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Relative Strangers. Die Dom Romani Gemeinschaft in Palästina. Interviewangebot mit Dr. Arpan Roy, ZMO

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Die Dom Romani Gemeinschaft in Palästina ist ein Beispiel für eine Gruppe,
die sich historisch und kulturell nicht in die Dichotomie einordnen lässt,
die in der deutschen öffentlichen Debatte oft das Thema Israel/Palästina
durchzieht. Der Anthropologe Dr. Arpan Roy forscht am Leibniz-Zentrum
Moderner Orient zum Christentum in der arabischen Welt.

Sein zuletzt
erschienenes Buch ist ‚Relative Strangers: Romani Kinship and Palestinian
Difference‘, das sich mit dem Leben der Dom Romani und ihrer sozialen
Lebensrealität in Palästina beschäftigt. Er untersucht in seinem Buch
sowohl die individuelle Geschichte der Gemeinschaft, als auch ihre
gegenwärtigen Lebensweisen.

Spätestens seit dem Angriff der Hamas auf Israel und dem darauffolgenden
Krieg in Gaza am 07. Oktober 2023, ist die Debatte um die Zukunft der
Region und seiner Bewohner*innen im Diskurs der breiten Öffentlichkeit
angelangt. Nach über 46.000 Toten und langen Verhandlungen, trat am 15.
Januar ein Waffenruhe-Abkommen in Kraft, das unter anderem die Freilassung
der nach Gaza verschleppten israelischen Geiseln sowie die von mindestens
1.900 palästinensischen Gefangenen, darunter Frauen und Kinder in
Administrativhaft, vorsieht.
In der Bundesrepublik hat das Thema für eine Polarisierung der
öffentlichen Debatte gesorgt, welche von einer nicht nur vereinfachten,
sondern auch historisch und kulturell inakkuraten Dichotomie durchzogen
ist. Unabhängig von der ideologischen und politischen Positionierung wird
in den meisten Auseinandersetzungen von einem Zwei-Parteien-Konflikt, bei
dem die Akteure klar gegensätzliche und unvereinbare Perspektiven und
Ziele haben. Dieses strikte binäre Narrativ, lässt kaum Raum für die
komplexen sozialen Realitäten, die in der Region tatsächlich existieren.
Die Dom Romani Gemeinschaft in Palästina, ist ein Beispiel für eine
Gruppe, die sich historisch und kulturell nicht in diese Dichotomie
einordnen lässt. Dr. Arpan Roy, ein Anthropologe, welcher zur Zeit am
Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin zum Christentum in der
arabischen Welt forscht, erklärt, „diese Mehrheiten-Minderheiten-
Einordnung ergibt in der arabischen Welt nicht wirklich Sinn […] Diese
Konzepte beruhen auf der europäischen Erfahrung“ und ließen sich daher
nicht so einfach auf Regionen, mit unterschiedlichen demografischen
Strukturen übertragen.
Sein zuletzt erschienenes Buch ist ‚Relative Strangers: Romani Kinship and
Palestinian Difference‘, das sich mit dem Leben der Dom Romani und ihrer
sozialen Lebensrealität in Palästina beschäftigt. Für seine intensive
Forschung nutzte er unter anderem zeitaufwändige ethnografische Methoden,
wie „tiefgehende teilnehmende Beobachtung“, welche ein langfristiges,
menschennahes, informelles Eintauchen in eine Gruppe von Teilnehmenden,
mit Diskussionen über ihr Erlebtes auf Augenhöhe beschreibt. Er sprach in
diesem Prozess mit NGO-Mitarbeiter*innen, religiösen Autoritäten,
Lehrer*innen und Vertreter*innen der Stadtverwaltung, sowie vielen
verschiedenen Familien. Auf die Gemeinschaft aufmerksam gemacht, hatte ein
zufälliges Gespräch in einer Bar in Ramallah.

Roy untersucht in seinem Buch sowohl die individuelle Geschichte der
Gemeinschaft, als auch ihre gegenwärtigen Lebensweisen. Die Dom Romani
waren lange Zeit in der gesamten Region des historischen Palästinas
präsent, bevor sie wie viele andere Palästinenser*innen im Zuge der Nakba
1948 aus vielen Teilen des Landes vertrieben wurden. Dies führte zu einer
Konzentration ihrer Population in zwei Hotspots: Jerusalem und Gaza. In
den Jahren darauf veränderte sich ihre Lebensweise unter anderem durch die
Niederlassung in permanenten Wohnungen. Und um die 1990er Jahre gingen
weniger Menschen traditionellen Beschäftigungen, wie Musik,
Metallverarbeitung und Zahnmedizin nach. Ihr öffentliches Leben trat
zunehmend in den Hintergrund, während Traditionen innerhalb der Familien
weitergeführt wurden. Trotz der allgemeinen Vertreibungen, die
Palästinenser*innen jeder ethnischen Gruppe erlebten, blieb ihre
demografische Stabilität erhalten. Roy erklärt, dass das auch an der hohen
Zahl innerfamiliärer Ehen läge, deren Anstieg mit den regelmäßigen
israelischen Aggressionen und dem Bedürfnis seine Gruppenidentität zu
bewahren zusammenhänge.
Mit der Blockade des Gazastreifens 2007, veränderten sich die Lebensräume
der Dom Romani erneut, wodurch viele Familien aus Gaza nach Ramallah
flohen. Auch die Dom Romani aus Jerusalem migrierten mit der Zeit,
aufgrund der dort zunehmenden Repressionen der israelischen Regierung, die
sich in Wohn- und Baurestriktionen ausdrückten, in die Gebiete in und um
Ramallah, wodurch sie heute eine relevante demografische Gruppe in der
Region darstellen.
Ihre Existenz und Differenz zu anderen palästinensischen Gruppierungen
„gefährdet jedoch nicht die Lebensfähigkeit der palästinensischen Sache“,
so Roy. Vielmehr zeige ihr Fall, dass in Palästina eine Form von
Pluralismus existiert, die nicht auf Spaltung basiert, wie oft im
westlichen Mainstream angenommen wird. Relative Strangers macht nicht nur
eine Perspektive sichtbar, die oft ignoriert wird, es dient auch als ein
Plädoyer für uns alle, ein Bewusstsein und Verständnis der sozialen
Realitäten im Nahen Osten herzustellen. In Zeiten wie dieser, in der
inakkurate, binäre Narrative den Diskurs über Palästina bestimmen, ist es
umso wichtiger, Stimmen und Lebensrealitäten von Menschen sichtbar zu
machen, die sich nicht in diese festgelegten Kategorien einfügen lassen
und zu hinterfragen, wie zeitgemäß diese Kategorien vielleicht überhaupt
noch sind.

Originalpublikation:
https://doi.org/10.3138/9781487558734

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