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Fluch und Segen: Wie Pilze unser Leben beeinflussen

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Interview mit der Pilzforscherin Privatdozentin Dr. Christiane Baschien
über Gefahren und Vorteile von Pilzen im Alltag und wie Pilze die
Gesundheit fördern können



Pilze sind überall auf unserem Planten. Sie sind keine Pflanzen oder Tiere
und dem Menschen näher verwandt als Pflanzen. Sie können selbst keine
Energie erzeugen, sondern ernähren sich, indem sie organisches Material
wie Laub abbauen oder als Parasiten auf Pflanzen, Tieren oder auch anderen
Pilzen leben. Dadurch erfüllen sie wichtige Aufgaben in Ökosystemen. Aber
Pilze wachsen nicht nur im Wald, sondern auch im Kühlschrank oder an
Hauswänden. Sie tragen zur Herstellung einiger Lebensmittel und sogar von
Arzneimitteln bei. Andere Pilze machen uns krank, erläutert PD Dr.
Christiane Baschien im Interview. Die Pilzforscherin verrät, warum Pilze
Fluch und Segen gleichermaßen sein können, warum der Mensch ohne sie nicht
auskommt und welcher ihr Lieblingspilz ist. Christiane Baschien ist
Kuratorin am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung für Mikroorganismen
und Zellkulturen GmbH und leitet die Arbeitsgruppe Gesundheitsrelevante
Pilze. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte für Mikrobiologie an der
Technischen Universität Braunschweig.

Wie sind Sie zum Thema Pilze gekommen?
Ich bin schon lange vor meinem Studium mit dem Thema Pilze in Berührung
gekommen, weil ich mich schon immer für die Natur interessiert habe und
mir die Pilze als Jugendliche als die andere Gruppe aufgefallen sind. Sie
waren irgendwie immer anders - keine Pflanzen, keine Tiere. Sie waren ein
bisschen geheimnisvoll und das fand ich spannend. Also habe ich während
meines ganzen Studiums versucht, möglichst häufig Mykologie zu belegen,
was in Berlin nicht so einfach war. Dann habe ich als studentische
Hilfskraft an der TU Berlin angefangen, mich mit Bodenpilzen zu
beschäftigen, an denen ich auch in meiner Masterarbeit geforscht habe.

Wie sind Sie zur DSMZ gekommen?
Zuerst war ich viele Jahre an der Universität, habe promoviert und schon
damals über aquatische Pilze geforscht, die heute noch mein
Forschungsschwerpunkt sind. Nach der Promotion habe ich kurzfristig in der
Industrie gearbeitet, in einem Umweltlabor, das sich mit Schimmelpilzen
beschäftigte. Dort habe ich die Molekularbiologie aufgebaut, bin nach acht
Monaten als Postdoc an die TU Berlin zurückgekehrt, war ein Jahr an einer
Universität in South Carolina (USA) und habe mich habilitiert. Nach meiner
Rückkehr wurde ich vom Umweltbundesamt eingestellt, wo ich fast vier Jahre
gearbeitet habe. Dort war ich im Wesentlichen für gesundheitsrelevante
Pilze, für Schimmelpilze, zuständig. Allerdings war mir die Arbeit im
Umweltbundesamt oft zu wenig forschungsbetont. Als dann eine Projektstelle
beim Leibniz-Institut DSMZ ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben
und die Stelle bekommen. Nach dem Projekt wurde die Kuratorenstelle
ausgeschrieben, die ich ebenfalls bekam. Und jetzt bin ich seit zehn
Jahren an der DSMZ.

Viele Menschen denken bei Pilzen entweder an Champignons oder an
gefährliche Schimmelpilze. Aber Pilze gibt es in vielfältiger Form. Wo
finden wir überall Pilze?
Pilze finden wir wirklich überall. Was wir als Pilz auf dem Waldboden
sehen, ist oft nur der Fruchtkörper des Pilzes, den er bildet, wenn es im
Herbst kälter wird und die Feuchtigkeit steigt. Pilze, mit Ausnahme der
Hefen, sind eigentlich alle fadenförmig, und das Geflecht ihrer Fäden, das
Myzel, liegt beispielsweise im Wald unter der Erde. 80 Prozent aller
Landpflanzen leben über ihre Wurzeln in Symbiose mit diesen unterirdischen
Pilzen. Diese Symbiose, Mykorrhiza genannt, erfüllt eine sehr wichtige
Funktion: Die Pilze helfen den Pflanzen bei der Wasserversorgung und
erleichtern ihnen die Aufnahme von Nährstoffen. Im Gegenzug erhalten die
Pilze von der Pflanze Zucker aus der Photosynthese. Die Mykorrhiza ist
eine wichtige Symbiose, die Pflanzen widerstandsfähiger macht, zum
Beispiel gegen Schädlinge und eine sich verändernde Umwelt. Pilze sind
nicht nur überall vorhanden, sondern auch vielfältig: Es gibt
Schimmelpilze auf dem Brot, an der Wand, aber es gibt auch Schimmelpilze,
die in der Lebensmittelindustrie von Nutzen sind. Schimmelpilze können zum
Beispiel Zitronensäure produzieren oder sind Teil verschiedener
Fermentationsprozesse. Pilze sind auch die Destruenten unserer Welt. Sie
bauen also organisches Material ab, auch komplexes organisches Material
wie Holz oder Laub. Hätten wir die Pilze nicht, würden die Stoffkreisläufe
in unseren Wäldern und Gewässern nicht funktionieren. Denn die Pilze sind
die Basis: Mit ihrem speziellen Enzymbesteck zerkleinern sie das
organische Material, bevor die Energie in der Nahrungskette zum Beispiel
an Bakterien und andere Mikroorganismen weitergegeben werden kann.

Schimmelpilze gelten allgemein als gesundheitsschädlich. Wie können Pilze
unseren Alltag und unsere Gesundheit unterstützen?
Schimmelpilze können gesundheitsschädlich sein. Sie kommen in schlecht
sanierten Wohnungen oder auf Lebensmitteln vor. Es gibt auch Hautpilze,
die bei etwa 30 Grad Celsius zu wachsen. Und wenn es ganz schlimm kommt
und das eigene Immunsystem geschwächt ist, können Pilze den Menschen
besiedeln. Pilze können nicht nur den Menschen, sondern auch Pflanzen
„befallen“ und verursachen weltweit jedes Jahr Milliardenschäden an
Nutzpflanzen und erschweren damit die Nahrungsmittelproduktion.
Andererseits stellen wir aus bestimmten Pilzen auch Antibiotika her, die
uns helfen, Krankheiten zu bekämpfen, beispielsweise Penicillin. Aus
unserem Alltag sind Pilze nicht wegzudenken: Unsere „Lieblingshefe“ heißt
Saccharomyces cerevisiae und liefert uns CO2 als Treibmittel beim Backen
von Brot und Kuchen oder vergärt für uns den Alkohol in Bier und Wein.
Auch bei der Käseherstellung kommen Pilze zum Einsatz. Berühmt ist der
Camembert, bei dem Penicillium camemberti nach der Reifung sozusagen die
Schutzschicht um den Käse bildet. Diese Schutzschicht verhindert, dass
andere Mikroorganismen in den Käse eindringen können und macht ihn
haltbarer. Natürlich kann man Pilze auch einfach essen, sie sind eine gute
Proteinquelle und eine Alternative, wenn man auf Fleisch verzichten
möchte. Es gibt eine Vielzahl von Speisepilzen, die auch gezüchtet werden
können. Außerdem werden Sekundärmetabolite von Pilzen untersucht, die als
Nahrungsergänzungsmittel nützlich sein könnten. Dazu gibt es wenig
Forschung und viel Scharlatanerie und Unsinn diesbezüglich im Internet. Da
wäre ich sehr vorsichtig. Es gibt aber viel wichtigere Forschungsprojekte,
in denen Sekundärmetabolite von Pilzen untersucht werden, die
beispielsweise in der Krebstherapie eingesetzt werden könnten.

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie zur DSMZ gekommen sind, weil Sie
forschen wollten. Woran forschen Sie gerade?
Mein Lieblingsthema sind die aquatischen Pilze. Ich bin Taxonomin für
aquatische Pilze, interessiere mich für ihre Stammesgeschichte
(Phylogenie) und auch für ihre Ökologie. Am Leibniz-Institut DSMZ forsche
ich hauptsächlich in Kooperationen, zum Beispiel mit dem Umweltbundesamt
oder der Universität Landau, habe aber auch eigene Forschungsprojekte.
Aktuell betreue ich Doktorarbeiten in der Taxonomie, in denen Multilokus-
Analysen und Phylogenomik durchgeführt werden, um die Verwandtschaft und
die Evolution aquatischer Pilze zu untersuchen. Aquatische Pilze sind die
ersten Pilze, die das Laub zersetzen, wenn es ins Wasser fällt. Sie
zersetzen die Blätter, die aus Zellulose und Pektin bestehen, wodurch die
Blätter etwas „wobbelig“, etwas weicher werden. Wenn die Blätter weich
genug sind, können kleine Krebstiere, die „Schredder“, wie sie in der
Ökologie genannt werden, die Blätter fressen. Und die „Schredder“ fressen
die Pilze gleich mit, dann haben sie eine Proteinquelle. Deshalb sind die
aquatischen Pilze für den Stoffkreislauf in den Gewässern ausgesprochen
wichtig. Unsere Arbeitsgruppe erforscht nicht nur die Taxonomie und die
Phylogenie von aquatischen Pilzen, sondern auch die Ökologie und welchen
Einfluss beispielsweise die Anwendung von Fungiziden auf die
Stoffkreisläufe in Fließgewässern hat. Wenn auf einer Wein- oder
Obstbaumplantage Fungizide angewendet werden, dann gelangen diese in
Fließgewässer. Wir schauen uns an, was das mit den Pilzgemeinschaften
macht: Verändern sich die Pilzgemeinschaften? Wird weniger Laub abgebaut?
Werden die Schredderkrebse vergiftet?

Was sollte man über Pilze wissen?
Dass Pilze weder Tiere noch Pflanzen sind, sondern ein eigenes Reich
innerhalb der Organismen bilden. Dass Pilze nicht nur schlecht sind,
sondern auch viele positive Eigenschaften haben. Und Sie müssen keine
Angst vor Pilzen haben. Einige Pilze schmecken außerdem gut.

Welcher ist Ihr Lieblingspilz und warum?
Eigentlich ist es eine Gruppe von Pilzen, nämlich die aquatischen Pilze.
Sie sehen ganz besonders aus. Um sich im Wasser an Blätter heften zu
können, haben sie Sporen, die sogenannten Staurosporen, die mehrfach
verzweigt sind. Die Sporen der aquatischen Pilze haben schöne
charakteristische Formen und sind auch relativ groß. Sie haben eine Größe
von 20 bis 300 Mikrometern und sind daher unter dem Mikroskop gut zu
erkennen.

Was fasziniert Sie an Pilzen am meisten?
Der Hallimasch zum Beispiel hat ein Mycel, das im Dunkeln leuchten kann.
Durch das Enzym Luciferase leuchtet es grün wie Glühwürmchen, die zum
Leuchten das gleiche Enzym verwenden. Und dann sieht man im nächtlichen
Wald einen Baumstumpf, auf dem der Pilz wächst, leuchten. Das ist eine
faszinierende Sache. Mich fasziniert auch, was Pilze alles können – Pilze
sind unglaublich vielfältig und werden auch unglaublich vielfältig
genutzt. Wenn man sieht, wie sie überall in unseren Stoffkreisläufen dafür
sorgen, dass unsere Welt so aussieht, wie sie aussieht, dann ist das
einfach faszinierend.



DSMZ-Pressekontakt:
PhDr. Sven-David Müller, Pressesprecher des Leibniz-Instituts DSMZ-
Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH
Tel.: 0531/2616-300
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Über das Leibniz-Institut DSMZ
Das Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und
Zellkulturen GmbH ist die weltweit vielfältigste Sammlung für biologische
Ressourcen (Bakterien, Archaeen, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen,
Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische
Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen
gesammelt, erforscht und archiviert. Als Einrichtung der Leibniz-
Gemeinschaft ist die DSMZ mit ihren umfangreichen wissenschaftlichen
Services und biologischen Ressourcen seit 1969 globaler Partner für
Forschung, Wissenschaft und Industrie. Die DSMZ ist als gemeinnützig
anerkannt, die erste registrierte Sammlung Europas (Verordnung (EU) Nr.
511/2014) und nach Qualitätsstandard ISO 9001:2015 zertifiziert. Als
Patenthinterlegungsstelle bietet sie die bundesweit einzige Möglichkeit,
biologisches Material nach den Anforderungen des Budapester Vertrags zu
hinterlegen. Neben dem wissenschaftlichen Service bildet die Forschung das
zweite Standbein der DSMZ. Das Institut mit Sitz auf dem Science Campus
Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 90.000 Bioressourcen und hat fast 230
Beschäftigte. www.dsmz.de

Über die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige
Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-,
Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und
Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute
widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den
übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten
wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte
Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im
Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und
informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-
Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der
Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In-
und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und
unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen
Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft
gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 21.300 Personen,
darunter 12.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das
Finanzvolumen liegt bei 2,2 Milliarden Euro. www.leibniz-gemeinschaft.de

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