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Hannover Messe: Implantat-Roboter mit Minimotoren finden Platz in Knochennägeln

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Ein Team aus Ingenieurwissenschaft und Medizin entwickelt an der
Universität und am Universitätsklinikum des Saarlandes smarte Implantate,
die bei Knochenbrüchen im Körper die Heilung überwachen und fördern.

Die
robotischen Implantate können sich durch Formgedächtnistechnologie am
Knochen versteifen und weich werden. Sie erlauben permanente Kontrolle, ob
der Bruch verheilt. Im Rahmen eines EU-Projekts miniaturisiert das
Forschungsteam die Technik, die auch in Marknägeln unterkommen soll. Die
Experten für intelligente Materialsysteme Stefan Seelecke und Paul Motzki
demonstrieren das Verfahren auf der Hannover Messe vom 31. März bis 4.
April. Saarland-Stand, Halle 2, B10.

Bricht man sich einen der großen Röhrenknochen, also etwa das Schienbein,
kann ein Marknagel zum Einsatz kommen. Entgegen dem brachial anmutenden
Namen ist dieser Eingriff vergleichsweise sanft: Ein langer Nagel, der
durch das weiche Knochenmark getrieben wird, stabilisiert fortan den
Knochen von innen, damit dieser heilen kann. Anders als bei einer
Implantatplatte, die von außen am Knochen angebracht wird, muss der Bruch
nicht in einer Operation freigelegt werden. Es genügt im Wesentlichen ein
kleiner Schnitt am Ende des Knochens. „Das Gewebe und die Durchblutung um
die Fraktur bleiben unangetastet, was für die Heilung vorteilhaft ist.
Außerdem dürfen die Patienten das Bein sofort voll belasten, sie werden
schneller mobil und es gibt weniger Komplikationen“, erklärt die Expertin
für Frakturheilung Bergita Ganse, Professorin für Innovative
Implantatentwicklung an der Universität des Saarlandes.

Gemeinsam mit dem Ingenieurteam der Professoren Paul Motzki und Stefan
Seelecke am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema)
arbeitet die Unfallchirurgin daran, diesen Marknägeln neue Eigenschaften
zu geben: Sie sollen permanent Informationen in Form von Messdaten vom
Frakturspalt senden und damit von Beginn an sichtbar machen, ob der
Knochen heilt. Bislang ist dies nur durch gelegentliche Röntgenbilder
möglich. Zum anderen sollen sich die Nägel im Knochen an der Bruchstelle
bewegen, genauer gesagt versteifen und wieder weich werden. Will der
Patient gehen, hat er so die volle Stabilität des festen Marknagels, ruht
er sich aus, kann er ihn via Smartphone-App weich stellen. Diese Phase ist
Voraussetzung für eine heilsame Innovation: „Unser Ziel ist, dass der
Marknagel aktiv die Heilung fördert. In der weiteren Entwicklung soll er
mit einer Mikro-Massage am Frakturspalt Wachstumsanreize für neues
Knochengewebe setzen“, sagt Bergita Ganse.

Bei Implantatplatten ist dies dem Forschungsteam bereits gelungen: Diese
messen die Kräfte am Frakturspalt und verformen sich eigenständig so, dass
die Belastung optimiert und die Knochenheilung verbessert wird. Die
Forscherinnen und Forscher entwickeln solch smarte Implantate bereits seit
über fünf Jahren in einem Projekt, das die Werner Siemens Stiftung mit
acht Millionen Euro fördert.

Nun miniaturisiert das Team die Technologie, damit sie etwa auch in den
Marknägeln unterkommt. „Die Ergebnisse, die wir mit der Frakturplatte
gewonnen haben, fließen in die neuen Implantate ein“, erklärt Paul Motzki,
Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion der
Universität des Saarlandes und Zema-Geschäftsführer. Gefördert wird das
Vorhaben von der EU im Programm Horizon Europe im Rahmen des 21-Millionen-
Forschungsprojekts Smile (Smart implants for life enrichment), bei dem 25
renommierte Institutionen aus zwölf europäischen Ländern erforschen, wie
man ältere Menschen vor Krankheiten des Bewegungsapparats schützen kann.

Um die Technologie im nur wenige Millimeter breiten Inneren des Nagels
unterzubringen, musste sich das Ingenieurteam von Paul Motzki und Stefan
Seelecke einiges einfallen lassen. „Der Mechanismus, der dafür sorgt, dass
sich das Implantat im Inneren des Knochens genau an der Bruchstelle
versteift, darf an dieser Stelle nicht zu einer Verdickung führen“,
erklärt Paul Motzki die Herausforderung. Sonst könnte die ohnehin fragile
Bruchstelle Schaden nehmen. Heraus kam ein patentierter
Bewegungsmechanismus: Zwei gegeneinander arbeitende Minimotoren ziehen
einen Stab mit kegelförmigem Kopf in die passende Öffnung eines weichen,
elastisch verformbaren Kunststoffs hinein, halten ihn dort zuverlässig und
ziehen ihn wieder heraus. Zieht der eine Minimotor den Kegel ins Innere
dieses Elastomers, versteift sich der Marknagel an dieser Stelle, dehnt
sich aber nicht aus. Zieht der andere Minimotor den Stab wieder heraus,
wird der Marknagel weich.

Die Minimotoren für dieses Vorhaben sind haarfeine Drahtbündel aus der
Formgedächtnislegierung Nickel-Titan. „Wir nutzen diese Drahtbündel als
Antriebe auf sehr kleinem Raum, in diesem Fall zum Ziehen des Stabs im
Marknagel. Die Drahtbündel erreichen in winzigen Dimensionen hohe
Zugkraft. Nickel-Titan-Drähte haben von allen Antriebsmechanismen die
höchste bekannte Energiedichte“, erklärt Paul Motzki. Je nachdem, ob kurze
Stromimpulse durch die Drähte fließen oder nicht, verkürzen sie sich oder
werden wieder lang. Der Grund liegt im Kristallgefüge der Legierung:
„Nickel-Titan besitzt zwei Kristallgitter, die sich ineinander umwandeln
können“, erklärt Paul Motzki. Das eine der beiden Kristallgitter ist
kürzer als das andere. Fließt Strom, erwärmt sich der Draht, seine
Kristallstruktur wandelt sich um und verkürzt sich. Wird der Strom
abgeschaltet, kühlt er ab, wandelt sich um und wird lang. Die
Forscherinnen und Forscher nutzen Bündel der feinen Drähte wie Muskeln für
kleine technische Bauteile. „Ein Drahtbündel hat eine größere Oberfläche
und gibt mehr Wärme ab, dadurch können wir es schnell zyklisch
kontrahieren lassen, also mit hohen Frequenzen betreiben“, sagt Paul
Motzki. In mehrjähriger Forschung hat das Team herausgefunden, wie es die
Drahtbündel nach Dicke und Anzahl der Drähte maßgeschneidert für
verschiedene Anwendungen zusammensetzt.

Die Sensortechnik, die nötig ist, um den Stab nach Belieben zu ziehen,
liefern die Minimotoren gleich mit. „Der elektrische Widerstand ändert
sich, wenn die Drähte sich verformen. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz
ordnen wir jeder noch so kleinen Verformung einen präzisen Messwert zu.
Wir trainieren mit den Daten neuronale Netze. Auch bei Störeinflüssen
rechnet die KI inzwischen effizient und genau“, erklärt Paul Motzki. „Auf
diese Weise können wir alle sensorischen Daten ablesen, die nötig sind, um
die Drahtbündel anzusteuern“, erläutert Doktorandin Susanne-Marie Kirsch,
die an den smarten Implantaten forscht. Und: Dadurch lassen sich zugleich
die Heilungsabläufe ablesen: Auch bei der kleinsten Veränderung am
Frakturspalt liefern die Drähte andere Messwerte. An ihnen können die
Mediziner erkennen, ob neues Knochengewebe wächst.

Dieser klinische Teil der Forschung ist Part des Teams von Bergita Ganse:
Die Medizinerinnen und Mediziner sind darauf spezialisiert, biomechanische
Informationen aus den Messdaten herauszulesen. Hierzu erstellen sie
Ganganalysen, arbeiten mit Computersimulationen und ziehen mit Künstlicher
Intelligenz Rückschlüsse: Aus der zunehmenden Steifigkeit im Knochenbruch
und sogar auch über Durchblutungsmessungen schließen sie auf den
Heilungsverlauf, um die Fraktur zu überwachen. Außerdem erforschen sie,
was die Heilung fördert. Ziel ist es, dass die Minimotoren hierzu präzise
abgestimmte, die Heilung fördernde Bewegungsabläufe vollführen. „Wir
müssen das Implantat so bauen, dass es die richtigen Bewegungen und
Druckveränderungen erzeugt, um die Heilung zu unterstützen“, erklärt
Bergita Ganse.

„Gesteuert werden soll alles via Smartphone, so dass der Patient den
Mechanismus unter ärztlicher Anweisung selbst ferngesteuert einstellen
kann“, sagt Paul Motzki. Die nötigen Stromimpulse wird ein Akku liefern,
der im Körper durch drahtlose Induktion aufgeladen wird.

Die Technologie wollen die Saarbrücker Ingenieurinnen und Ingenieure noch
weiter miniaturisieren und sie auch für wesentlich kleinere Knochen
weiterentwickeln. „Wir können unsere Technologie skalieren. Nächstes Ziel
wird sein, smarte Implantate auch für die Gesichtschirurgie, etwa für
Kieferbrüche, zu entwickeln“, sagt Paul Motzki.
Auf der Hannover Messe demonstriert das Team von Paul Motzki und Stefan
Seelecke die Technologie und zeigt Prototypen der smarten Implantate.

Hintergrund
Das Forschungsteam von Stefan Seelecke und Paul Motzki nutzt die
Formgedächtnis-Technologie für die verschiedensten Anwendungen vom
neuartigen Kühl- und Heizsystem über Robotergreifer bis hin zu Ventilen
und Pumpen. Auf der Hannover Messe zeigen die Saarbrücker Expertinnen und
Experten für intelligente Materialsysteme auch smarte Kleinantriebe,
energieeffiziente Greifsysteme sowie ein neues Kühl- und Heizverfahren,
die Elastokalorik. An der Technologie forschen viele Doktorandinnen und
Doktoranden im Rahmen ihrer Doktorarbeiten. Sie ist Gegenstand zahlreicher
auch international ausgezeichneter Veröffentlichungen in Fachzeitschriften
und wird in mehreren großen Forschungsprojekten gefördert.
Um die Ergebnisse der anwendungsorientierten Forschung in die
Industriepraxis zu bringen haben die Forscher die Firma mateligent GmbH
gegründet, die ebenfalls am Saarland-Stand auf der Hannover Messe
vertreten sein wird.

Am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) in
Saarbrücken arbeiten Universität des Saarlandes, Hochschule für Technik
und Wirtschaft des Saarlandes htw saar, Institute und Industriepartner
zusammen. Das Zema versteht sich als industrienaher Entwicklungspartner
mit dem Ziel des Technologietransfers von Forschungs- und
Entwicklungsergebnissen.

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