DDG-Tagung 2025: STI in Zeiten zunehmender Resistenzen am Beispiel der Gonokokken
Partieller Schutz vor Tripper durch bestimmten Meningokokken-B-Impfstoff
Die Zahlen sexuell übertragbarer Krankheiten (STI) wie Gonorrhö, Syphilis
und Chlamydien steigen weiter an.
Gleichzeitig nehmen Resistenzen bei den
zur Behandlung und zur Prophylaxe eingesetzten Antibiotika zu. Welche
Entwicklungen sich auch für Deutschland abzeichnen, was eine
Sexualaufklärung zu STI für Kinder und Jugendliche leisten könnte, welche
Bedeutung bereits vorhandene Impfstoffe für die Prävention auch jetzt
schon haben könnten, diskutieren Expert:innen der Deutschen
Dermatologischen Gesellschaft e. V. (DDG) auf der Online-Pressekonferenz
am 29. April 2025 zur DDG-Tagung (30.04.-03.05.2025) in Berlin.
Nach Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)
nehmen sexuell übertragbare Infektionen (STI) in Europa drastisch zu. Die
Zahl der gemeldeten Fälle im Vergleich zum Vorjahr stieg im Jahr 2022
deutlich an: Gonorrhöe-Fälle um 48%, Syphilis-Fälle um 34% und die
Chlamydien-Fälle um 16%. Die Gonorrhö, bekannter unter dem Namen Tripper,
ist eine der häufigsten sexuell übertragbaren Infektion weltweit. Im Jahr
2018 war die Gonorrhö mit über 100.000 Infektionen aus 28 Ländern die
zweithäufigste gemeldete STI in der Europäischen Union. Für Deutschland
gibt es noch keine landesweiten Daten – eine Meldepflicht für Gonokokken-
Infektionen ist erst 2022 eingeführt worden. Aber Daten aus Sachsen
(Labormeldepflicht) zeigen, dass sich dort die Gonorrhö-Diagnoserate in
den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Die Gründe für den Anstieg und die
Verbreitung bei jungen, sexuell sehr aktiven Menschen und bei Männern, die
Sex mit Männern haben (MSM), sind vielfältig: „Sex ohne Kondom“ gehört
dazu. „Gonorrhö wird nicht immer gleich erkannt, viele Infizierte haben
keine Symptome, können den Erreger dann aber trotzdem weitergeben“, sagt
Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI
Gesellschaft (DSTIG) und Mitglied im Vorstand der DDG.
Zu den Komplikationen der Gonorrhö gehören Entzündungen des Hodens und
Nebenhodens oder der Prostata sowie Harnwegsverengungen bei Männern,
Entzündungen des weiblichen Genitaltrakts, Eileiterschwangerschaft und
Unfruchtbarkeit bei Frauen. Abhängig von der Sexualpraktik kann die
Gonorrhoe auch im Mund- oder Rachenraum sowie im Analbereich (hier oft
beschwerdefrei oder nur leichte Rötung und Reizung) auftreten. An einer
Gonorrhö kann man mehrmals erkranken.
Für die Behandlung der Gonorrhö gilt als Standardtherapie die Gabe des
Antibiotikums Ceftriaxon, bei dem sich der Resistenzanteil in Deutschland
in den letzten Jahren auf niedrigem Niveau jeweils unter 1% beläuft. In
China liegt die Rate jedoch in einigen Regionen schon bei 25%. Anders
sieht es bei dem bis vor einigen Jahren als First-Line-Antibiotikum
eingestuften Azithromycin aus. Hier stieg die Resistenz von 3,5% im Jahr
2018 auf 24,6% im Jahr 2023. „Wenn die Zunahme der Fälle voranschreitet
und zugleich die Wirksamkeit der eingesetzten Antibiotika schwindet, wird
die Gonorrhö in naher Zukunft unbehandelbar“, mahnt Brockmeyer. Zum Thema
antibiotische STI-Prophylaxe, die beim Schutz vor HIV- und Syphilis-
Infektion (Doxy-PrEP) durchaus sinnvoll sein kann, sagt Brockmeyer: „In
Deutschland sind aktuell unter 10% der Gonokokken empfindlich für
Doxycyclin. Entsprechend ist auch keine Schutzwirkung gegen Gonorrhö zu
erwarten.“
Wegen der hohen Krankheitslast der Gonorrhö und der besorgniserregenden
Resistenzsituation wäre eine Impfung das Nonplusultra. „Leider waren die
Versuche einer Gonorrhö-Impfung bislang nicht erfolgreich“, sagt
Brockmeyer. Umso aufmerksamer wurden STI-Fachleute durch die Ergebnisse
verschiedener Beobachtungsstudien, die auf eine Kreuzprotektion einer
Meningokokken-B-Vakzine gegen Gonorrhö hinweisen. Meningokokken können
eine gefährliche Hirnhautentzündung hervorrufen und sind mit den
Gonokokken, den Erregern der Gonorrhoe, verwandt. In den USA werteten
Forschende Daten von Gesundheitsämtern der Städte New York und
Philadelphia aus. Dabei verknüpften sie Daten von 167.706 (16- bis
23-jährigen Menschen) in den Jahren 2016-2018. Untersucht wurde das
Verhältnis von Gonokokken- und Chlamydien-Infektionen und dem jeweiligen
MenB-4C Impfstatus zum Infektionszeitpunkt. Drei Gruppen wurden
verglichen: Vollständig Geimpfte (mindestens zwei Impfungen mit MenB-4C),
unvollständig Geimpfte (nur eine MenB-4C Impfung) und Ungeimpfte. Es
zeigte sich, dass in den ersten sechs Monaten nach der letzten Impfung in
der Gruppe der unvollständig Geimpften 26% weniger Gonokokken-Infektionen
auftraten. In der Gruppe der vollständig Geimpften betrug die Reduktion
sogar 40% gegenüber der ungeimpften Gruppe.
Eine zweite Untersuchung zu den New York- und Philadelphia-Daten zeigte,
dass die Auswahl des MenB-Impfstoffs eine zentrale Rolle für den Schutz
vor Gonorrhoe spielt. So wurde diese Schutzwirkung nur für den 4CMenB-
(Bexsero®), aber nicht den MenB-fHbp-Impfstoff (Trumenba®) gezeigt. Die
DSTIG spricht sich dafür aus, Personen mit entsprechendem Bedarf – also
Menschen mit einem sehr aktiven Sexualleben, mit kondomlosen
Sexualkontakten und wechselnden Partnern – eine Impfung mit dem
tetravalenten 4CMenB-Impfstoff als zusätzliche Präventionsmaßnahme
anzubieten. „Anhand der aktuell vorliegenden klinischen Daten kann man
nicht abschließend einschätzen, ob eine breit angelegte Impfung sinnvoll
ist“, merkt Brockmeyer an. Darüber hinaus besteht ein zusätzlicher Benefit
in der Verminderung des Risikos einer invasiven Meningokokken
B-Erkrankung, von der gerade MSM in der Vergangenheit durch Ausbrüche, zum
Teil mit Todesfolge, betroffen waren.
„Eine breite Aufklärung zu STI, die bereits im Kindes- und Jugendalter
beginnt, ist die einzige mögliche Strategie“, merkt Professor Dr. med.
Julia Welzel, Direktorin der Klinik für Dermatologie und Allergologie am
Universitätsklinikum Augsburg, Medizincampus Süd, Tagungspräsidentin und
Präsidentin der DDG an. Informationen zu STI und dem Schutz vor
Infektionen z. B. durch den Gebrauch von Kondomen, die zumindest bis zu
60% vor sexuell übertragbaren Infektionen schützen, gehören auf den
Lehrplan. „Ich wende mich aber auch an die dermatologische Kollegenschaft:
Sprechen Sie alle Patientinnen und Patienten aktiv auf das Thema STI an
und informieren Sie über Präventionsmöglichkeiten“, appelliert die DDG-
Präsidentin.
Literatur:
ECDC’s Annual Epidemiological Report is available as a series of
individual epidemiological disease reports. https://www.ecdc.europa.eu/en
/publications-data/monitoring/
Brockmeyer NH et al., Stellungnahme der DSTIG zum Einsatz eines Impfstoffs
gegen Meningokokken der Serogruppe B (MenB) zur Vermeidung von Infektionen
mit Neisseria gonorrhoeae. Version 1; 2024
Abara WE, Bernstein KT, Lewis FMT, et al. Effectiveness of a serogroup B
outer membrane vesicle meningococcal vaccine against gonorrhoea: a
retrospective observational study. Lancet Infect Dis 2022;22:1021-1029.
DOI: 10.1016/S1473-3099(21)00812-4
Abara WE, Bernstein KT, Lewis FMT, et al. Healthy Vaccinee Bias and MenB-
FHbp Vaccine Effective-
ness Against Gonorrhea. Sex Transm Dis 2023;50: e8-e10. DOI:
10.1097/OLQ.0000000000001793
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Terminhinweise:
Online-Pressekonferenz zum Auftakt der 53. DDG-Tagung
Termin: Di, 29. April 2025, 11 bis 12 Uhr
Einwahllink: https://zoom.us/meeting/regist
Kenncode: 453384
Teilnahme an der Pressekonferenz:
Sie können unabhängig von einer Anmeldung zur DDG-Tagung an der Online-
Pressekonferenz teilnehmen! Entweder melden Sie sich zur Pressekonferenz
per Mail an (
Tagungsregistrierung/Anmeldung (Zur Registrierung) oder aber spontan am
Tag der Pressekonferenz via Zoom-Link und vorgeschaltetem Formular.
S09 Anogenitale Erkrankungen
Vorsitzende: Prof. Norbert Brockmeyer, Priv.-Doz. Dr. Ricardo Werner,
Prof. Wolf-Bernhard Schill
Termin: Do, 1. Mai 2025, 15:30 - 17:00 Uhr
Ort: Saal A4, CityCube Berlin
Programm [https://www.derma-tagungen.de
DE/session/118290]
K10 STI-Kurs der DSTIG: Klinik - Diagnostik - Therapie
Vorsitzende: Dr. med. Anja Potthoff, Priv.-Doz. Dr. med. Petra Spornraft-
Ragaller
Termin: Sa, 3. Mai 2025, 14:00 - 17:00 Uhr
Ort: M6, CityCube Berlin
Programm [https://www.derma-tagungen.de
DE/session/118328]