Bedingungsloses Grundeinkommen: Steuern müssten erhöht werden, Arbeitsangebot würde sinken
Mit der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in
existenzsicherndem Umfang würden die staatlichen Transferzahlungen
steigen. Um es zu finanzieren, wären allerdings deutliche Steuererhöhungen
notwendig. Die Einführung eines haushaltstyp- und wohnortabhängigen
Grundeinkommens würde zu einem erheblichen Rückgang der Arbeitsstunden
führen, der je nach Gestaltung der zur Gegenfinanzierung notwendigen
Einkommensteuerreform bis zu ca. 30 Prozent liegen würde. Zu diesen
Simulationsergebnissen kommt eine Studie des RWI – Leibniz-Institut für
Wirtschaftsforschung und des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht
(IVR) der Universität Stuttgart. ...
... Die Umverteilungswirkung des BGE hängt davon ab, wie die damit
einhergehende Steuerreform gegenfinanziert wird.
Das Wichtigste in Kürze:
- Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens bei gleichzeitigem
Wegfall von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld I und II – bzw. des
Bürgergelds –, Sozialgeld, der Grundsicherung im Alter und dem Kindergeld
würde das deutsche Sozialsystem stark vereinfachen. Diese grundlegende
Reform des Sozialstaats könnte prinzipiell den bürokratischen Aufwand der
Grundsicherung erheblich reduzieren. Um die simulierten Reformen des BGE
zu finanzieren, wären indes deutliche Steuererhöhungen notwendig. Zudem
würden Bezieher des BGE ihre Arbeitszeit reduzieren. Zu diesem Ergebnis
kommt eine aktuelle Studie des RWI und der Universität Stuttgart.
- Die Untersuchung der Reformszenarien zeigt: Mit Einführung des BGE
würden die staatlichen Transferzahlungen steigen. Gleichzeitig wären
Steuererhöhungen erforderlich. Denn: Erstens würde das BGE an jeden Bürger
ausgezahlt. Zweitens können nicht sämtliche im Sozialbudget enthaltenen
Leistungen wegfallen, weil entweder privatrechtliche Ansprüche oder
individuelle Rechtsansprüche bestehen oder der Erhalt der Leistungen für
die Gewährung des Existenzminimums notwendig ist. Drittens würden Bezieher
des BGE ihre Arbeitsstunden reduzieren – und die Finanzierung der Reform
damit zusätzlich erschweren.
- In den beschriebenen Reformszenarien werden Finanzierungsmöglichkeiten
durch eine Reform des Einkommensteuertarifs simuliert und hinsichtlich
ihrer Verteilungswirkung untersucht. Wird außerdem noch das Verhalten der
Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt in den Simulationen berücksichtigt, ist
das „klassische“ BGE durch die untersuchten Einkommenssteuererhöhungen
nicht finanzierbar. Das gilt für ein BGE von 1.000 Euro pro Erwachsenen
und 500 Euro pro Kind. Gleichzeitig wäre ein solches Grundeinkommen nicht
für alle Haushaltskonstellationen existenzsichernd.
- Zusätzlich zum „klassischen“ Bedingungslosen Grundeinkommen wird in der
Studie auch ein haushaltstyp- und wohnortabhängiges Grundeinkommen
simuliert. Die Höhe dieses bedarfsabhängigen Grundeinkommens hängt von der
Haushaltszusammensetzung und dem Mietniveau des Wohnorts ab. Im Gegensatz
zum „klassischen“ BGE ist hier eine für alle Haushalte existenzsichernde
Variante finanzierbar. Wie beim „klassischen“ BGE würde dieses Einkommen
unabhängig vom Vermögen oder der tatsächlichen Miethöhe ausgezahlt. Mit
der Einführung eines haushaltstyp- und wohnortabhängigen Grundeinkommens
würden die Arbeitsstunden in Deutschland insgesamt um bis zu ca. 30
Prozent reduziert – je nach Gestaltung der zur Gegenfinanzierung
notwendigen Einkommensteuerreform.
- Die jährlichen Kosten für das haushaltstyp- und wohnortabhängiges
Grundeinkommen fallen (ohne Berücksichtigung von Arbeitsangebotseffekten)
rund 83 Milliarden Euro niedriger aus als bei den untersuchten Varianten
des „klassischen“ Bedingungslosen Grundeinkommens.
- Im Unterschied zum „klassischen“ Bedingungslosen Grundeinkommen wäre ein
haushaltstyp- und wohnortabhängiges Grundeinkommen auch bei
Berücksichtigung von Arbeitsangebotsreaktionen finanzierbar,
beispielsweise durch eine Flat Tax von ca. 70 Prozent. Die Arbeitsstunden
würden in diesem Fall um etwa 20 Prozent sinken. Diese Schätzung ist indes
mit hoher Unsicherheit behaftet und ignoriert andere Ausweichreaktionen
als Anpassungen der Arbeitsstunden.
- Im Vergleich zum Status quo bewirkt eine gleichzeitige Reform des
Steuer- und Transfersystems mit einer Flat Tax eine starke Umverteilung
zur unteren Hälfte der Einkommensverteilung. Im Durchschnitt würden
Alleinerziehende über mehr Einkommen verfügen, während das verfügbare
Einkommen von Paarhaushalten und Familien im Durchschnitt zurückginge. Die
Zusatzbelastung der oberen Einkommensgruppen ließe sich mindern, wenn die
Verwaltungsausgaben im Sozialsystem (im Jahr 2021 knapp 40 Milliarden
Euro) erheblich reduziert würden. Dann könnte das Bedingungslose
Grundeinkommen mit einem etwas geringeren Einheitssteuersatz finanziert
werden: Um das BGE unter Berücksichtigung von Arbeitsangebotseffekten mit
einem Einheitssteuersatz von 48 Prozent zu finanzieren, wären insgesamt
Einsparungen von jährlich 590 Milliarden Euro notwendig. Um unter
Berücksichtigung von Arbeitsangebotseffekten das haushaltstyp- und
wohnortabhängige Grundeinkommen zu finanzieren, müssten jährlich insgesamt
504 Milliarden Euro eingespart werden.
- Um die Verteilungswirkungen, Finanzierungsbedarfe und
Umsetzungsmöglichkeiten des BGE zu schätzen, verwenden die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das RWI-Einkommensteuer-
Mikrosimulationsmodell (EMSIM) auf Grundlage einer repräsentativen
Haushaltsbefragung, dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), und Daten des
Immobiliendatensatzes RWI-GEO-RED.
„Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in
existenzsichernder Höhe würde den Anreiz, zu arbeiten, deutlich
verschlechtern. Wegen des Rückgangs der Arbeitsstunden ist es selbst durch
starke Steuererhöhungen nicht finanzierbar. Ein Grundeinkommen, das von
der Haushaltszusammensetzung und der Miethöhe abhängt, wäre theoretisch
finanzierbar. Es wäre aber sehr teuer und nur über starke Steuererhöhungen
finanzierbar“, sagt Studienautor Robin Jessen, Leiter der RWI-
Forschungsgruppe „Mikrostruktur von Steuer- und Transfersystemen“. „Der
Anreiz, zu arbeiten, würde auch hier deutlich sinken – insbesondere im
oberen Einkommensbereich. Infolgedessen würde der Arbeitskräftemangel
erheblich verschärft. Bereits jetzt können viele Stellen nicht besetzt
werden. Im internationalen Wettbewerb würde Deutschland weiter
zurückfallen und Wohlstand einbüßen.“