Jahre stärker ausgeprägt waren als bei der Gruppe > 70 Jahre. Zudem zeigt
die Studie eine große Gruppe von „non-Respondern“ (d. h. die
neurokognitive Leistung im CERAD wurde schlechter), insbesondere in der
Gruppe, die zuerst die Scheinstimulation und dann TPS erhielt.
Möglicherweise könnte TPS also jüngeren Menschen mit Alzheimer helfen,
aber unspezifische Effekte sind nicht ausgeschlossen. Die Autorinnen und
Autoren resümieren selbst: „Based on our data and given the large
interindividual variability, we suggest sample sizes exceeding 100
participants and longer follow-up periods to optimize future therapeutic
research“ [1].
Weitere publizierte Studien zu klinischen Effekten der TPS
Alle zuvor veröffentlichten Studien zur Wirksamkeit von TPS bei Alzheimer
[2-10] sind offene (d. h. nicht durch eine andere Intervention
kontrollierte) Fallserien, die den Evidenzgrad der einzigen randomisierten
kontrollierten Studie [1] nicht erhöhen.
Kritik am Studiendesign: dünne Studienlage und unklare Wirkung
Trotz interessanter Ergebnisse: Zahlreiche Kritiker, darunter die
Selbsthilfeorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. und
Forschende unterschiedlicher Universitäten, zweifeln an der Aussagekraft
der Studien und an der (Langzeit-)Wirkung der neuen Therapie. Auch die
DGKN sieht die neue Methode auf Basis der aktuellen Datenlage unverändert
kritisch. Prof. Ziemann fasst das Fazit und die Bewertung der DGKN wie
folgt zusammen: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so
gibt es derzeit keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen
Methode. Für einen Wirksamkeitsnachweis der neuen Therapie sind mittels
Scheinstimulation kontrollierte, randomisierte verblindete Studien mit
höherer Patientenzahl, Parallelgruppendesign und längerer
Nachbeobachtungszeit erforderlich. Die erste 2025 publizierte Studie [1]
geht hierin den richtigen Weg, die Ergebnisse zeigen gute Verträglichkeit
aber keinen Wirksamkeitsnachweis für den primären Studienendpunkt und
Einschränkungen in der Beurteilbarkeit der durchgeführten
Sekundäranalysen.“
Literatur
1. Matt et al. 2025, Ultrasound Neuromodulation With Transcranial Pulse
Stimulation in Alzheimer Disease: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw
Open 8:e2459170. doi:10.1001/jamanetworkopen.20
2. Beisteiner et al. 2020, Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound
in Alzheimer's Disease – A New Navigated Focal Brain Therapy. Adv Sci
(Weinh). 7:1902583
3. Matt et al. 2022, Transcranial pulse stimulation (TPS) improves
depression in AD patients on state-of-the-art treatment. Alzheimers Dement
(N Y). 10;8(1):e12245
4. Dörl et al. 2022, Functional Specificity of TPS Brain Stimulation
Effects in Patients with Alzheimer's Disease: A Follow-up fMRI Analysis.
Neurol Ther. 11(3):1391-1398
5. Cont et al. 2022, Retrospective real-world pilot data on transcranial
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13:948204. doi:10.3389/fneur.2022.948204
6. Fong et al. 2023, Transcranial pulse stimulation in the treatment of
mild neurocognitive disorders. Ann Clin Transl Neurol 10:1885-1890. doi:
10.1002/acn3.51882
7. Shinzato et al. 2024, Non-invasive sound wave brain stimulation with
Transcranial Pulse Stimulation (TPS) improves neuropsychiatric symptoms in
Alzheimer's disease. Brain Stimul 17:413-415. doi:
10.1016/j.brs.2024.03.007
8. Wojtecki et al. 2024, Electrical brain networks before and after
transcranial pulsed shockwave stimulation in Alzheimer's patients.
Geroscience 47:953-964. doi:10.1007/s11357-024-01305-x
9. Lo et al. 2024, Enhanced Cognition and Modulation of Brain Connectivity
in Mild Neurocognitive Disorder: The Promise of Transcranial Pulse
Stimulation. Biomedicines 12:2081. doi: 10.3390/biomedicines12092081
10. Radjenovic et al. 2025, A retrospective analysis of ultrasound
neuromodulation therapy using transcranial pulse stimulation in 58
dementia patients. Psychol Med 55:e70. doi:10.1017/s0033291725000406
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Gebiet voran. Sie ist aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-
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