Zukunftsaufgabe Einbürgerung: Forschungsprojekt untersucht Potenziale für die Integration Geflüchteter
Deutschland erlebt einen Einbürgerungsboom. Mit gut 200.000 Einbürgerungen
wurde 2023 ein neuer Höchststand erreicht. Dies ist vor allem auf
Geflüchtete zurückzuführen: Sie erfüllen immer häufiger die Kriterien für
eine Einbürgerung und zeigen im Vergleich zu anderen Zugewanderten ein
besonders hohes Interesse am deutschen Pass. Politische Rechte,
wirtschaftliche Chancen und die offizielle Anerkennung ihrer Zugehörigkeit
sind dabei wichtige Motive. Der Policy Brief gibt einen Überblick über den
bisherigen Wissensstand der Forschung und analysiert die potenziellen
Auswirkungen der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts auf die
Einbürgerung von Geflüchteten und die Arbeit der Behörden.
Ein Großteil der Geflüchteten, die insbesondere in den Jahren 2015 und
2016 nach Deutschland gekommen sind, erfüllt heute wichtige
Voraussetzungen für die Einbürgerung wie etwa die notwendigen
Voraufenthaltszeiten, ausreichende Deutschkenntnisse und einen gesicherten
Lebensunterhalt. Sie zeigen im Vergleich zu anderen Zugewanderten ein
besonders hohes Interesse an einer Einbürgerung, da sie tendenziell mehr
von ihr profitieren. „Wirtschaftliche Chancen, die rechtliche
Gleichstellung zu deutschen Staatsangehörigen und die
Aufenthaltssicherheit sind wichtige Motive, um sich einbürgern zu lassen“,
erklärt Dr. Marie Walter-Franke, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SVR
und Autorin des Policy Briefs. „Oft bietet das Herkunftsland auch nach
Jahren keine sichere Rückkehrperspektive, sodass Geflüchtete mehr als
andere Gruppen auf eine dauerhafte Zukunft im Aufnahmeland angewiesen
sind. Mit der deutschen Staatsangehörigkeit erhalten sie nicht nur
zusätzliche Rechte und Pflichten, sondern auch den Nachweis und die
offizielle Anerkennung ihrer Zugehörigkeit – kurz gesagt: eine neue
Heimat."
Um eingebürgert zu werden, müssen Geflüchtete bereits
Integrationsleistungen erbracht haben. Kann die Einbürgerung ihrerseits
dann die Integration weiter fördern? Die Forschungslage weist
Wissenslücken in Bezug auf Geflüchtete auf: „Studien zeigen bisher, dass
Einbürgerung sich tendenziell positiv auf die weitere ökonomische und
politische Integration von Zugewanderten auswirkt. So können
Einbürgerungen beispielsweise zu höherem Einkommen führen. Weniger
eindeutig sind die Effekte auf die soziale und kulturelle Integration“,
sagt Hakan Yücetas, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SVR und Co-Autor
des Policy Briefs. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass sich Menschen nach
einer Einbürgerung stärker mit Deutschland identifizieren und ihr
Zugehörigkeitsgefühl wächst. „Es deutet sich jedoch an, dass sich eine
Einbürgerung vor allem positiv auf die Integration am Arbeitsmarkt
auswirkt – auch wenn es dazu im Hinblick auf Geflüchtete bislang noch
wenig Forschungsergebnisse gibt. Hier möchten wir durch empirische Befunde
die Wissensbasis erweitern, indem wir uns mit den Erfahrungen von
Geflüchteten im Einbürgerungsprozess beschäftigen“, so Hakan Yücetas.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht: Chancen und Hürden
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die am 27. Juni 2024 in Kraft
getreten ist, hat einige Hürden im Bereich der Einbürgerung abgebaut. So
wurde zum Beispiel die Mindestaufenthaltsdauer von acht auf fünf Jahre
verringert und Mehrstaatigkeit grundsätzlich hingenommen. Davon
profitieren auch Geflüchtete, selbst wenn für die meisten von ihnen die
Mehrstaatigkeit sowie eine Einbürgerung ab sechs bzw. sieben Jahren
bereits vor der Reform möglich war. Hingegen unterliegt die Sicherung des
Lebensunterhalts nun strengeren Anforderungen. Nach der Reform müssen
Antragstellende bis auf wenige Ausnahmen ihren Lebensunterhalt für sich
und ihre unterhaltspflichtigen Familienangehörigen bestreiten, ohne
Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Das könnte Geflüchtete vor
besondere Herausforderungen stellen, da sie häufig in prekären und
zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt und stärker von
Arbeitslosigkeit und niedrigeren Einkommen betroffen sind. Wie sich die
Reform auf die Einbürgerungsabsichten von Geflüchteten und auf ihre
Erfahrungen mit Behörden auswirkt, ist ebenfalls Gegenstand des
Forschungsprojekts.
Neben dem Rechtsrahmen sind die Verwaltungsorganisation und -praxis
entscheidend für eine effiziente Einbürgerungspolitik. Für das
Staatsangehörigkeitsrecht ist laut Grundgesetz der Bund zuständig, die
Umsetzung liegt bei den Ländern und den kommunalen
Staatsangehörigkeitsbehörden. Diese sind aber vielerorts chronisch
überlastet. Es fehlt an personellen Ressourcen und Digitalisierung, zudem
ist die Rechtslage aufgrund zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe
komplex und es mangelt an Vorgaben zur einheitlichen Anwendung. Daraus
ergeben sich Wartezeiten von bis zu mehreren Jahren. „Die Ergebnisse des
Forschungsprojekts sollen auch dazu beitragen, Einbürgerungsverfahren zu
verbessern, daher beziehen wir die Perspektive der behördlichen Praxis
ein“, so Dr. Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim SVR.
Im Forschungsprojekt „Einbürgerung als ‚Integrationsbooster‘ für
Geflüchtete“ analysiert der wissenschaftliche Stab des SVR relevante
Forschungslücken und die aktuelle Behördenpraxis. Die Analyse soll in
praxisrelevante Empfehlungen für Politik, Verwaltung und Gesellschaft
münden, um die Teilhabechancen, die Geflüchteten rechtlich zustehen, zu
stärken und die Arbeit der Staatsangehörigkeitsbehörden zu optimieren.
Dabei werden drei Dimensionen betrachtet: die Perspektive der Flüchtlinge
auf die Einbürgerung und ihre Erfahrungen im Einbürgerungssystem, die
alltägliche Praxis der Behörden und erfolgreiche Strategien im Umgang mit
Herausforderungen, sowie die Erfahrungen aus anderen Ländern. Das Projekt
wird von der Stiftung Mercator gefördert und läuft bis 2026.
Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges
und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen
Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung
bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen
sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und
Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Hans Vorländer (Vorsitzender), Prof.
Dr. Birgit Leyendecker (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva
Engin, Prof. Dr. Birgit Glorius, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr.
Winfried Kluth, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra La-venex, Ph.D.,
Prof. Panu Poutvaara, Ph.D.
Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der
Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige,
anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integrati-on und Migration.
Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen.
Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und
Policy Briefs veröffentlicht.
Weitere Informationen unter http://www.svr-migration.de