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Mehr als 1,2 Millionen Jahre altes Eis erbohrt

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Es ist ein historischer Meilenstein für die Klimaforschung: Ein
internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Alfred-Wegener-
Instituts hat erfolgreich einen 2.800 Meter langen Eiskern in der
Antarktis erbohrt, der bis zum Grundgestein unter dem Eisschild reicht.

In
der vierten Antarktissaison des von der Europäischen Kommission
finanzierten Projekts „Beyond EPICA - Oldest Ice“ konnte das Team Eis
abteufen, das kontinuierliche Aufzeichnung der Geschichte unseres Klimas
bis zu 1,2 Millionen Jahren enthält - und wahrscheinlich noch darüber
hinaus. Der bisherige Altersrekord stammt aus dem im Jahr 2004 erbohrten
EPICA-Bohrkern, der die Atmosphäre der letzten 800.000 Jahre abbildet.

„Wir haben einen historischen Moment für die Klima- und Umweltwissenschaft
markiert“, kommentiert Carlo Barbante, Koordinator von Beyond EPICA und
Professor an der Universität Ca' Foscari in Venedig sowie leitendes
Mitglied des Instituts für Polarwissenschaften des Nationalen
Forschungsrats von Italien (Cnr-Isp). „Dies ist die längste
kontinuierliche Aufzeichnung unseres vergangenen Klimas aus einem Eiskern
und kann den Zusammenhang zwischen dem Kohlenstoffkreislauf und der
Temperatur unseres Planeten aufzeigen. Diese Leistung wurde durch die
außergewöhnliche Zusammenarbeit verschiedener europäischer
Forschungseinrichtungen und das Engagement von Fachleuten aus Wissenschaft
und Logistik vor Ort in den letzten zehn Jahren ermöglicht.“ Das Projekt
profitiert auch von der Synergie mit dem von der EU finanzierten
Ausbildungsnetzwerk DEEPICE-Projekt, das drei Promovierende zu dieser
Feldkampagne beisteuerte.

„Die vorläufigen Analysen von Little Dome C deuten stark darauf hin, dass
die obersten 2.480 Meter eine Klimaaufzeichnung enthalten, die bis zu 1,2
Millionen Jahre zurückreicht, und zwar in einer hochauflösenden
Aufzeichnung, bei der bis zu 13.000 Jahre in einem Meter Eis komprimiert
sind“, berichtet Julien Westhoff, leitender Wissenschaftler im Feld und
Postdoc an der Universität Kopenhagen.

Kampagnenleiter Frank Wilhelms, Glaziologe Alfred-Wegener-Institut,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Professor an
der Universität Göttingen, berichtet aus der Antarktis: „Es ist
faszinierend, dass wir jetzt wirklich genau dort Eis im Alter zwischen
800.000 und 1,2 Millionen Jahren erbohren konnten, wo wir es aufgrund
unserer Vorerkundungen vorhergesagt hatten: im Tiefenbereich zwischen 2426
und 2490 Metern.“ In dieser Zeit liegt der Übergang des mittleren
Pleistozäns, eine Periode, in der sich die Eiszeitzyklen von 41.000- auf
100.000-jährige Intervalle verlangsamten. Erdbahnparameter wie der
Neigungswinkel, Sonneneinstrahlung und Eis-Albedo bestimmen diese Zyklen.
Aber warum sich die Reaktion des Erdsystem sich plötzlich so verschoben
hat, ist nach wie vor eines der größten Rätsel der Klimawissenschaft, das
mit diesem Projekt gelüftet werden soll. Die Frequenz von Eiszeitzyklen zu
verstehen ist nicht nur wichtig für die bisherige Geschichte des Planeten
und der Menschheit, sondern auch für unsere Zukunft. Frank Wilhelms
weiter: „Die Identifizierung des richtigen Ortes in der ersten Phase von
Beyond EPICA – Oldest Ice mit modernsten Radio-Echolot-Technologien und
der Modellierung des Gletscherflusses hat hervorragend geklappt. Damit
haben wir jetzt unseren vor zwanzig Jahren gewonnenen EPICA-Eiskern um
eine wichtige Phase in der Erdgeschichte erweitert.“

Unterhalb des Eises, das die Klimaaufzeichnungen von mehr als 1,2
Millionen Jahren beherbergt, bestehen die untersten 210 Meter des Eiskerns
über dem Grundgestein aus altem Eis, das stark deformiert, möglicherweise
durchmischt oder wieder eingefroren und von unbekannter Herkunft ist.
Weitere Analysen sollen dazu beitragen, frühere Theorien über das
Verhalten von wieder gefrorenem Eis unter dem antarktischen Eisschild zu
überprüfen und die Vergletscherungsgeschichte der Ostantarktis
aufzudecken, die mit diesem Projekt entschlüsselt werden soll.

Die europäischen Teams vor Ort haben eine beeindruckende Leistung
vollbracht: insgesamt mehr als 200 Tage erfolgreicher Bohrungen und
Eiskernbearbeitungen über vier Feldsaisons. Das Bohrcamp Little Dome C
liegt in der rauen Umgebung des zentralantarktischen Plateaus in einer
Höhe von 3.200 Metern über dem Meeresspiegel und mit einer
durchschnittlichen Sommertemperatur von -35°C. Die jetzt erbohrten,
wertvollen Eiskerne werden an Bord des Eisbrechers Laura Bassi zurück nach
Europa transportiert. Eine logistische Herausforderung dabei wird sein,
die Kühlkette von -50°C aufrecht zu erhalten. Das Forschungskonsortium hat
extra spezielle Kühlcontainer konstruiert, mit denen das italienische
Nationale Antarktis-Forschungsprogramm (PNRA) den Versand nach Europa
plant. Bohrmeister vor Ort und AWI-Glaziologe Matthias Hüther freut sich
bereits: „Wenn die Kerne im Frühsommer am AWI zur weiteren Bearbeitung in
unserem Eislabor in Bremerhaven eintreffen, beherbergen wir viele
internationale Fachleute und liebgewordene Freundinnen und Freunde und
werden gemeinsam sicher noch viele spannende ungeplante Entdeckungen
machen.“ Das Forschungsteam verlässt die Antarktis Ende Januar per
Flugzeug.

Sobald die Eiskerne in Europa sind, wird sich das Projekt auf die Analyse
der Eisproben konzentrieren, um die Geschichte des Klimas und der
Atmosphäre der Erde in den letzten 1,2 Millionen Jahren und wahrscheinlich
darüber hinaus aufzudecken. In den untersten Abschnitten des Kerns könnte
sogar noch älteres Eis aus der Zeit vor dem Quartär vorhanden sein. Die
darunter liegenden Gesteine werden datiert, um herauszufinden, wann diese
Region der Antarktis zum letzten Mal eisfrei war.

Über Beyond EPICA – Oldest Ice:
Dieses Projekt wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon
2020 der Europäischen Union unter der Fördervereinbarung Nr. 815384
gefördert. Das Projekt wurde auch von nationalen Partnern und
Förderorganisationen in Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland,
Italien, Norwegen, Schweden, der Schweiz, den Niederlanden und dem
Vereinigten Königreich unterstützt.

Konsortium:
•       Institute of Polar Sciences of the National Research Council of
Italy, ISP-CNR, Italien (Leitung)
•       Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung, AWI, Deutschland
•       British Antarctic Survey, BAS (Vereinigtes Königreich)
•       French Polar Institute, IPEV (Frankreich)
•       National Agency for New Technologies, Energy and Sustainable
Economic Development, ENEA (Italien)
•       National Scientific Research Centre, CNRS (Frankreich)
•       Utrecht University (Niederlande)
•       Norwegian Polar Institute, NPI (Norwegen)
•       University of Stockholm (Schweden)
•       University of Bern (Schweiz)
•       University of Copenhagen (Dänemark)
•       Brussels University (Belgien)

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