Liebe im Renten-Alter: Was braucht es, um sich auch spät noch neu verlieben zu können?
Die erste große Liebe ist etwas ganz Besonderes. An die können wir uns in
der Regel auch nach Jahren und vielleicht sogar Jahrzehnten noch gut
erinnern.
Und das, obwohl sie selten von Bestand ist. Doch was ist mit der
letzten großen Liebe? Ist die nicht genauso besonders? Bis wann hat man
die Chance auf die Liebe? Gibt es dafür eine Altersgrenze? Diese und
weitere Fragen beantwortet Dr. Sarah Seidl, Psychologie-Professorin an der
SRH Fernhochschule.
Gerade wurde die erste Folge der Dating-Show „Golden Bachelor“
ausgestrahlt. Darin buhlen 18 Damen um das Herz des stattlichen Franz.
Soweit nichts Neues in der TV-Landschaft. Kuppel-Shows gibt es wie Sand am
Meer, doch diese ist doch ein Novum. Denn beim goldenen Bachelor handelt
es sich um einen 73-jährigen Rentner, der vor Sendungsstart nur ein paar
Dutzend Follower auf Social-Media-Plattformen hatte. Demnach könnte man
ihm schon einmal nicht vorwerfen, nur auf Reichweite oder ein Dasein als
Influencer aus zu sein. Bei den Mädels, die sich auf dieses Abenteuer
einlassen, handelt es sich ebenfalls um Best-Ager. Die Damen sind allesamt
über 60 Jahre, einige von ihnen auch über 70. Öffentliches Buhlen um die
Gunst eines potenziellen Partners in diesem Alter? Das gab es so bisher so
noch nicht.
Liebe, Sex & Zärtlichkeit ü60: Was ändert sich, was bleibt gleich?
Und wenn man die Protagonist:innen so beobachtet und ihnen zuhört, zeigt
sich, dass sich Bedürfnisse im Alter wohl nicht zu ändern scheinen. Da ist
die Sehnsucht nach Nähe, Berührungen und auch ganz offen formulierte
Wünsche nach Sexualität. Und das ist – obwohl für gewisse Altersgruppen
überpräsent – spätestens mit dem Renteneintritt ein gesellschaftliches
Tabu-Thema. Dabei ändert sich an den menschlichen Sehnsüchten wenig. Prof.
Dr. Seidl dazu: „Die Grundbedürfnisse des Menschen nach Nähe,
Verbundenheit und Zuwendung begleiten uns ein Leben lang. Bei Vielen steht
in früheren Lebensphasen eher das Neue, das Unbekannte, Aufregende und
auch etwas Performanz-Druck im Vordergrund beim Thema Sexualität. Paare im
Alter können diese Leistungsorientierung eher ablegen und erleben innigere
Formen der Verbundenheit. Man muss sich selbst und dem anderen nichts mehr
beweisen und kann eher eintauchen in Berührung und Nähe. Daraus kann dann
auch eine emotional tiefere Bindung entstehen.“
Emotionen vs. Erfahrungen: Wird Dating im Alter leichter?
Die reifen Bachelor-Kandidatinnen und auch der Bachelor selbst verfügen
allesamt über einen reichen Erfahrungsschatz in Sachen Beziehung. Viele
von ihnen waren in langjährigen Partnerschaften, die meisten auch
verheiratet. Einige Beziehungen gingen in die Brüche, manche sind bereits
verwitwet. Die Erfahrungen und Erlebnisse mit vorangegangenen
Partner:innen prägen. Ist es damit eher schwierig, sich auf etwas Neues
einzulassen oder hilft es vielleicht sogar, weil es dazu führen kann, dass
man sich selbst besser kennenlernt und damit viel besser Wünsche
formulieren oder für sich selbst auch Dinge ausschließen kann?
Mut und emotionale Flexibilität
Prof. Dr. Seidl sagt dazu: „Dating im Alter hat Beides: Auf der einen
Seite weiß man mit ü60 was einem in einer Beziehung wichtig ist und was
man nicht mehr möchte. Auf der anderen Seite ist man auch durch
vorangegangene Beziehungen und Erlebnisse geprägt. Alte Muster oder
Verletzungen hinter sich zu lassen und sich zu öffnen für Neues und auch
die Chance in etwas ganz anderem zu sehen, dafür braucht es Mut und
emotionale Flexibilität. Je offener wir dem Leben generell bleiben, umso
leichter machen wir es auch einer neuen Liebe. Wenn wir dann noch im Laufe
des Lebens gelernt haben, die eigenen Werte und Bedürfnisse klar zu
kommunizieren, sind das gute Voraussetzungen für authentische und tiefe
Beziehungen.
Körperlichem und geistigen Verfall vorbeugen
Menschen, die sich auch im fortgeschrittenen Alter noch an Neues
heranwagen, scheint es immer mehr zu geben. Ist das so oder bekommt man
nur verstärkt den Eindruck durch Vorbilder in Social Media und Fernsehen?
Prof. Dr. Sarah Seidl erklärt: „Wir werden immer länger gesund und damit
aktiv älter. Das hat auch Auswirkungen auf die Bereiche Partnerschaft und
Sexualität. Wir wagen länger Neues. Außerdem verändern sich langsam, wie
man auch an dem Bachelor- Format sehen kann, gesellschaftliche
Limitationen, die eine Liebe im Alltag eher verheimlicht haben lassen.“
Offenheit von Herz und Kopf schaffen Chancen
Fest steht: wir alle altern. Und wenn wir Glück haben und auch bereit
sind, etwas dafür zu tun, diesen Prozess möglichst gut zu begleiten, haben
wir länger die Chance auf ein erfülltes Leben. Gesunde Ernährung schadet
nie, auch körperliche Betätigung ist ein großer Faktor des fitten Alterns.
Zunehmende Falten können wir – zumindest ohne größere Interventionen –
nicht vermeiden. Aber wir können vermeiden, einzurosten. Und dafür ist es
auch elementar wichtig, den Geist immer neu zu fordern. Das zeigen nicht
nur die goldenen Bachelor-Kandidaten, sondern auch viele unserer
Studierenden, die mit ü60, 70 oder gar 90 noch bereit sind, ihr Wissen und
ihren Horizont zu erweitern. Und wer mit offenem Denken und einem offenen
Herzen durch die Welt geht, hat jederzeit die Chance erfüllende
Erfahrungen zu machen. Und vielleicht sogar auch noch einmal die ganz
große Liebe zu erleben.