Simulationspuppen klären Eltern über Schütteltrauma auf
Schon kurzes Schütteln eines Säuglings kann irreversible Schäden an dessen
Gehirn hinterlassen. | Mittels Schüttelpuppen werden Mütter und Väter seit
einem Jahr in Elternkursen über die Folgen aufgeklärt.
| FamilieNetz des
Uniklinikums unterstützt Eltern von
krank oder zu früh Geborenen bei Stressbewältigung.
In Deutschland werden jedes Jahr bis zu 200 Kinder aufgrund eines
Schütteltraumas in einer Klinik behandelt. Betroffen sind schätzungsweise
doppelt so viele Babys und Kleinkinder. Zwischen zehn und 30 Prozent davon
überleben die dabei entstandenen Hirnverletzungen nicht. Das
Perinatalzentrum des Universitäts-Kinder-Frauenzent
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden demonstriert in
Elternkursen mit einer Simulationspuppe die lebensbedrohlichen Folgen des
heftigen Schüttelns von Neugeborenen anschaulich. Dank der Unterstützung
durch die Dresdner Altmarkt-Galerie kommt nun eine zweite Puppe dazu, die
an diesem Donnerstag (9. Januar 2025) am Uniklinikum übergeben wurde.
Davon profitieren nicht nur Eltern von krank oder zu früh geborenen Babys,
die am Uniklinikum durch das FamilieNetz begleitet und so unter anderem
auf die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt vorbereitet werden. Damit
Eltern lernen, mit Stresssituationen umzugehen, werden sie am Uniklinikum
vom FamilieNetz mithilfe der Schüttelpuppen geschult.
„Ein Schütteltrauma kann zu schweren Hirnverletzungen, bleibenden Schäden
oder sogar zum Tod führen“, erklärt Prof. Uwe Platzbecker, Medizinischer
Vorstand des Dresdner Uniklinikums. Während die medizinische Versorgung
von extrem früh oder krank geborenen Babys in hochspezialisierten Zentren
heute sichergestellt ist, müsse der Fokus noch stärker auf den Alltag der
Eltern mit ihrem Neugeborenen gerichtet werden. „Dabei nimmt das Projekt
FamilieNetz, das zum Ziel hat, eine sichere Eltern-Kind-Bindung auch bei
intensivmedizinisch versorgten Säuglingen aufzubauen, eine Vorreiterrolle
ein. Die Simulationspuppen sind in diesem Rahmen ein praxisnahes Mittel,
das den Eltern zeigt, wie sie auch in Stresssituationen richtig agieren.“
Diplom-Psychologin Josephin Jahnke betont, dass weder Mütter noch Väter
dem eigenen Baby schaden wollen. „Und doch passiert es immer wieder“, sagt
die Leiterin des FamilieNetzes, einem Versorgungsbereich, der in der
Universitäts-Kinderklinik insbesondere für die psychosoziale und spezielle
pflegerische Begleitung von Familien zu früh oder krank Neugeborener
zuständig ist. Dabei bereitet sie die Familien auch auf die Grenzsituation
vor, wenn sich ein Kind über eine lange Zeit nicht beruhigen lässt und 20
Minuten oder in extremen Fällen sogar mehr als eine Stunde durchgehend
schreit. In solchen Fällen die Nerven zu verlieren, ist nichts
Außergewöhnliches: „Das kann jedem so ergehen“, sagt Josephin Jahnke. „Wir
schätzen, dass in Deutschland jedes Jahr bis zu 200 Kinder aufgrund eines
Schütteltraumas in eine Klinik gebracht werden. Zwischen zehn und 30
Prozent davon überleben die dabei entstandenen Hirnverletzungen nicht“,
sagt Dr. Monica Pleul von der Klinik für Kinderchirurgie, die zugleich zur
Leitung der Kinderschutzgruppe am Universitätsklinikum gehört. Das macht
das Schütteltrauma zur häufigsten syndromalen Sonderform des nicht
akzidentellen Schädel-Hirn-Traumas im Säuglings- und Kleinkindesalter.
„Allein im Uniklinikum Dresden wurden in den vergangenen fünf Jahren 17
Kinder mit dem Shaken-Baby-Syndrom, wie es in der Fachsprache genannt
wird, diagnostiziert“, sagt Jacqueline Zinn, Sozialpädagogin in der
Kinderschutzgruppe. 50 bis 70 Prozent der Babys, die mit Schütteltrauma in
Kliniken gebracht werden, erleiden schwerste bleibende körperliche und
geistige Beeinträchtigungen. Das sind Krampfanfälle, Erblindungen,
Sprachstörungen, Lernschwierigkeiten oder Entwicklungsverzögerungen.
Lediglich zehn bis 20 Prozent der Säuglinge überleben ein Schütteltrauma
ohne bleibende Schäden.
Beim Schütteln schleudert der Kopf unkontrolliert hin und her. Denn der
Säugling kann – wegen seiner schwachen Nackenmuskulatur – den Kopf noch
nicht allein halten. Die gewaltsamen Bewegungen führen dazu, dass das
Gehirn im Schädel hin- und hergeworfen wird. Dabei können Nervenbahnen und
Blutgefäße reißen. Rein äußerlich sind diese Verletzungen oft nicht
sichtbar. Die akut auftretenden Symptome könnten auch andere Ursachen
haben. Typische Anzeichen sind Blässe, Reizbarkeit, Apathie, Erbrechen,
Krampfanfälle oder Atemstillstand.
Simulationspuppe zeigt Schäden am Gehirn
Um den Eltern die schweren Folgen dieser Überforderungshandlung im
wahrsten Sinne „begreifbar“ zu machen, setzt das FamilieNetz die
Schüttelpuppe in ihren Elternkursen ein. Eltern wird durch den
durchsichtig gestalteten Kopf der Puppe veranschaulicht, welche Schäden
das Gehirn selbst durch kurzzeitiges Schütteln erleiden kann. Auf diese
Weise schulte das FamilieNetz im vergangenen Jahr präventiv rund 65 Mütter
und Väter. Zusätzlich kommt die Puppe auch in der Personalschulung zum
Einsatz, um für das Thema zu sensibilisieren und zu verdeutlichen, dass
Folgen dieser Form der Kindesmisshandlung etwa nicht nur durch einen Sturz
von der Wickelauflage allein erklärbar sind. Wird die Simulationspuppe
durch Schütteln aktiviert, schreit sie wie ein echtes Kind. Zudem leuchten
im transparenten Kopf der Puppe rote Warn-Lampen auf, die zeigen, dass die
noch zarten Gefäße im Kopf des Kindes dadurch gerissen und in der Folge
Hirnblutungen entstanden wären. Umfragen zeigen, dass rund zwei Drittel
der deutschen Bevölkerung nicht bewusst ist, dass schon kurzes Schütteln
tödliche Folgen haben kann.
Babys schreien in den ersten Lebenswochen besonders häufig
Im Mittel schreien Babys ab der 2. bis zur 6. Lebenswoche zwei Stunden am
Tag. Dies reduziert sich danach schrittweise und sinkt nach der 12.
Lebenswoche auf durchschnittlich weniger als eine Stunde täglich. Gerade
in den ersten Monaten scheinen viele Schreianfälle unvorhersehbar und
lassen sich nicht nachvollziehen. In bis zu zehn Prozent dieser Anfälle
ist das Baby untröstlich. Alle Versuche der Eltern, das Kind zu beruhigen,
bleiben erfolglos. Dies kann bei den Eltern Gefühle der Hilflosigkeit,
Frustration und Wut auslösen und schließlich zum Schütteln des Kindes im
Affekt führen. Die noch immer verbreitete Ansicht, dass das Schreien in
den ersten Lebensmonaten auf Probleme des Darmtrakts – sogenannte
„Dreimonatskoliken“ – zurückzuführen sei, ist nach heutigen Erkenntnissen
nicht mehr zutreffend. Vielmehr gehen die Expertinnen und Experten davon
aus, dass das Schreien mit verschiedenen Reifungsprozessen zusammenhängt.
In den ersten Lebensmonaten lernt der Säugling in einem Anpassungs- und
Reifungsprozess Schlaf- und Wachzustände, Hunger und Sättigung zu
regulieren. Insbesondere bei zu früh geborenen Babys können hier
Verzögerungen auftreten, sodass die Eltern dieser Kinder häufiger und
intensiver mit dem Problem konfrontiert werden.
Wann sich Eltern Hilfe suchen sollten
Liegt die tägliche Schreidauer über drei Wochen an mindestens drei Tagen
der Woche bei mindestens drei Stunden, spricht man von exzessivem
Schreien. Das betrifft zwischen fünf und 19 Prozent der Säuglinge. Babys
schreien, weil sie ihre Bedürfnisse noch nicht anders ausdrücken können.
Sie können erkrankt sein und schreien in der Folge der mit der Erkrankung
verbundenen Schmerzen – hier ist unbedingt die kinderärztliche
Untersuchung angezeigt. Schreien ist für sie aber auch der einzige Weg zu
zeigen, dass ihnen etwas fehlt. „Trösten Sie Ihr Kind, wenn es schreit. So
erlebt ihr Kind, dass sie für es da sind, und es kann Vertrauen aufbauen“,
sagt Josephin Jahnke. Ursachen, weshalb Babys schreien, sind Müdigkeit
oder Hunger, das Gefühl, dass es ihnen zu warm oder zu kalt ist, dass sie
eine nasse oder volle Windel haben, sie eine zu laute Umgebung stört oder
ihnen gerade körperliche Nähe vor allem zu Mutter oder Vater fehlt oder
aber auch zu viel wird. „Wichtig zu wissen ist, dass Babys niemals
schreien, um ihre Eltern oder andere Menschen zu ärgern. Zu so einem
absichtsvollen Handeln sind Babys noch gar nicht in der Lage“, betont die
Diplom-Psychologin. „Im Zweifel sollten Eltern ihr Kind lieber sicher
ablegen und kurz die Situation verlassen, um ihre Emotionen abkühlen zu
lassen, bevor die Situation eskaliert und es zu einer Handlung kommt,
deren Folgen lebensverändernd ausfallenkönnen“, erklärt Josephin Jahnke.
Sollten solche Situationen jedoch häufiger vorkommen, sei es wichtig zu
wissen, an wen man sich hilfesuchend wenden kann. Hierfür stehen die
kinderärztlichen Praxen, die sogenannten Schreiambulanzen oder die
Familien- und Erziehungsberatungsstellen zur Verfügung. Das Amt für
Gesundheit und Prävention, Sachgebiet Frühe Gesundheitshilfen, unterhält
die (Schrei-)Babysprechstunde, die an diesem Donnerstag (9. Januar 2025)
ebenfalls eine Schüttelpuppe von der Altmarkt-Galerie bekommen hat und
diese künftig in der Präventionsarbeit einsetzen wird. Die Kosten von
knapp 4.000 Euro pro Puppe übernimmt die Altmarkt-Galerie Dresden
komplett. Am Universitätsklinikum sind für betroffene Familien
beispielsweise das FamilieNetz in der Nachsorge und das Sozialpädiatrische
Zentrum der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin oder die
Mutter-Kind-Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und
Psychosomatik zuständig.
Weiterführende Informationen
Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung informiert auf seinen Internetseiten
weiterführend über die Ursachen des Baby-Schreiens, gibt Tipps für
einfache Hilfen und bietet Unterstützung bei der Suche nach wohnortnahen
Schreiambulanzen an:
https://www.elternsein.info/s
https://www.elternsein.info/s
https://www.elternsein.info/fi
/NZFH-Schuetteltrauma-Flyer.pd
https://www.elternsein.info/s
Kontakt für Eltern
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
FamilieNetz in der Nachsorge
Tel.: 0351 458 10421
E-Mail:
www.ukdd.de/kik/familienetz