„Religionsunterricht geht uns alle an“
Neues Buch von Forschenden des Exzellenzclusters „Religion und Politik“
beleuchtet Zukunft des Religionsunterrichts in Deutschland – Kritik am
Modell der konfessionsfreien Religionskunde:
„Kann der gelebten religiösen
Pluralität kaum entsprechen“ – Grundgesetz flexibel genug, um mit
Herausforderungen wie Säkularisierung und Pluralisierung umzugehen
Ein Plädoyer für den Erhalt des konfessionellen Religionsunterrichts haben
der Rechtswissenschaftler Hinnerk Wißmann und der Theologe Arnulf von
Scheliha vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität
Münster in ihrem neuen Buch „Religionsunterricht 4.0“ vorgelegt. „Religion
ist eine anthropologische Konstante über alle Epochen hinweg, und der
Religionsunterricht ist mit seinem Beitrag zu einer reflektierten
Persönlichkeitsentwicklung wichtig für Einzelne wie auch für die
politische Gemeinschaft insgesamt“, fassen die Autoren die Stoßrichtung
des Buches zusammen. In dem bei Mohr Siebeck erschienenen Band beleuchten
die Forscher aktuelle Formen des Religionsunterrichts in Deutschland,
fragen nach ihrer Zukunftsfestigkeit und loten kulturelle und politische
Argumente für Religion als Teil der Schulbildung aus. „Das Modell einer
konfessionslosen Religionskunde allein kann der tatsächlich gelebten
religiösen Vielfalt kaum entsprechen und keinen authentischen Zugang zu
Religion liefern“, so die Forscher. „Außerdem besteht die Gefahr, dass der
Staat die Definitionshoheit in Religionsfragen von den Individuen und
Religionsgemeinschaften an sich zieht.“ Zukunftweisend sei nur der
bekenntnisgebundene Religionsunterricht, in dem wie in NRW evangelische
und katholische Gruppen zusammen lernen, oder wie in Hamburg auch Muslime,
Juden und Aleviten hinzukommen.
„In Sachen Religionsunterricht ist derzeit viel in Bewegung in
Deutschland“, analysieren die Wissenschaftler die jüngsten Entwicklungen
und Debatten, zu denen das neue Buch einen Beitrag liefern will. „Wir
müssen dabei auf gesellschaftliche Entwicklungen wie Säkularisierung und
Pluralisierung reagieren.“ Mit den in Deutschland vorhandenen Modellen sei
dies bereits geschehen: Im „Konfessionell-kooperativen
Religionsunterricht“, den neben NRW auch Baden-Württemberg und ähnlich
Niedersachsen praktiziert, nehmen Schülerinnen und Schüler der beiden
christlichen Konfessionen teil, evangelische und katholische Lehrkräfte
wechseln sich ab. Im Hamburger „Religionsunterricht für alle“, der von der
evangelischen Kirche ins Leben gerufen wurde, kommen etwa auch Muslime,
Juden und Aleviten hinzu. Bremen bietet hingegen eine konfessionslose
Religionskunde an.
Für den zukünftigen Umgang mit der wachsenden Religionsvielfalt sehen die
Forscher das deutsche Grundgesetz weiterhin gut aufgestellt: „Indem der
Staat Religion im Grundgesetz positiv konnotiert, sich aus Wahrheitsfragen
jedoch heraushält, eröffnet er den Religionsgemeinschaften sehr weite
Spielräume bei der Gestaltung des Religionsunterrichts. Der deutsche
Föderalismus ermöglicht zudem die Erprobung unterschiedlichster Modelle.“
Den am Religionsunterricht beteiligten Akteuren wie etwa den christlichen
Kirchen gehe es zudem in der Regel nicht um religiöse Missionierung,
sondern um einen unabhängigen Beitrag zur Sozialisierung und Bildung von
Kindern und Jugendlichen, unterstreichen die Autoren.
Das neue Buch „Religionsunterricht 4.0“ ist aus Forschungen in einem
gleichnamigen Projekt am Exzellenzcluster „Religion und Politik" der Uni
Münster hervorgegangen. Darin beleuchten Hinnerk Wißmann und Arnulf von
Scheliha Stand und Zukunft des Religionsunterrichts, der in Deutschland
ein verfassungsrechtlich besonders gesichertes Schulfach ist, in der Form
eines interdisziplinären Essays. Sie verbinden rechtswissenschaftliche
Perspektiven auf das geltende Religionsverfassungsrecht mit ethisch-
religiösen Erwägungen aus der Theologie. In der Einleitung beleuchten die
Autoren Trends und Gegentrends in der Religionspolitik der Gegenwart,
stellen dann die aktuellen Modelle des Religionsunterrichts vor und
analysieren verschiedene Muster, nach denen das Fach Religion begründet
werden kann, etwa Identitätsstiftung, anthropologische Grundmuster,
Zivilreligion sowie mit Blick auf Sozialisations- und Bildungsprozesse.
Die Kapitel führen die Autoren schließlich zu einer Bilanz
religionspolitischer Alternativen zur Weiterentwicklung des
Religionsunterrichts in Form von integrierten Modellen, wie etwa dem
„Konfessionell-kooperativen Religionsunterricht“ oder dem
„Religionsunterricht für alle“, und zu dem Plädoyer zusammen, flexibel
Spielräume zu nutzen, die das Grundgesetz schon heute biete. (tec/vvm)
Hinweis: von Scheliha, Arnulf/Wißmann, Hinnerk 2024: Religionsunterricht
4.0. Eine religionspolitische Erörterung in rechtswissenschaftlicher und
ethischer Perspektive. Tübingen: Mohr Siebeck Verlag. ISBN
978-3-16-163661-5, 182 S., EUR 19.00.