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Die Volkszählung der Schmetterlinge: 20 Jahre Tagfalter-Monitoring Deutschland

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Seit 20 Jahren sind engagierte Bürger:innen in Deutschland ehrenamtlich
unterwegs, um die Vorkommen der populären Insekten zu erfassen.

Dieses
„Tagfalter-Monitoring Deutschland“, das von UFZ-Wissenschaftler:innen und
Mitgliedern der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) 2005 ins Leben
gerufen wurde, hat seitdem nicht nur viele wertvolle Informationen über
die Schmetterlingswelt geliefert – sondern auch dazu, wie Landnutzung und
Klimawandel den Zustand der Natur insgesamt verändern.
Zum Jubiläum findet am 15. März 2025 eine Festveranstaltung im Anschluss
an den Falter-Workshop statt, zu dem sich einmal pro Jahr über 200
Schmetterlingsexpert:innen aus ganz Deutschland im UFZ treffen.

„Leben allein genügt nicht“, sagte der Schmetterling. „Sonnenschein,
Freiheit und eine kleine Blume muss man auch haben.“ Was Hans Christian
Andersen seinem flatternden Protagonisten in den Mund gelegt hat, klingt
aus heutiger Sicht vielleicht ein bisschen zu bescheiden. Aber der Däne
war ja auch kein Ökologe, sondern Dichter und Märchen-Autor. Da musste er
nicht unbedingt auf dem Schirm haben, dass Schmetterlinge auch auf einen
intakten Lebensraum und passende Klimabedingungen angewiesen sind.
Genau daran mangelt es zunehmend. Welche Konsequenzen aber haben steigende
Temperaturen und eine veränderte Landnutzung für die Artenvielfalt? Für
Schmetterlinge lassen sich solche Fragen mittlerweile deutlich besser
beantworten als für die meisten anderen Insekten. Dazu hat ein sehr
erfolgreiches Projekt beigetragen, das im März 2025 seinen 20. Geburtstag
feiert: Das „Tagfalter-Monitorings Deutschland“ (TMD). In diesem Projekt
sind zwischen April und September jedes Jahr Hunderte von Bürgerinnen und
Bürgern unterwegs, um Informationen über die Vorkommen und Häufigkeiten
der Tiere zusammenzutragen. Regelmäßig gehen sie dazu eine festgelegte
Strecke von bis zu einem Kilometer Länge ab und erfassen nach einem
einheitlichen Verfahren sämtliche tagaktiven Falter, die ihnen unterwegs
begegnen.

Einer der Gründungsväter ist Prof. Josef Settele, Agrarökologe,
Schmetterlingsexperte am UFZ und Vorsitzender der GfS. In anderen Ländern
gab es solche Projekte schon länger, vor allem in Großbritannien hat das
ehrenamtliche Falterzählen eine lange Tradition: Das „UK Butterfly
Monitoring Scheme“ gibt es schon seit 1976. Doch auch in den Niederlanden
hatte man gute Erfahrungen mit dem 1991 gestarteten „Landelijk Meetnet
Dagvlinders“ gemacht. Warum also nicht auch in Deutschland eine
bundesweite Falter-Fahndung auf die Beine stellen?
Zusammen mit der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) startete das
UFZ 2005 dann eine entsprechende Initiative, gemeinsam mit dem Bund für
Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und dem ZDF als Projektpartner,
das unter dem Slogan „Abenteuer Schmetterling“ ausführliche Informationen
und einen Aufruf zum Mitmachen ausstrahlte – offenbar mit Erfolg.

Das TMD – eines der erfolgreichsten Langzeitmonitoring-Projekte mit
ehrenamtlich Forschenden in Deutschland

Seit Beginn des Tagfaltermonitorings wurden fast 4,4 Millionen Tagfalter
auf insgesamt 1.620 Zählstrecken, den so genannten Transekten, gezählt.
Die ehrenamtlichen Forschenden haben in über 130.000 Begehungen auf ihren
Zählstrecken nahezu 55.000 Kilometer zurückgelegt. Pro Jahr laufen sie
rund 600 über ganz Deutschland verteilte Transekte ab. Darunter sind
völlig unterschiedliche Menschen – von Schulklassen bis zur 94-jährigen
Seniorin. Die Mehrheit ist zwar über 50, aber Nachwuchssorgen hat das
Projekt nicht. Doch nur Werbung zu machen, reicht natürlich nicht aus, die
Teilnehmenden müssen auch betreut werden. „Ganz wichtig für unseren Erfolg
war, dass wir für die Zählerinnen und Zähler von Anfang an in der Biologin
Elisabeth Kühn eine feste Ansprechpartnerin am UFZ hatten“, betont Josef
Settele. Als Projektkoordinatorin sorgt sie dafür, dass Interessierte die
notwendigen Informationen bekommen und Fragen rasch beantwortet werden.
Für Gruppen wird auch schon mal eine Schulung organisiert. Auch die
Tagfalter-Workshops, die das Team des UFZ und der Gesellschaft für
Schmetterlingsschutz (GfS) seit 1999 jedes Frühjahr in Leipzig organisiert
und an denen alle Interessierten teilnehmen können, kommen gut an. Genau
wie die Jahresberichte und Newsletter, die Elisabeth Kühn regelmäßig
erstellt und verschickt. Darin berichtet sie unter anderem über
wissenschaftliche Veröffentlichungen, die aus den TMD-Daten entstanden
sind. Ihrer Erfahrung nach ist ein solches fachliches Feedback sehr
wichtig, um die Zählerinnen und Zähler auch langfristig zu motivieren:
„Die Leute wollen sehen, dass ihr Engagement sinnvoll ist und wir mit
ihren Daten wirklich etwas anfangen.“
Die Relevanz dieser von den Ehrenamtlichen erhobenen Daten für die
Wissenschaft ist mittlerweile unbestritten. Denn Universitäten und
Forschungseinrichtungen stellen dafür einfach nicht genug Personal und
Geld zur Verfügung. Und Bedenken in Bezug auf die Qualität der Daten sind
längst ausgeräumt. Denn es hat sich gezeigt, dass das Niveau der Expertise
unter allen Mitstreitenden enorm ist. Zudem spürt die automatische
Qualitätskontrolle in Verbindung mit der Überprüfung der Daten durch
Wissenschaftler:innen am UFZ einen gelegentlich falsch bestimmten Falter
in aller Regel auf.

Tagfalter als Indikatoren / Ergebnisse und Trends

Tagfalter sind sehr gute Indikatoren für Umweltveränderungen. Denn viele
von ihnen haben recht spezielle Ansprüche an das Klima und die Vegetation
ihres Lebensraums. Sobald da etwas in Bewegung gerät, reagieren sie
prompt: Da eine Schmetterlingsgeneration meist nur ein paar Monate bis
maximal ein Jahr lebt und entsprechend wenig Zeit für die Fortpflanzung
braucht, wachsen oder schrumpfen die Bestände oft relativ schnell.
„Allerdings sollte man wissen, dass die Zahlen auch von Natur aus stark
schwanken können“, sagt Josef Settele. Wenn die Vorkommen einer Art zwei
oder drei Jahre lang zurückgehen, muss das also nicht unbedingt ein
Alarmzeichen sein. Wer echte Trends aufspüren will, muss daher Jahrzehnte
lang Daten sammeln – und das auch noch in möglichst vielen Gebieten.

Die Informationen aus den zwanzig Jahren Tagfalter-Monitoring reichen
deshalb noch nicht aus, um die Populationsentwicklung aller Schmetterlinge
einzuschätzen. Doch in vielen Fällen klappt das schon. „Von den 178
Tagfalterarten, die in Deutschland als etabliert gelten, erfassen wir
ungefähr 120. Der Rest ist dermaßen selten bzw. kommt in so speziellen
Habitaten bzw. Regionen (z.B. nur in den Alpen) vor, dass sie im
Monitoring bislang nicht erfasst werden“, sagt Elisabeth Kühn. „Und für 82
Falterarten davon ist die Datenlage gut genug, um Trends zu berechnen.“
Die Ergebnisse fallen nicht sonderlich positiv aus. Zwar nehmen einige
wärmeliebende Arten wie der Mauerfuchs, der Kleine Perlmutterfalter oder
der Aurorafalter zu. Betrachtet man die Entwicklung aller Arten, zeigen
die Transektdaten insgesamt allerdings einen Abwärtstrend: „18 Arten
nehmen zu, 28 Arten haben ihr Niveau gehalten und 36 Arten nehmen ab“,
resümiert Josef Settele. Dabei sei allerdings zu bedenken, dass es sich
bei den Arten, deren Bestände zugenommen haben, eher um weit verbreitete
Arten handelt. Viele Spezialisten, denen es deutlich schlechter gehe,
könnten noch nicht ausgewertet werden.
Trend-Berechnungen gibt es mittlerweile nicht nur für Deutschland. In ganz
Europa engagieren sich rund 6.000 ehrenamtliche
Schmetterlingszähler:innen. In dem sie alle nach der gleichen Methode
arbeiten, sind die Daten vergleichbar und können auch europaweite
Entwicklungen in der Falterwelt sichtbar machen.

Impact in die Politik

Trends lassen sich nicht nur für einzelne Arten, sondern auch für die
Bewohner bestimmter Lebensräume berechnen. Genau das ist die Idee hinter
dem „Index der Grünlandschmetterlinge“. Er wird auf Basis von
Monitoringdaten berechnet, die u.a. aus dem Tagfalter-Monitoring
Deutschland (TMD) kommen, und spiegelt die relativen Bestandstrends von 17
typischen Bewohnern von Wiesen und Weiden wider. Wenn sich die positiven
und negativen Trends bei diesen Arten etwa die Waage halten, bleibt der
Indikator auf dem gleichen Niveau. Gehen mehr Arten zurück, als im
gleichen Zeitraum zunehmen, sinkt der Wert – und umgekehrt. Niedrigere
Werte bedeuten also größere Probleme für die Grünlandbewohner. „Dieser
Indikator zeigt anschaulich, wie sich wohl vor allem die Landnutzung auf
die Artenvielfalt auswirkt“, sagt Elisabeth Kühn.
Auf europäischer Ebene wird er künftig eine sehr wichtige Rolle spielen.
Denn die „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ (Nature Restoration
Regulation / NRR), die im Juni 2024 mit knapper Mehrheit im EU Ministerrat
verabschiedet wurde, sieht für die gesamte EU verbindliche Ziele für die
Renaturierung verschiedener Ökosysteme vor. Zwei Jahre nach Inkrafttreten
der Verordnung müssen die Mitgliedsstaaten Pläne darüber vorlegen, wie sie
diese Ziele erreichen wollen. Zudem müssen sie den Erfolg ihrer Maßnahmen
dokumentieren.
Letzteres ist allerdings gar nicht so einfach. Denn es gibt bisher nur
wenige Indikatoren, die den Zustand der Biodiversität zuverlässig anzeigen
können. In der Verordnung sind drei davon vorgesehen: Der Vorrat an
organischem Kohlenstoff in Ackerböden und die Strukturvielfalt der
Landschaft (als indirekte Indikatoren) und als einziger direkter, weil
konkret an Arten ausgerichteter Indikator, der “Index der
Grünlandschmetterlinge“, in den die Daten des TMD einfließen. „Für uns ist
das eine echte Erfolgsgeschichte“, sagt Josef Settele. „Es ist ja sehr
selten, dass Projektergebnisse in ein Gesetz münden.“

Mehr Informationen:
Programm Festveranstaltung:
https://www.ufz.de/export/assets/1d37e704b6a63ab0a4ead1d70ccdb35a5d320d46.pdf

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