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Satelliten-Frühwarnsystem für Naturgefahren

Ein kleines Bergdorf im Patalganga Tal, welches nur zu Fuss oder per Esel erreichbar ist. Hier will das SLF eine automatische Kamera installieren, um die grosse Rutschung zu überwachen, die die Forschenden auch per Satellit beobachten.  Yves Bühler / SLF
Ein kleines Bergdorf im Patalganga Tal, welches nur zu Fuss oder per Esel erreichbar ist. Hier will das SLF eine automatische Kamera installieren, um die grosse Rutschung zu überwachen, die die Forschenden auch per Satellit beobachten. Yves Bühler / SLF
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SLF-Forschende schulen indisches Fachpersonal, mit Satellitendaten und
Computermodellen drohende Naturgefahren und potenziell betroffene Gebiete
zu erkennen. Ziel ist, Naturgefahrenprozesse im Himalaya besser zu
modellieren und Katastrophen vorzubeugen.

•  Satelliten erkennen Bewegungen: SLF-Forschende messen kleinste
Verschiebungen von Fels, Schutt und Eis. So lassen sich drohende Stürze
oder Abrüche oder Instabilitäten vermehrt frühzeitig erkennen.
•  Frühwarnsystem für den Himalaya: Wissenschafterinnen und Wissenschafter
helfen, Gefahrenhinweiskarten zu verbessern. Dazu schulen sie Fachkräfte
und nutzen moderne Simulations-Software.
•  Schutz vor Katastrophen: Satelliten- und Drohnendaten sowie darauf
basierende Computersimulationen helfen, Schäden an Infrastruktur zu
vermeiden.

Auf der Suche nach Bewegungen per Satellit: Radarsensoren aus dem All
liefern wichtige Informationen, wo sich Fels oder Schutt bewegen. Selbst,
wenn es nur um wenige Zentimeter geht. «Das kann dann bereits ein Hinweis
auf eine sich anbahnende Instabilität sein», sagt Yves Bühler, Leiter der
Forschungsgruppe Alpine Fernerkundung am SLF. Sein Team sucht genau solche
Gebiete, in denen ein Erdrutsch, Felssturz oder eine Eislawine droht.
Der Anspruch an die Forschungsgruppe ist gross: Bühler und sein Team
sollen Grundlagen liefern, um das System für Gefahrenhinweiskarten in
Indien zu reformieren. Ziel ist, sie auf ein vergleichbares Niveau zu
heben, wie es für die Schweiz existiert. Die Direktion für Entwicklung und
Zusammenarbeit DEZA unterstützt das Projekt mit 230’000 Schweizer Franken
und Personal vor Ort. «Diese Zusammenarbeit ist für die DEZA ein wichtiger
Beitrag zum Schutz der Bergbevölkerung im Himalaya vor Naturgefahren, die
durch den Klimawandel weiter zunehmen und die ärmsten und verletzlichsten
Menschen besonders stark treffen. Dank Schweizer Fachwissen wird eine
wichtige Basis geschaffen für die Weiterverbreitung der Methode im
Himalaya und anderen Bergregionen», sagt Riccarda Caprez,
Projektverantwortliche bei der DEZA und Programmverantwortliche
Klimaanpassung und Katastrophenvorsorge.
Dafür setzen die Forschenden auf die Kombination von Fernerkundung per
Satellit und Drohnen sowie die am SLF entwickelten Software RAMMS, und
zwar das Modul für die Simulation von Fels-Eis-Stürzen. Damit simuliert
das Team auf Basis der Daten aus dem All zahlreiche Prozesse. «Auf diese
Weise können wir abschätzen, wo etwas passieren könnte, das kann bald sein
oder aber erst in zehntausend Jahren», erklärt Bühler.
Ende November 2024 war er mit drei Kolleginnen und Kollegen nach
Uttarakhand in Indien gereist. Dort schulten sie lokale Expertinnen und
Experten darin, die Software zu nutzen und Gefahrenanalysen für ihre
Region zu erstellen.
Die Nachfrage war immens. Anstelle der erwarteten zwanzig bis dreissig
wollten mehr als doppelt so viele Personen an dem dreitägigen Kurs
teilnehmen. Kein Wunder, war es doch erst vor wenigen Jahren in der Region
zu einem tragischen Ereignis gekommen, der Katastrophe von Chamoli im Jahr
2021. «Das war ein extremes Kaskadenereignis», erklärt Bühler. Mit
Gletschereis bedeckter Fels stürzte aus einer Höhe von 6’000 m über dem
Meeresspiegel hinab und riss weiteres Eis und wassergesättigtes Geröll mit
ins Tal. Von dort drangen die Massen dann als Schlamm-Geröll-Lawine weiter
vor. Auf ihrem Weg zerstörte das Gemisch unter anderem zwei
Wasserkraftwerke. Rund 200 Menschen starben oder werden nach wie vor
vermisst.
Ein funktionierendes Frühwarnsystem und Hinweise, welche Gebiete gefährdet
sind, hätten einiges verhindern können. Auch auf politischer Ebene ist in
Indien daher das Interesse an besseren Methoden gross. Und die Betreiber
von Wasserkraftwerken in der Bergregion erhoffen sich von der Arbeit der
SLF-Wissenschafterinnen und Wissenschafter ebenfalls detailliertere
Angaben zur aktuellen Situation und über mögliche Gefahren für ihre
Anlagen und geplanten Projekte.
Solche Angaben wollen die SLF-Forschenden liefern. Mit Hilfe der RAMMS-
Software simulieren sie ausgewählte Prozesse. «Bedrohung wie in Chamoli
könnten mit den neuen Methoden und durchdachten Szenarien in Zukunft
vielleicht rechtzeitig erkannt und die Infrastruktur besser geplant und
geschützt werden», vermutet er. Die Kombination von Fernerkundung und
Modellierung soll künftig erlauben, vergleichbare Instabilitäten früher zu
erkennen und die Behörden und die Bevölkerung besser darauf vorzubereiten,
auch durch aktuelle Gefahrenhinweiskarten.
Zugutekommt den Forschenden die neue Generation von Radarsensoren, die
sich an Bord moderner Satelliten befinden. «Oberflächenverschiebungen
können damit heute vom Weltraum aus mit hoher räumlicher und zeitlicher
Auflösung erfasst und gemessen werden», sagt SLF-Wissenschafter Andrea
Manconi. Der Vorteil: Die Satelliten liefern auch Daten aus abgelegenen,
unzugänglichen Gebieten und dies auch bei schlechtem Wetter. Bis Ende 2025
läuft Manconis Projekt noch, bei dem er potenzielle Gefahren simuliert.
Dabei stützt er sich auf Erkenntnisse, die er beim Felssturz in Brienz
(GR) gewonnen hat: «Wir haben unsere Methoden in den Schweizer Alpen
erfolgreich getestet und validiert und können sie nun auch im indischen
Himalaya anwenden.»
Beispielsweise im Patalganga Tal bei Joshimath im Distrikt Chamoli im
indischen Bundesstaat Uttarakhand. Dort hat Manconi mit Hilfe von Radar-
Satellitendaten eine grosse Rutschung ausgemacht. Sollte sich diese
beschleunigen und rasch abgleiten, könnte sie den Fluss aufstauen, wie es
wahrscheinlich im Jahr 1970 schon einmal passiert ist. «Während des
Monsuns, wenn viel Wasser vorhanden ist, könnte der so aufgestaute See
ausbrechen und als grosse Schlamm-Geröll-Lawine die flussabwärts gelegenen
Wasserkraftwerke und Dörfer zerstören», beschreibt Manconi das
bedrohlichste Szenario. SLF-Forschende überwachen diese Rutschung nun aus
dem All, um rechtzeitig eine Beschleunigung zu erkennen.