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Leben mit Spenderherz: Was denken Transplantierte über den Organspender?

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Spenderperson- und Organgedanken können psychische Stressreaktionen bei
Patienten hervorrufen – mit gravierenden Folgen. Das Phänomen untersuchen
mit Förderhilfe der Herzstiftung Forscher aus Medizin, Psychologie und
Public Health des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen und der
Ruhr-Universität Bochum



Enorm ist die Kluft zwischen verfügbaren Spenderherzen und der Zahl
schwerkranker Patienten auf den Wartlisten für ein neues Herz: 2023
standen in Deutschland 1094 Patienten auf der Warteliste nur 330
Herztransplantationen gegenüber. Man möchte meinen: Wer ein neues Herz
transplantiert bekommt, hat doch das Schwerste bereits überstanden. „Das
ist auch der Fall. Allerdings stehen auch transplantierte Patienten nach
überstandenem Eingriff vor einer Reihe möglicher Probleme“, erklärt der
Herzchirurg und Transplantationsmediziner Prof. Dr. Jan Gummert,
Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. „Neben ersten
Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der medikamentösen Therapie durch
Immunsuppressiva gegen Abstoßungsreaktionen des Körpers auf das
Spenderorgan, können auch andere körperliche wie auch psychische Leiden
hinzukommen, die medizinische Hilfe erfordern. Diese können erst im Zuge
der Transplantation entstehen oder noch aus der Phase vor dem Eingriff
herrühren“, so Gummert.

Forschung: Was trägt dazu bei, dass ein Spenderorgan akzeptiert wird?
Welche Faktoren tragen dazu bei, dass ein transplantiertes Herz von der
Person, die das Organ empfangen hat, angenommen und von ihr „integriert“
wird? Und welche konkreten körperlichen und psychischen Stressoren lassen
sich identifizieren? Fragen wie dieser gehen Mediziner, Psychologen und
eine Public Health-Expertin am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad
Oeynhausen (HDZ NRW) und der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL in einer
von der Deutschen Herzstiftung und der Deutschen Stiftung für
Herzforschung mit 47.600 Euro geförderten Forschungsarbeit nach. Einblicke
in ihre Arbeit geben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der
Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute 4/2024 und in einem neuen Forschungs-
Video unter https://www.youtube.com/watch?v=STizIN4_0Ls&t=
Genauer in den Fokus ihrer gemeinsamen Forschung nehmen die
Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler das Phänomen der
Spenderperson- und Organgedanken (SPOG). Das Forschungsvorhaben
„Spendergedanken und Herztransplantation (SpHer)“ wird durchgeführt von
Dr. Nora M. Laskowski und dem leitenden Arzt Prof. Dr. Georgios Paslakis,
beide an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL tätig, sowie von
Dr. Katharina Tigges-Limmer, Leiterin der medizinpsychologischen Abteilung
der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie im HDZ NRW, Bad
Oeynhausen.

Organabstoßungsangst, Depression, posttraumatische Belastungsstörung
Die psychischen Leiden bei herztransplantierten Patienten können sehr
verschieden sein.  Patienten leiden häufig unter der Angst, dass das Organ
abgestoßen werden könnte. Manche haben bereits aufgrund ihrer
Grunderkrankung, in der Zeit vor der Transplantation, während ihres
Aufenthaltes im Krankenhaus und auf der Intensivstation große Belastungen
erlebt und entwickeln infolgedessen eine Depression. „In noch
ausgeprägteren Fällen kann es sein, dass die Konfrontation und
Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit – was bei schwer
herzkranken Menschen häufig der Fall ist – zu einer ,posttraumatischen
Belastungsstörung‘ führt“, berichtet Professor Paslakis in HERZ heute. Das
erfordere eine spezielle Behandlung, so der Mediziner. Studien zufolge
kann eine Depression sogar das Ergebnis der Herztransplantation negativ
beeinflussen.

Spenderperson- und Organgedanken: Wann Qual, wann Kraftquelle?
Ein emotionaler Spagat kann für Patienten auf der Warteliste für ein
Spenderherz oder nach überstandener Transplantation das Nachdenken über
den Organspender sein.  Das kann so belastend sein, dass es zu psychischen
Stressreaktionen kommt – schlimmstenfalls lehnen Empfänger das übertragene
Organ sogar ab. Es sind Gedanken
- über das Geschlecht und das Alter des Spenders,
- über die Umstände seines Todes oder seine Persönlichkeit,
- über die Familiengeschichte, den Beruf, die Religion und gar die
sexuelle Orientierung der Spenderperson.

„Das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken haben wir
wissenschaftlich untersucht. Vorab stellten wir fest, dass es zu diesem
Thema sehr wenig Studien gibt“, erklärt Dr. Katharina Tigges-Limmer in
HERZ heute. Das klinische Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken
könne sowohl vor als auch nach einer Transplantation aufkeimen und noch
lange danach weiter bestehen bleiben. „Unklar war bislang auch, ob
derartige Gedanken für die Patientinnen und Patienten eine emotionale
Belastung sind – oder ob sie ihnen auch Kraft geben können und den Umgang
mit dem Transplantationsprozess erleichtern“, so Dr. Tigges-Limmer in HERZ
heute. Auf das transplantierte Herz würden auch häufig vermeintlich
wahrgenommene Veränderungen des Charakters und der Persönlichkeit
zurückgeführt. „Manchmal können diese Gedanken durchaus beglückend sein.
Dann wird das Herz als Geschenk erlebt und dem ,Schenker‘ gegenüber
entwickelt sich eine dankbare Verbundenheit.“ Manchmal können
Spenderperson- und Organgedanken aber so belastend für Patienten und für
ihre Angehörigen sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt. „Das
wollen wir in einer künftigen Studie genauer untersuchen“, erklärt Dr.
Tigges-Limmer. Wie Betroffene quälenden Gedanken Paroli bieten können,
erläutern die Wissenschaftler im HERZ heute-Beitrag.

Fast jeder Herztransplantierte hat Spenderperson- und Organgedanken
Welche Patienten entwickeln diese Gedanken, zu welchem Zeitpunkt tauchen
diese Gedanken mit welchen Inhalten und Überzeugungen auf? Und als wie
belastend oder bereichernd werden die Gedanken empfunden? Für neue
Erkenntnisse durch mehr belastbare Daten zu diesem Thema haben die
Mediziner und Psychologen des HDZ NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-
Universität Bochum mit Förderhilfe der Deutschen Herzstiftung anonym 407
Herztransplantierte am HDZ NRW befragt. „Wir waren sehr überrascht, wie
viele Menschen diese Gedanken überhaupt haben. Vor der Transplantation
waren es etwa 40 Prozent der Befragten. Danach aber 91 Prozent. Also fast
jeder hat diese Gedanken nach der Transplantation“, berichtet die
Humanbiologin und Public Health-Expertin Dr. Laskowski im Herzstiftungs-
Video. Betroffene gaben an, sehr erleichtert zu sein, die OP geschafft zu
haben und gegenüber dem Spender eine große Dankbarkeit zu spüren.
„Gleichzeitig ist für einige Patienten ein diffuses Schuldgefühl dabei,
nämlich: ,Ich darf leben, während jemand anders sterben musste‘“,
beschreibt Psychologin Dr. Tigges-Limmer einen häufigen Gedanken bei
Herztransplantierten. „Gleichzeitig heißt es aber auch, es stirbt niemand
für mich, aber mein neues Glück fußt auf dem Tod, so könnte man es sagen.“

Kliniken bieten Hilfen für Betroffene
Für Betroffene mit Bedarf für professionelle Hilfe gibt es in allen
Transplantationszentren in Deutschland psychologische und psychosomatische
Dienste, die Patienten im schwierigen Prozess der Transplantation
begleiten. Aber nicht alle Patienten würden diese Hilfe auch in Anspruch
nehmen. In einigen Fällen würden die Therapeuten auch aktiv Betroffene
aufsuchen, wenn die Behandlungsteams den Eindruck hätten, dass Menschen
unterstützt werden müssten – professionelle Hilfe aber von sich aus nicht
einforderten, berichtet Dr. Tigges-Limmer. „Das Ziel muss es sein, die
Schwelle der Inanspruchnahme niedrig zu halten. Psychotherapeutische
Unterstützung für Menschen vor, während und nach einer Transplantation sei
„kein Luxus“, sondern „eine Notwendigkeit, die als selbstverständlich
anzusehen ist“, betont die Psychologin. „Doch immer noch hindert das
Stigma, das mit der Psychotherapie verbunden ist, Menschen daran, diese
Hilfe für sich einzufordern.“ Auch sei eine Refinanzierung dieser
notwendigen Arbeit noch nicht gesichert.
(wi)

Forschung nah am Patienten
Dank der finanziellen Unterstützung durch Stifterinnen und Stifter,
Spender und Erblasser kann die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit der von
ihr 1988 gegründeten Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF)
Forschungsprojekte in einer für die Herz-Kreislauf-Forschung
unverzichtbaren Größenordnung finanzieren. Infos unter
https://www.herzstiftung.de/herzforschung

Literatur:
Laskowski, N.M., Brandt, G., Tigges-Limmer, K., Halbeisen, G., Paslakis,
G. Donor and Donation Images (DDI) - A Scoping Review of What We Know and
What We Don’t. Journal of Clinical Medicine 2023, 12, 952.
https://doi.org/10.3390/jcm12030952

Tigges-Limmer, K., Laskowski, N., Paslakis, G., In Gedanken beim
Herzspender, HERZ heute 2024; 4, 36-39

Service

Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute
Mehr Informationen rund um das Thema Spenderperson- und Organgedanken vor
und nach einer Herztransplantation mit hilfreichen Hinweisen für
Betroffenen bietet die Herzstiftung in der Ausgabe 4/2024 ihrer
Zeitschrift HERZ heute mit dem Titel „Krank ist man nie allen – Vom Umgang
mit Herzpatienten“. Ein Probe-Exemplar dieser Ausgabe kann kostenfrei
unter Tel. 069 955128-400 oder unter https://herzstiftung.de/bestellung
angefordert werden.

Im Forschungs-Video „Leben mit fremdem Herz – Was denken Transplantierte
über den Spender des Organs?“ geben Wissenschaftler des Herz- und
Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum
Einblicke in ihrer Forschungsarbeit zum Phänomen der Spenderperson- und
Organgedanken. Eine Herztransplantierte berichtet. Zum Video:
https://www.youtube.com/watch?v=STizIN4_0Ls&t=

Bildmaterial erhalten Sie gerne unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. oder per Tel.
unter 069 955128-114

Kontakt:
Deutsche Herzstiftung e.V., Pressestelle: Michael Wichert (Ltg.) / Pierre
König
Tel. 069 955128-114/-140, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.,
www.herzstiftung.de

Originalpublikation:
Laskowski, N.M., Brandt, G., Tigges-Limmer, K., Halbeisen, G., Paslakis,
G. Donor and Donation Images (DDI) - A Scoping Review of What We Know and
What We Don’t. Journal of Clinical Medicine 2023, 12, 952.
https://doi.org/10.3390/jcm12030952

Tigges-Limmer, K., Laskowski, N., Paslakis, G., In Gedanken beim
Herzspender, HERZ heute 2024; 4, 36-39

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