Frauenaugen werden anders krank – häufiger blind, empfindlicher bei Kontaktlinsen, mehr Grüner Star
Die Augengesundheit von Männern und Frauen ist nicht gleich. Unterschiede
in der Anatomie und bei den Hormonen beeinflussen die Häufigkeit von
Augenerkrankungen, auch reagieren Frauen oft empfindlicher auf Medikamente
und Kontaktlinsen, zeigen jedoch bessere Behandlungsergebnisse. Welche
Erkenntnisse vorliegen, wie sie sich auwirken könnten und warum weitere
Forschung etwa mit künstlicher Intelligenz wichtig ist, erläutert
Professor Dr. med. Maya Müller am 10. Oktober 2024 auf der hybriden
Pressekonferenz beim Jahreskongress der Deutschen Ophthalmologischen
Gesellschaft e.V. (DOG).
Die Gendermedizin hat sich in den zurückliegenden Jahren als wichtiger
Forschungszweig etabliert. „Auch in der Augenheilkunde gewinnt sie
zunehmend an Bedeutung“, sagt Professor Dr. med. Maya Müller, Ärztliche
Direktorin des Instituts für Refraktive und Ophthalmo-Chirurgie (IROC) in
Zürich/Schweiz. „Für uns Augenärztinnen und Augenärzte ist es wichtig,
Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu verstehen, um
Behandlungsstrategien zu optimieren und die Patientensicherheit zu
erhöhen“, fügt die DOG-Expertin hinzu, die auch Mitglied der Deutschen
Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e.V. ist.
Frauen verlieren häufiger ihr Sehvermögen
So tragen Frauen in den USA ein um 15 Prozent höheres Risiko als Männer,
an Erblindungen oder Sehbehinderungen zu leiden. Das belegen Daten der
IRIS Registry, der weltgrößten Datenbank für Augenheilkunde.1 Frauen sind
beispielsweise weltweit 2- bis 4-mal häufiger vom Engwinkelglaukom
betroffen, einer Form des Grünen Stars.2 „Das liegt zum Teil an
anatomischen Unterschieden, da Frauen oft kleinere Augen und engere
Vorderkammerwinkel haben“, erläutert Müller. An einer endokrinen
Orbitopathie leiden Frauen ebenfalls 4- bis 5-mal häufiger als Männer3 –
einer Erkrankung, die sich durch stark hervortretende Augen bemerkbar
macht. „Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass autoimmune
Schilddrüsenerkrankungen wie Morbus Basedow bei Frauen viel häufiger
auftreten“, so Müller.
Weibliche Hornhaut ist dünner und sensibler
Auch den Grauen Star entwickeln Frauen weltweit in vielen Regionen bis zu
1,7-mal häufiger, insbesondere nach der Menopause.4 „Hier könnte der
Rückgang von Östrogen als Schutzfaktor gegen oxidativen Stress im Auge
eine Rolle spielen“, erläutert die DOG-Expertin. Schließlich unterscheidet
sich auch die Hornhaut, sie ist bei Frauen dünner und sensibler – was
ebenfalls an den Hormonen liegen könnte, da Östrogen die Funktion der
Nerven in der Hornhaut beeinflussen kann.5 „Die erhöhte Sensibilität führt
möglicherweise zu einer größeren Neigung zu Augentrockenheit, einer
typischen Augenerkrankung der Frau, und Unbehagen, das sich etwa beim
Tragen von Kontaktlinsen bemerkbar macht“, betont Müller.
Geschlechterunterschiede bei Augentropfen
Hinzu kommen Geschlechterunterschiede bei der Wirksamkeit und
Verträglichkeit von Therapien. „Wir wissen, dass Frauen häufig sensibler
auf bestimmte Medikamente oder konservierende Zusatzstoffe in Augentropfen
reagieren“, erklärt die Augenärztin. Andererseits schlagen Therapien oft
besser an, weil Frauen ihre Behandlung konsequenter umsetzen. „Frauen
wenden Glaukomtropfen regelmäßiger an und benötigen weniger
Kontrolluntersuchungen bei der altersabhängigen Makuladegeneration“,
erläutert Müller. Somit spielen auch psychosoziale Faktoren eine Rolle.
Genderspezifische Ansätze in Therapie und Prävention fehlen
Es sind also viele Aspekte, die geschlechterspezifische Unterschiede in
der Ophthalmologie aufzeigen. Doch die Umsetzung dieser Erkenntnisse im
klinischen Alltag gestaltet sich schwierig. „Viele Augenärztinnen und
Augenärzte sind nicht ausreichend geschult, geschlechtsspezifische
Faktoren einzubeziehen“, sagt Müller. Vor allem aber sei noch nicht
genügend erforscht, was das konkret für Therapie und Prävention bedeutet.6
„Es fehlen detaillierte Langzeitstudien, die Unterschiede in Bezug auf
Häufigkeit, Krankheitsverlauf und Therapieergebnisse analysieren“,
kritisiert Müller. „Kurz: Es fehlen uns Richtlinien, die
geschlechterspezifische Therapieansätze vorschlagen.“
Hoffnungen setzt die Augenärztin aus der Schweiz in Big Data und
künstliche Intelligenz. „Sie ermöglichen präzisere Auswertungen“, meint
Müller. Am Ende, so die DOG-Expertin, würden beide Geschlechter von einer
optimierten, personalisierten Therapie profitieren.
Literatur:
1) IRIS Registry, Ophthalmology Times, 4 November 2023. Do women bear
a greater burden for blindness and visual loss in the United States? Vgl.
hier: AAO 2023: Do women bear a greater burden for blindness and vision
loss in the United States? (ophthalmologytimes.com)
2) Tehrani, S. (2015). Gender difference in the pathophysiology and
treatment of glaucoma. Current eye research, 40(2), 191-200.
3) Ponto, K. A., et al. (2013). Gender-Specific Aspects in Thyroid-
Associated Orbitopathy. Experimental and Clinical Endocrinology &
Diabetes, 121(6), 320-325.
4) World Health Organization (WHO). Global Data on Visual Impairments
2010. Available from: https://www.who.int
5) Koskela, T., Manninen, J., & Laitinen, T. (2020). Gender and age-
related differences in central corneal thickness. Journal of Cataract and
Refractive Surgery
6) Suggested Principles for Sex and Gender Data in Ophthalmology
Clinical Trials, JAMA Ophthalmol. 2024;142(2):131-132.
doi:10.1001/jamaophthalmol.202
November 2023.