Mit KI-generiertem Netzhaut-Screening zur kardiovaskulären Risikovorhersage
KI beim augenärztlichen Routine-Check ermöglicht, Wahrscheinlichkeit für
schwerwiegende Ereignisse bei Menschen mit Typ-2-Diabetes einzuschätzen
Etabliert in der Diagnostik diabetischer Augenerkrankungen sind die
Untersuchung der Retina mit Augenspiegel oder Lupensystemen und die
Darstellung von Zellschichten, Flüssigkeitsansammlungen und Blutgefäßen
der Netzhaut mit Fluoreszenzangiografie, optischer Kohärenztomografie oder
OCT-Angiografie. Klinisch erprobt und rasant entwickeln sich KI-gestützte
Screening-Tools, um diabetische Netzhautveränderungen rechtzeitig
festzustellen. KI-Verfahren zur Abschätzung des kardiovaskulären (CV)
Risikos bei Menschen mit Typ-2-Diabetes über die Netzhaut sind eher neu.
Eine diabetische Retinopathie gilt als Prädiktor für CV-Ereignisse und
vorzeitigen kardiovaskulären Tod (CVD). Im fortgeschrittenen Stadium der
Retinopathie verdoppelt sich das Risiko.
Retina-Score mit erhöhtem 10-Jahres-MACE-Risiko assoziiert
Die Vorhersage unerwünschter CV-Ereignisse könnte jetzt mit KI im Routine-
Screening der Netzhaut einfacher und präziser werden, zeigt eine kürzlich
in Cardiovascular Diabetology publizierte Studie. Darin wurden 6127
Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne Herzinfarkt oder Schlaganfall in der
Vorgeschichte eingeschlossen. Neben Berechnung des 10-Jahres-CVD-Risikos
mittels PCE (Pooled Cohort Equation)-Risiko-Sore erfolgte ein polygener
Risiko-Score (PRS) für die koronare Herzkrankheit. Die Analyse der
Netzhautaufnahmen wurde anhand eines EfficientNet-B2-Netzwerks
durchgeführt, um das 10-Jahres-CVD-Risiko einzuschätzen. Primäres
Studienziel war die Zeit bis zum Auftreten des ersten schwerwiegenden CV-
Ereignisses (MACE), einschließlich kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt
oder Schlaganfall. Bei 1241 Patienten (mittleres PCE-10-Jahres-CVD-Risiko
35 %) lag eine hohe Korrelation zwischen dem retinal vorhergesagten CVD-
Risiko und dem PCE-Risiko-Score (r = 0,66) vor, nicht aber mit dem PRS (r
= 0.05). Ein höheres durch die Retina vorhergesagtes Risiko war
signifikant mit einem erhöhten 10-Jahres-MACE-Risiko assoziiert (HR 1,05
pro 1 % Anstieg; 95 % CI 1,04-1,06, p < 0,001). Die Studie belegt: Mit
einem Deep-Learning-KI-Modell kann MACE im Retina-Screening genau
vorhergesagt werden. Das ermöglicht eine Risikobewertung für CV-Ereignisse
bei Routine-Untersuchungen der Netzhaut, schlussfolgern die Autoren.
KI kann Diagnostik beschleunigen
Eine optimistische Einschätzung zum Nutzen von KI beim Retinopathie-
Screening zur Vorhersage kardiovaskulärer Ereignisse kommt von Experten
der Diabetologie und Ophthalmologie. Mit KI könne es schneller gehen, als
über traditionelle Wege der Risikoerfassung, sagt Professor Diethelm
Tschöpe von der Stiftung DHG in Düsseldorf. „Viele Instrumente, die in der
klinischen Routine standardisiert eingesetzt werden, auch z.B. Framingham
oder andere Scores, sind zeitraubend. Und Zeit ist das, was Ärzten fehlt,
worunter nicht selten die Sorgfalt in der Diagnostik leidet“, ergänzt
Tschöpe. Die Studie sei ein weiteres Beispiel, welches Potenzial in KI
stecke, meint Privatdozent Hans-Joachim Hettlich von der Augenklinik am
JWK Minden, der auch die Stiftung DHG fördert. Bei der Suche nach
Netzhautschäden werde schon länger auf KI-gestützte Diagnostik gesetzt, um
betroffene Patienten frühzeitig zu entdecken. „Ein Problem ist aber, dass
wir Patienten in vielen Fällen zu spät sehen“, so der Ophthalmologe. Nur
etwa die Hälfte der Menschen mit Typ-2-Diabetes ließen sich wie vorgesehen
alle zwei Jahre augenärztlich untersuchen. Zudem würden Ärzte ihre
Patienten oft erst schicken, wenn Krankheitsstadien weit fortgeschritten
sind. „Alles steht und fällt mit dem Zeitpunkt der Diagnose und der
Möglichkeit zu einer Therapie“, fassen Tschöpe und Hettlich zusammen. Hier
könne KI zumindest als Add-on einen Beitrag leisten, schneller zur
Diagnose zu kommen oder Risiken einzuordnen. „Das ersetzt nicht die
ärztliche Leistung mit Untersuchung von Patienten, Ergebnis-interpretation
und Therapieentscheidungen, die zu treffen sind.“ KI ergänze den
diagnostischen Werkzeugkoffer.
Die Stiftung DHG (Diabetes I Herz I Gefäße) wurde 1999 mit dem Auftrag
gegründet, zum Krankheitsverständnis beizutragen, Menschen über das Herz-
und Gefäßrisiko aufzuklären und den Dialog zwischen behandelnden Ärzten
über Fachgrenzen hinaus zu fördern. Vier Endokrinologen und Diabetologen,
fünf Kardiologen und drei Neurologen gehören zum Vorstand. Das Team der
gemeinnützigen Stiftung engagiert sich ehrenamtlich und hält an den
Prinzipien Wissenschaftlichkeit, Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit fest.
Ziel der Stiftung ist es auch, Forschung voranzubringen und die Versorgung
zu verbessern.
Originalpublikation:
Syed MG, Trucco E, Mookiah MRK, Lang CC, McCrimmon RJ, Palmer CNA, Pearson
ER, Doney ASF, Mordi IR. Deep-learning prediction of cardiovascular
outcomes from routine retinal images in individuals with type 2 diabetes.
Cardiovasc Diabetol. 2025 Jan 2;24(1):3. doi:10.1186/s12933-024-02564-w