nstabiles Klima – schlechte Karten für die Menschheit

Ob Kulturen im Laufe von Jahrtausenden erblühten oder vergingen, hing zum
grossen Teil davon ab, wie stark sich das Klima wandelte.
Das legt eine
Studie nahe, in der ein internationales Team unter der Leitung des
Helmholtz-Zentrums Hereon Klimadaten mit Zehntausenden von archäologischen
Funden abgeglichen hat. Wie die Forscher im Magazin „Nature
Communications“ schreiben, schrumpfte die Bevölkerung auf den
verschiedenen Kontinenten, wenn das Klima über lange Zeit instabil wurde.
Eine aktuelle internationale Studie des Hereon gemeinsam mit dem Leibniz-
Zentrum für Archäologie (LEIZA) und weiteren Institutionen zeigt, dass die
Zunahme der Erdbevölkerung nicht kontinuierlich verlief. Die Ergebnisse
deuten darauf hin, dass sich über Jahrtausende Epochen mit starkem
Wachstum und Rückgang abwechselten. Dieses Auf und Ab hängt offenbar mit
der Intensität von Klimaveränderungen zusammen, schreibt das Team um den
Umweltwissenschaftler Kai Wirtz vom Hereon im Fachmagazin „Nature
Communications“.
Zehntausende archäologische Daten
Die Archäologen, Klimaforscher und Umweltwissenschaftler trugen riesige
Mengen an Informationen aus verschiedenen Datenbanken zusammen, auch aus
einer neuen Metadatenbank am LEIZA in Mainz zu archäologischen Funden. Das
Alter dieser Funde wurde mithilfe der sogenannten 14C-Methode bestimmt.
Das ist ein Datierungsverfahren, welches die Zerfallsraten von
unterschiedlichen Kohlenstoffisotopen im organischen Material nutzt.
Insgesamt trug das Team allein für Europa Daten von etwa 91.000
archäologischen Fundstellen zusammen, die aus der Zeit von vor 9.000 bis
3.000 Jahren stammen. Hinzu kamen 14C Daten von etwa genauso vielen
Fundorten aus Nord- und Südamerika, Afrika, Australien und Asien. Neben
der Genauigkeit dieser Daten liegt ein großer Vorteil in ihrer
Zugänglichkeit – im Gegensatz zu den häufig nicht großflächig verfügbaren
archäologischen Fundberichten. Anhand der 14C Daten konnten die
Forschenden abschätzen, zu welchen Zeiten relativ viele oder wenige
Menschen in den jeweiligen Regionen lebten.
Diese archäologisch-demographischen Daten wurden anschließend mit
vergangenen Klimadaten kombiniert. Dabei handelt es sich um
Stellvertreter-Daten, aus denen Experten abschätzen können, wie das Klima
einst an verschiedenen Orten der Erde aussah. Aus der chemischen Isotopen-
Zusammensetzung von uralten Stalaktiten aus Tropfsteinhöhlen lässt sich
zum Beispiel rekonstruieren, wie feucht oder warm es war.
„Durch die Verschneidung der archäologischen Daten mit den Klimadaten
können wir deutlich sehen, dass es in Jahrzehnten und Jahrhunderten, in
denen das Klima stabil war, großräumig zu einem Bevölkerungswachstum kam“,
sagt Kai Wirtz, Erstautor und Leiter der Studie. Wenn es beständig sehr
kalt oder warm war oder sich einzelne trockene oder feuchte Jahre
abwechselten, seien die Menschen zurechtgekommen. Nicht aber, wenn sich
das Klima mittelfristig fundamental änderte. Ein Grund dafür könnte sein,
dass sich Jäger und Sammler und auch Ackerbauern nicht gut genug an das
veränderte Klima anpassen konnten. Nahrungsknappheit könnte dann Kriege
und Seuchen begünstigt haben.
„Die Frage, warum Gesellschaften entstehen, blühen und dann wieder
zusammenbrechen, beschäftigt die Archäologie, aber auch alle
Geschichtswissenschaften schon immer“, sagt Detlef Gronenborn vom LEIZA,
der die Studie mit konzipiert hat. „Nun zeigt sich, dass auf
kontinentaler, aber auch auf globaler Ebene häufig ein Klimawandel mit
ausschlaggebend war – mehr noch als gesellschaftsinterne Vorgänge wie
Umstürze. Der innovative Ansatz unserer Studie steht daher im Kontext
einer internationalen und interdisziplinären Strömung, in der Forschende
die Wechselwirkungen zwischen dem Planeten und dem Menschen in den Fokus
nehmen.“ Diese Strömung nennt sich "Planetary Thinking".
Ein weltweites Phänomen
Kai Wirtz betont, dass es mit den vorliegenden Daten nicht möglich sei,
die genaue Zahl der Menschen in einer Region zu bestimmen. „Wir können
aber durchaus abschätzen, um wie viel Prozent die Bevölkerung ab- oder
zunahm.“ Eine Stärke der Studie liege darin, dass erstmals sehr
verschiedene Klimaparameter und sehr viele regionale Bevölkerungsdynamiken
systematisch ausgewertet wurden. Kai Wirtz: „Es gibt viele Studien zu
einzelnen Kulturen, deren Verschwinden man auf einen Parameter
zurückgeführt hat – etwa eine Dürre. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der
Einfluss des Klimas komplexer ist.“ Sie machten deutlich, dass die
Klimastabilität weltweit ein entscheidender Treiber der demographischen
Entwicklung war.
In der Studie hat das Team auch den Einfluss der Solarstrahlung
untersucht, denn deren Intensität verändert sich im Laufe von Jahren,
Jahrzehnten und Jahrhunderten. „Der Abgleich mit den Daten legt nahe, dass
die Menschheit immer dann gedieh, wenn die Sonneneinstrahlung geringer
war“, sagt Kai Wirtz. Noch sei unklar, wie beides miteinander
zusammenhängen könnte.
An der Studie waren Forscher von den folgenden Institutionen beteiligt:
• Helmholtz Zentrum Hereon
• Leibniz-Zentrum für Archäologie
• Universität Kiel
• Universität Mainz
• German Archaeological Institute
• Institute of Archeology of the National Academy of Sciences (Kiew)
• Universität Leipzig
• Alfred Wegener Institute, Helmholtz Centre for Polar and Marine
Research
• Maynooth University