Luzerner Theater Tanz, Seeing Within Sight, besucht von Gabriela Bucher – Liechti

Javier Rodríguez Cobos Produktionsteam
Choreografie Javier Rodríguez Cobos
Bühne und Kostüme Sascha Thomsen
Musik Alejandro da Rocha
Licht Petri Tuhkanen
Video Guillaume Musset, Rebecca Stofer
Dramaturgie Wanda Puvog
Besetzung TanzLuzern
Inbal Pinto Produktionsteam
Choreografie, Bühne und Kostüme Inbal Pinto
Licht Petri Tuhkanen
Musik Maya Belsitzman
Dramaturgie Wanda Puvogel
Besetzung TanzLuzern
Sie würden so oder so feiern nach der Première von «Seing within sight», unabhängig vom Ausgang der Abstimmung über den Projektierungskredit für das neue Theater, erklärte Tanzdirektorin Wanda Puvogel anlässlich einer für die ‘TanzFreunde Luzern’ öffentlichen Probe kurz vor der Abstimmung. Man hätte allen gegönnt, dass es an diesem 9. Februar zu einer doppelten Feier geworden wäre. Vor allem auch beim Anblick der Tänzerin, die sich an diesem Probeabend in einer Ecke des Foyers aufwärmte aus Mangel an Platz im Theater.
Ein Panda mischt die Szenen auf

Nun, es sollte nicht sein und so wurden «nur» die zwei Uraufführungen gefeiert an der Première letzten Sonntag. Um Sein und Schein geht es in «Pretenders» des spanischen Choreografen Javier Rodríguez Cobos und in «Salty Pink» der israelischen Choreografin Inbal Pinto, darum, was sich an Bedeutung hinter gezeigten Motiven verbirgt. Unterschiedlicher hätte das Thema nicht umgesetzt werden können. Gemeinsam haben sie aber den Humor und die teilweise absurden aber höchst vergnüglichen Szenen. Cobos hinterfragt in «Pretenders» unter anderem, ob wir das sehen, was die jeweils choreografierende Person beabsichtigt oder das, was das Ensemble daraus macht und ob er eigentlich könne, was er mache oder ob er lediglich ein Hochstapler sei. Wäre er das, man würde es ihm verzeihen, denn was er mit «Pretenders» auf Luzerns Bühne bringt, zeugt von grossem Können, aber auch von einem unglaublichen Ideenreichtum und einer unbändigen Liebe zum Tanz. In seinem Stück wollte er sich mit den verschiedenen Facetten des «Performens» auseinandersetzen. Und so spielt er mit allem, was szenisch möglich ist: Körper, Bewegung, Sprache, Musik, Video. Er kreiert spezielle Atmosphären mit Lichteffekten und Projektionen. In einem Vorhang aus Plastikbahnen spiegeln – oder imitieren? – sich die Tänzer*innen und dann ist da dieser überdimensionierte Panda, der sich immer wieder ins Geschehen einbringt, mal drollig torkelnd, mal auf einem Bein oder Arm tanzend, mal in sich zusammenfallend, bis nur noch die leere Hülle übrig ist mit einem Kopf, der unkontrolliert herumbaumelt.

Es ist unmöglich, auf all die Szenen einzugehen, die Javier Rodríguez Cobos und das Ensemble TanzLuzern auf die Bühne zaubern. Anfänglich mag es auch für einige eine kleine Herausforderung gewesen sein, mit dieser doch teilweise eher ungewöhnlichen Tanzsprache umzugehen, vor allem in der Videosequenz, wo kaleidoskopische schwarz-weiss Bilder auf eine riesige Leinwand projiziert werden. Aber nach und nach wird klar, auch das ist Tanz, anders ausgedrückt, anders interpretiert.
Unerwartetes Solo

Eindrücklich und zugleich amüsant der Einstieg ins Stück: Eine Tänzerin findet sich am Bühnenrand unerwartet in einem Solo und pendelt zwischen absoluter Panik und absoluter Begeisterung. Ihre Bewegungen wirken oft getrieben, als würde sie geführt, gezogen, geschubst. Das erinnert ab und an an diese Wackelfiguren, die auf Daumendruck in sich zusammenfallen. Ebenso beeindruckend aber auch bedrückend die letzte Szene; Ein Paar entsteigt dem Panda-Kostüm, erstaunt, erschrocken, klammert sich aneinander, die totale Verschmelzung; wessen Arme sind das nun grad, wessen Beine. Neben ihnen liegt die leere Hülle des Pandas. Zwar dem Gefängnis des Kostüms entkommen, aber trotzdem die Vertreibung aus dem Paradies? Dazwischen eine Parodie auf eine dieser nervigen TV-Shows, eine Szene wie in einer verrauchten Bar, Schein und Sein auf jeden Fall. Das Ensemble hat sich drauf eingelassen, verschmilzt mit den Geschichten, das Publikum war bereits in der Pause hell begeistert.
Traumwelt Zirkus

Nach der Pause folgte «Salty Pink» der israelischen Choreografin Inbal Pinto, auch dies eine Uraufführung. Übersetzen würde man dies wohl am ehesten mit «bittersüss» und genauso muten ihre Bilder an. Sie schaffe sich gerne ab und zu Traumwelten als Inseln der Sicherheit in dieser schwer zu ertragenden Gegenwart, meint Pinto. Eine solche Traumwelt hat sie für «Salty Pink» in den Zirkus verlegt. Ein Vorhang, eine Lichtgirlande und entsprechende Kostüme – alles aus Pintos Hand – reichen, um den Ort zu definieren. So zaubert sie mit den Tänzer*innen Bilder von fast schmerzlicher Schönheit, mit viel Liebe und feinem Humor. Immer wieder schmunzelt oder lacht man leise vor sich hin. Da sind die Clowns in ihren identischen Perücken, mit aufgemalten roten Wangen und gelb-orange gestreiften Anzügen, Zirkus und doch auch etwas zwischen Pyjama und Sträflingsanzug. Die alte Dame im schwarzen Mantel mit Pantoffeln, die ihre zwei seltsamen rotbeinigen Kreaturen an einer Leine herumführt, oder von ihnen herumgeführt wird? Zwei Tänzer*innen wie Marionetten, die sich, oder die Fäden, die ihr Leben bestimmen, selber in der Hand haben und die zwei Tänzer in Tutus, die einen plötzlich an das Balzverhalten von Schneehühnern erinnern. Verzaubert, verzückt und höchst amüsiert taucht man ein in diese farbige Traumwelt. Das ist alle meisterhaft choreografiert und ebenso meisterhaft getanzt und es sind Bilder, die auch noch im Kopf bleiben, wenn man in die kalte Februarnacht hinaustritt.

Das Premierenpublikum war begeistert, Standing Ovations gehören mittlerweile schon beinahe dazu bei Tanz Luzern, sind auch immer wieder hochverdient und trösteten an diesem Abend vielleicht für einen ganz kurzen Moment über den Ausgang der Abstimmung.
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: Emanuel Ammon luzernertheater.ch