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Keine Benachteiligung von Frauen bei der akuten Schlaganfallversorgung in Deutschland

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In der Vergangenheit wurde kritisiert, dass Frauen mit Schlaganfall
schlechter bzw. später behandelt würden als Männer. Nun gibt eine aktuelle
retrospektive Kohorten-Studie [1] im Hinblick auf die akute
Schlaganfalltherapie in Deutschland Entwarnung:

Demnach erhalten weibliche
Betroffene ebenso häufig Thrombektomien und Thrombolysen. Das sei auch ein
Erfolg der Qualitätssicherung durch die Zertifizierung von Stroke Units,
die vor 30 Jahren eingeführt wurde. Allerdings zeigte sich in der
aktuellen Studie, dass Frauen ein höheres Risiko schwerer Schlaganfälle
aufgrund von Vorhofflimmern haben als Männer, was zu Lasten der Mortalität
gehen könnte.

In den letzten Jahren haben sich die Überlebensraten nach einem
Schlaganfall in Europa kontinuierlich verbessert, zwischen 1990 und 2010
allein um 15 Prozent [2]. Gründe dafür sind die strukturell verbesserte
Schlaganfallversorgung mit verkürzten Zeiten zwischen Notruf und
Einleitung der Behandlung, die Versorgung Betroffener auf spezialisierten
Stroke Units sowie die neuen Therapieoptionen wie die Thrombolyse, die
medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln, und die Thrombektomie, bei der
das Schlaganfall-auslösende Blutgerinnsel mechanisch mit einem Katheter
entfernt wird.

Ältere Daten [3] zeigten, dass es international eine Ungleichbehandlung
von Patientinnen und Patienten gibt. Demnach erhielten Frauen weniger
interventionelle Schlaganfallbehandlungen und erreichten schlechtere
Therapieergebnisse nach einem Hirninfarkt, sowohl was die Gesamtmortalität
als auch die funktionellen Ergebnisse betraf. Dies bestätigte jüngst auch
eine Studie aus Dänemark [4]: Frauen erhielten weniger
Reperfusionstherapien als Männer und bei ihnen verging eine längere
Zeitspanne zwischen dem Auftreten der Symptome und der Aufnahme auf eine
Stroke Unit.

Eine im Jahr 2021 publizierte Auswertung von Registerdaten aus den Jahren
2000 bis 2018 [5] konnte eine solche Benachteiligung von Frauen in
Deutschland allerdings nicht bestätigen – im Gegenteil: Bei Frauen mit
ischämischem Schlaganfall war sogar die Wahrscheinlichkeit einer
intraarteriellen Therapie, bestehend aus der Kombination von Thrombolyse
und Thrombektomie, höher.

Wie lässt sich dieser Unterschied im internationalen Vergleich erklären?
„Deutschland ist im Hinblick auf die Schlaganfallversorgung Vorreiter.
Bereits 1995 wurde eine Zertifizierung von Stroke Units eingeführt, welche
die Strukturvoraussetzungen, aber auch die Qualitätskriterien für die
Schlaganfallbehandlung definiert. Die Zertifizierungskriterien werden
regelmäßig aktualisiert, so dass alle Betroffenen nach höchstem Standard
behandelt werden. Die Therapiealgorithmen orientieren sich an
objektivierbaren medizinischen Kriterien; Faktoren wie Geschlecht oder
Ethnie spielen keine Rolle“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit,
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Derzeit gibt es ein Netz von fast 350 neurologischen Stroke Units in
Deutschland – und fast überall können Patientinnen und Patienten binnen 30
Minuten in eine solche, auf Schlaganfälle spezialisierte Klinik
eingeliefert werden.

Ende Februar 2025 wurde in „Neurological Research and Practice“, dem
internationalen Open-Access-Journal der DGN, eine Auswertung der Daten des
Statistischen Bundesamtes aus den Jahren 2017 bis 2022 publiziert [1].
Untersucht wurde nicht nur, wie häufig die Behandlung auf einer Stroke
Unit erfolgte, sondern auch die Raten von intravenöser Thrombolyse und
mechanischer Thrombektomie, die Sterblichkeit im Krankenhaus und die
Prävalenz von Vorhofflimmern.

In der Studie wurden Daten von mehr als 1,3 Millionen
Schlaganfallpatientinnen und -patienten ausgewertet; 47 % der Betroffenen
waren weiblich. Die Patientinnen waren älter und deutlich häufiger ≥ 80
Jahre alt (50,3 % gegenüber 29,4 %). Die Thrombolyse-Raten waren bei
beiden Geschlechtern vergleichbar (16,3 %), bei den Frauen jedoch etwas
höher, wenn man sie um das Alter bereinigte. Die Thrombektomie-Raten (8,2
% gegenüber 6,3 %) waren bei Frauen in allen Altersgruppen durchweg höher.
Bei weiblichen Patienten war die Sterblichkeitsrate innerhalb des
Krankenhauses höher (9,1 % gegenüber 6,2 %). Die Aufnahme auf Stroke Units
(73,6 % gegenüber 76,0 %) war etwas seltener, die Einweisungsraten auf
eine Intensivstation hingegen ähnlich (10,6 % gegenüber 10,5 %).
Vorhofflimmern, ein Surrogat für (schwerere) Schlaganfälle, wurde bei
Frauen häufiger nachgewiesen (32,6 % gegenüber 25,4 %).

Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass Frauen in Deutschland
einen ebenso guten Zugang zu Thrombektomie und Thrombolyse haben wie
Männer. Die sogar höheren Thrombektomie-Raten erklären sie damit, dass
Frauen offensichtlich häufiger schwere kardioembolische Schlaganfälle mit
Verschlüssen großer Hirngefäße erlitten. Darauf deute die höhere Inzidenz
von Vorhofflimmern bei Frauen hin. Die höhere Krankenhaussterblichkeit von
Frauen ist nach Ansicht des Autorenteams auf die Art und Schwere der
Schlaganfälle zurückzuführen. Frauen wurden weniger häufig in Stroke Units
behandelt und häufiger direkt in Frührehabilitationszentren eingeliefert,
was im Zusammenhang mit der Erkrankungsschwere und dem höheren Alter der
Patientinnen stehen dürfte.

Der DGN-Generalsekretär zieht folgendes Fazit aus der aktuellen Erhebung:
„Die aktuelle Studie belegt, dass es in Deutschland keine Benachteiligung
von Frauen gibt, wenn es um den Zugang zur akuten Schlaganfalltherapie
geht. Allerdings müssen wir das höhere Risiko von embolischen
Großgefäßverschlüssen bei Vorhofflimmern bei Frauen adressieren.“

Denn der Schlaganfall-Risikofaktor Vorhofflimmern tritt bei Frauen [6]
häufiger als bei Männern auf. Entscheidend für eine effektive
Schlaganfallprophylaxe sei daher die frühzeitige Diagnose der absoluten
Arrhythmie bei Vorhofflimmern, welche bei Frauen aber oft später erfolgt
als bei Männern [7]. Da Betroffene selbst diese Herzrhythmusstörung meist
nicht bemerken, seien mit zunehmendem Lebensalter regelmäßige EKG-
Kontrollen in der Hausarztpraxis wichtig. Denn: Wenn Vorhofflimmern
festgestellt wird, lässt sich durch eine Blutverdünnung mit
Antikoagulanzien die Gerinnselbildung im Herzen und damit das Auftreten
von embolischen Schlaganfällen effektiv verhindern.

[1] Ungerer MN, Bartig D, Tunkl C, Richter D, Katsanos A, Krogias C, Hacke
W, Gumbinger C. No disadvantages for women in acute stroke care in
Germany: an analysis of access to stroke treatment services in Germany
from 2017 to 2022. Neurol Res Pract. 2025 Feb 20;7(1):8. doi:
10.1186/s42466-025-00365-4. PMID: 39972395; PMCID: PMC11840989.
[2] Prendes CF, Rantner B, Hamwi T, Stana J, Feigin VL, Stavroulakis K,
Tsilimparis N; GBD Collaborators Study Group. Burden of Stroke in Europe:
An Analysis of the Global Burden of Disease Study Findings From 2010 to
2019. Stroke. 2024 Feb;55(2):432-442. doi: 10.1161/STROKEAHA.122.042022.
Epub 2024 Jan 22. PMID: 38252754.
[3] Reeves MJ, Bushnell CD, Howard G, Gargano JW, Duncan PW, Lynch G,
Khatiwoda A, Lisabeth L. Sex differences in stroke: epidemiology, clinical
presentation, medical care, and outcomes. Lancet Neurol. 2008
Oct;7(10):915-26. doi: 10.1016/S1474-4422(08)70193-5. Epub 2008 Aug 21.
PMID: 18722812; PMCID: PMC2665267.
[4] Mainz J, Andersen G, Valentin JB, Gude MF, Johnsen SP. Disentangling
Sex Differences in Use of Reperfusion Therapy in Patients With Acute
Ischemic Stroke. Stroke. 2020 Aug;51(8):2332-2338. doi:
10.1161/STROKEAHA.119.028589. Epub 2020 Jul 9. PMID: 32640943.
[5] Bonkhoff AK, Karch A, Weber R, Wellmann J, Berger K. Female Stroke:
Sex Differences in Acute Treatment and Early Outcomes of Acute Ischemic
Stroke. Stroke. 2021 Jan;52(2):406-415. doi: 10.1161/STROKEAHA.120.032850.
Epub 2021 Jan 25. PMID: 33493053.
[6] Siddiqi HK, Vinayagamoorthy M, Gencer B, Ng C, Pester J, Cook NR, Lee
IM, Buring J, Manson JE, Albert CM. Sex Differences in Atrial Fibrillation
Risk: The VITAL Rhythm Study. JAMA Cardiol. 2022 Oct 1;7(10):1027-1035.
doi: 10.1001/jamacardio.2022.2825. Erratum in: JAMA Cardiol. 2022 Oct
1;7(10):1082. doi: 10.1001/jamacardio.2022.3720. PMID: 36044209; PMCID:
PMC9434484.
[7] Wilson RE, Rush KL, Reid RC, Laberge CG. Gender and the Symptom
Experience before an Atrial Fibrillation Diagnosis. West J Nurs Res. 2021
Dec;43(12):1093-1104. doi: 10.1177/0193945921999448. Epub 2021 Mar 12.
PMID: 33709830; PMCID: PMC8559171.

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