Von Badezimmer bis Buntstift und Backpapier, von Computer bis Kosmetika: Kunststoff, umgangssprachlich Plastik genannt, ist omnipräsent. Die Kehrseite: riesige Abfallmengen, Meere als Müllhalden – mit gravierenden Folgen für Menschen, Tiere, Pflanzen, Umw
Von Badezimmer bis Buntstift und Backpapier, von
Computer bis Kosmetika: Kunststoff, umgangssprachlich Plastik genannt, ist
omnipräsent. Die Kehrseite: riesige Abfallmengen, Meere als Müllhalden –
mit gravierenden Folgen für Menschen, Tiere, Pflanzen, Umwelt.
Über Wege
aus dieser Plastikflut diskutierte gestern Abend auf der Veranstaltung
„DBUgoesBrussels“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) in Kooperation
mit dem baden-württembergischen Umweltministerium ein hochkarätig
besetztes Podium in der Brüsseler Landesvertretung Baden-Württemberg bei
der Europäischen Union (EU). Seitens der EU-Kommission wies Umwelt-
Generaldirektorin Florika Fink-Hooijer auf Verbindungen zur organisierten
Kriminalität hin. Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker
forderte ein EU-Deponieverbot. Und DBU-Generalsekretär Alexander Bonde
nannte die Kreislaufwirtschaft „das Geschäftsmodell der Zukunft – für
Ökologie und Ökonomie“.
Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften in Kreisläufen
Ziel müsse es sein, viel mehr als bislang Kunststoffabfälle
wiederzuverwerten, so Bonde. „Das lineare Muster ,take-make-waste‘ – also
verbrauchen, verwenden, verschwenden – ist ein Auslaufmodell“, sagte er.
Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften klappe nur in Kreisläufen. „Die
umfassende Kreislaufwirtschaft muss künftig Kompass sein, auch für
Kunststoff. Eine solche Circular Economy reicht vom Produktdesign über
Müllvermeidung bis hin zum Wiederverwenden, Wiederverwerten, Teilen,
Reparieren und Recyceln.“ Eine kunststofffreie Welt sei zwar illusorisch,
so Bonde. „Denn etwa in der Medizin ist das Material unverzichtbar.“ Umso
mehr müsse man aber alles daransetzen, sowohl die Kunststoffproduktion zu
reduzieren als auch Primärkunststoffe durch recycelte Kunststoffe,
sogenannte Rezyklate, zu ersetzen. Laut Naturschutzorganisation Nabu
wurden allerdings 2023 von den bundesweit fast sechs Millionen Tonnen
Kunststoffabfällen lediglich etwa 52 Prozent stofflich verwertet. Der
Rest: verbrannt. Bonde: „Da müssen wir erheblich ambitionierter werden.“
Bonde: Umweltschutz und Kostenersparnis sind Win-Win im besten Sinn
Auf das enorme Potenzial der Circular Economy für Umwelt und Wirtschaft
wiesen auch Fink-Hooijer und Walker hin. Die EU-Generaldirektorin lenkte
dabei den Blick auf Ende 2026: Dann lege die EU das Gesetz über die
Kreislaufwirtschaft vor, den Circular Economy Act. Fink-Hooijer betonte
die wirtschaftliche Dimension dieser Transformation: „Europäische
verarbeitende Unternehmen geben derzeit mehr als doppelt so viel für
Material aus wie für Arbeit oder Energie. Kreislauforientierte Verfahren
können Kosten deutlich senken.“ Das sei auch der Ansatz der DBU-
geförderten Projekte, so Generalsekretär Bonde: „Es geht zum einen um
Ressourcen-, Rohstoff- und damit Umweltschutz. Zum anderen aber auch um
große Kostenersparnis für die Unternehmen. Das ist Win-Win im besten
Sinn.“ Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker ging noch weiter:
„Kreislaufwirtschaft ist das einzige Wirtschaftsmodell, das Wachstum,
Umwelt und Innovationen zusammenbringen kann.“
EU-Umwelt-Generaldirektorin Fink-Hooijer: Illegaler Transfer von
Plastikmüll finanziert Terrorismus
Wirtschaftliche Perspektiven ergeben sich laut Fink-Hooijer zudem durch
stärkere Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb fördere die EU Investitionen in
Wiederverwertungskapazitäten „und ermutigt die europäische Industrie, neue
nachhaltige Materialien zu entwickeln“. Weitreichende Wirkung verspricht
sich die EU von der für Ende 2025 geplanten Bioökonomie-Strategie. Große
Hoffnung setzt die Umwelt-Generaldirektorin zudem auf die Fortsetzung der
Verhandlungen über ein UN-Plastikabkommen im August 2025. Die EU werde
„intensiv die Verhandlungen über einen globalen Kunststoff-Vertrag in
Richtung einer international koordinierten Lösung mitgestalten“. Ein
solcher Weg scheint aus anderem Grund dringlich, worauf Fink-Hooijer neben
den Umweltauswirkungen der Plastikflut hinwies. Es gebe „direkte
Auswirkungen auf Sicherheit und Migration“: Der illegale Transfer von
Plastikmüll in Drittländer sei „oft auch Teil des organisierten
Verbrechens“ und finanziere Terrorismus.
Umweltministerin Walker: Das können wir uns ökonomisch und ökologisch
nicht mehr leisten
Ihr Plädoyer für mehr Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen verband Baden-
Württembergs Umweltministerin Thekla Walker mit zwei Forderungen: ein
Deponieverbot für Kunststoffe sowie eine Wertstoffsammlung – jeweils EU-
weit. Trotz Verwertungsverbots, so Walker, werde in der EU rund ein
Viertel aller Kunststoffabfälle auf Deponien entsorgt. Das Problem: solche
„Abfälle“ stünden für eine Circular Economy nicht mehr zur Verfügung.
Gravierender noch ein anderer Aspekt aus Walkers Sicht: Rund 42 Prozent
der Kunststoffabfälle in Europa werden nach ihren Worten verbrannt.
Walker: „Das können wir uns ökonomisch und ökologisch nicht mehr leisten.
Wir müssen das Recycling von Kunststoffabfällen stärken – nicht nur von
Verpackungen.“
Plastifizierter Planet mit kleinsten Mikro- und Nanoplastikteilchen
überall
Ein Blick in die Statistik verdeutlicht, was auf dem Spiel steht – in
Deutschland, in Europa, weltweit: Nach Angaben von Plastics Europe, dem
paneuropäischen Verband der Kunststofferzeuger, werden global jedes Jahr
etwa 414 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, davon 13 Prozent (54
Millionen Tonnen) in Europa und 2,3 Prozent (13 Millionen Tonnen)
bundesweit. Allein China hat demnach einen Anteil von mehr als 30 Prozent
an der globalen Kunststoff-Produktion, ganz Asien gar mehr als 50 Prozent.
Das alles hat Folgen: nämlich laut EU in Europa jährlich rund 26 Millionen
Tonnen Kunststoffabfälle – mit einer Recyclingquote von weniger als einem
Drittel. Weltweit wird der Anteil von Kunststoffen an Abfällen im Meer auf
mehr als 80 Prozent geschätzt, eine beträchtliche Menge: über 150
Millionen Tonnen, und bis zu 13 Millionen Tonnen Plastik kommen jährlich
hinzu. Mahnende Stimmen warnen vor einem „plastifizierten Planeten“, mit
kleinsten Mikro- und Nanoplastikteilchen überall: hoch auf dem Himalaya
und tief im Meer. Und im Menschen, von Herz und Hirn bis Lunge und Leber.
Eine Plastiktüte im Meer braucht 20 Jahre bis zur kompletten Zersetzung,
eine PET-Flasche etwa 450 Jahre. Schlimmer noch: Danach sinkt der
Kunststoff als Mikroplastik auf den Meeresgrund.