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Im Interview spricht Friedens- und Konfliktforscher Prof. Dr. Janpeter
Schilling von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin über den
Klimawandel als Sicherheitsrisiko und wie damit umgegangen werden kann.

Zur Person
Der studierte Geograph Dr. Janpeter Schilling ist Professor für Risiko-,
Krisen- und Konfliktmanagement am Fachbereich Polizei und
Sicherheitsmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er
forscht unter anderem zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Ressourcen
und Konflikte.

Prof. Schilling, sind Sie ein Optimist, so generell – und wenn ja,
weshalb?
Ja, schon. Für mich bedeutet Optimist zu sein, nicht nur auf Besserung zu
hoffen, sondern diese auch selbst herbeizuführen. Letztlich bieten Krisen
auch immer Chancen.

Was ist aus Sicht eigentlich noch sicher in diesen Zeiten?
Kaum etwas. Nicht mal, dass der FC Bayern München Fußballmeister wird.
Aber im Ernst: Gefühlt leben wir in unsicheren und krisenhaften Zeiten.
Besonders bewaffnete Konflikte und der Klimawandel stellen uns vor große
Herausforderungen. In einigen Ländern, auch in Deutschland, setzt zudem
der Rechtspopulismus Demokratien unter Druck. Wie diese mit den Polykrisen
– sprich gleichzeitig auftretenden, sich gegenseitig verstärkenden Krisen
– umgehen, ist entscheidend für den sozialen Zusammenhalt. Sicher ist
daher nur, dass wir keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen geben
dürfen und gerade in herausfordernden Zeiten auf Zusammenarbeit und
Zusammenhalt setzen müssen.

Viele denken bei Klimawandel und Sicherheit zuerst und gerade in diesen
Tagen an Überflutungen und Stürme. Welche weniger offensichtlichen
Gefahren sehen Sie noch?
So genannte Großschadensereignisse, wie wir sie kürzlich bei den
Überflutungen in Süddeutschland gesehen haben, erhalten immer große
mediale Aufmerksamkeit und sind daher in der öffentlichen Wahrnehmung
präsenter. Weniger wahrgenommen werden dagegen sich verändernde
Niederschlagsmuster. Der Klimawandel führt dazu, dass sich beispielweise
in Afrika Regenzeiten verschieben oder ganz ausbleiben. Für Bauern und
Bäuerinnen, Viehhalter*innen und andere Gruppen, die stark von
verlässlichen Regenfällen abhängen, kann das existenzbedrohend sein. Diese
schleichenden Prozesse werden medial weniger thematisiert.

Führen drastische Temperatur- und Wetterveränderungen eher zu Konflikten
oder zu mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Maßgeblich sind Institutionen, die
den Zugang zu und die Verteilung sowie Kontrolle von Ressourcen wie Land
und Wasser regeln. Zudem ist entscheidend, wie das Verhältnis der Gruppen,
die sich eine Ressource teilen, zueinander ist. Haben sie ein gutes und
vertrauensvolles Verhältnis, ist die Wahrscheinlich hoch, dass sie bei
einer Dürre zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Bestehen
bereits Konflikte zwischen den Gruppen, kann eine Abnahme von Weideflächen
Konflikte verstärken. Das heißt, der Klimawandel und Umweltveränderungen
können wie Brandbeschleuniger oder Risikomultiplikatoren wirken. Wo es
aber keine „Glut“ gibt, entfachen klimatische Änderungen auch selten ein
Feuer.

Können Sie das bitte an einem konkreten Beispiel konkretisieren?
Im Norden Kenias, wo ich lang geforscht habe, lässt sich das gut
beobachten. Dort führt eine umweltbedingte Verknappung von Weideflächen
und Wasserressourcen eher zu einer Verschärfung von bewaffneten Konflikten
zwischen befeindeten Viehhaltergruppen, während Gruppen, die positive
Beziehungen haben, eher Ressourcen teilen. Die Verfügbarkeit von
Ressourcen ist aber nur ein Teil in dem größeren „Konfliktpuzzle“.
Institutionen und die Ressourcengovernance, die den Zugang und die
Kontrolle zu Ressourcen regeln, spielen meistens eine größere Rolle.

Wenn man die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und bewaffneten Konflikten
besser verstehen will, dann am ehesten dort, wo diese Phänomene parallel
auftreten und die Abhängigkeit von Land und Wasser hoch ist.

Auch in Deutschland häufen sich Extremwetterlagen mit verheerenden Folgen.
Was folgt daraus, um auch im Ausnahmezustand die öffentliche Sicherheit
hierzulande zu gewährleisten?
Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, der sowohl in der Vorbereitung
auf als auch bei der akuten Bewältigung von Extremwetterlagen über
erhebliche Fähigkeiten verfügt. Das führt dazu, dass zwar die Sachschäden
bei Flutereignissen hoch ausfallen, die Anzahl der Opfer aber meist
relativ gering bleibt. Das wird zum Beispiel deutlich, wenn man die
aktuelle Situation in Bayern mit den Auswirkungen der Überflutungen in
Kenia aus dem April vergleicht. Hier waren deutlich mehr Opfer zu beklagen
und der Staat war nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit
durchgehend zu gewährleisten.

Was kann Deutschland in Sachen Risiko- und Krisenmanagement lernen von
Ländern, die bereits erfolgreich mit Folgen des Klimawandels umgehen? Was
können wir davon umsetzen?
Gerade mit Blick auf Starkregenereignisse und Hitzewellen muss der Natur
wieder mehr Raum gegeben werden. Zum Beispiel können Grünflächen, sowohl
im ländlichen Raum als auch in der Stadt, Wasser aufnehmen und bei
Extremtemperaturen für Abkühlung sorgen.

Klimawandel und Umweltschutz gehen Hand in Hand. Glauben Sie, dass die
aktuellen und geplanten Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen
ausreichen, oder brauchen wir radikalere Ansätze?
Weltweit sind wir im Moment nicht auf einem Emissionspfad, mit dem wir die
globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius begrenzen können. Wahrscheinlicher
ist, dass wir im Jahr 2100 bei 2,7 Grad landen werden. Das wird eine ganz
andere Welt als wir sie jetzt haben. 2,7 Grad global bedeutet regional,
insbesondere in den nördlichen Breiten, eine Erwärmung von 7 Grad
gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Es macht mir Sorgen, wenn ich daran
denke, dass meine Kinder und deren Kinder das erleben werden. Der
Klimawandel ist sowohl zeitlich als auch geographisch, wenn wir an die
globale Verteilung der Verwundbarkeit gegenüber Klimafolgen denken,
ungerecht. Wir müssen daher unsere Anstrengungen beim Klimaschutz deutlich
erhöhen und grundlegend unseren Lebensstil und die Fokussierung auf „immer
mehr“ überdenken.

Was lernen angehende Polizeibeamtinnen und -beamte in ihrem Studium an der
HWR Berlin über die Verbindung zwischen Klimawandel und Risiko- und
Krisenmanagement?
Das müssten Sie die Studierenden am besten selbst fragen! In meinen
Lehrveranstaltungen versuche ich, vor allem Denkanstöße zu geben und
Diskussionsräume zu schaffen. Zu Beginn jeder Sitzung sprechen wir über
aktuelle Nachrichten, die die Studierenden mitbekommen haben, und fragen
uns dann, was die mit den Inhalten der Lehrveranstaltung zu tun haben.
Dadurch werden zum Beispiel Zusammenhänge zwischen dem aktuellen
Nahostkonflikt und Demonstrationen in Berlin und Umweltveränderungen in
Teilen Afrikas und Migration deutlicher. Im Anschluss gehen wir dann auf
die Auswirkungen dieser Phänomene auf die Polizeiarbeit ein und schauen,
wo Risiken und Chancen bestehen.

Als Geograph hätten Sie sich auch mit Stadt- und Regionalplanung
beschäftigen können, mit Vulkanen oder Erdplatten. Weshalb setzen Sie sich
als selbsterklärter Optimist mit Risiken und Krisen auseinander?
Im Norden Kenias habe ich die Folgen von Gewaltkonflikten hautnah erlebt.
Wenn Du nachts in Deinem Zelt liegst, das Gewehrfeuer hörst und darauf
hoffst, dass die Gruppe „gewinnt“, bei der Du gerade untergekommen bist,
dann macht das was mit einem. Mir hat es viel Motivation gegeben, mich mit
bewaffneten Konflikten und Sicherheitsrisiken zu beschäftigen und nach
Lösungen zu suchen. Optimistisch an Herausforderungen heranzugehen,
bedeutet für mich, sich daran zu erinnern, dass wir Risiken und Krisen
nicht schutzlos ausgeliefert sind. Wir können (und sollten!) uns darauf
vorbereiten. Auch der Glaube in die eigenen Fähigkeiten und die immer
wieder zu beobachtende Bereitschaft von Nachbarschaften, in Krisenzeiten
zusammenzustehen, macht Hoffnung.

Prof. Schilling, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für
Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) ist eine
fachlich breit aufgestellte, international ausgerichtete Hochschule für
angewandte Wissenschaften, einer der bundesweit größten staatlichen
Anbieter für das duale Studium und im akademischen Weiterbildungsbereich.
Sie sichert den Fachkräftebedarf in der Hauptstadtregion und darüber
hinaus. Rund 12 500 Studierende sind in über 60 Studiengängen der
Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts-, Ingenieur- und Polizei- und
Sicherheitswissenschaften sowie in internationalen Master- und MBA-
Studiengängen eingeschrieben. Die HWR Berlin ist die viertgrößte
Hochschule für den öffentlichen Dienst in Deutschland und mehrfach
prämierte Gründungshochschule. Über 700 Kooperationen mit Partnern in der
Wirtschaft und im öffentlichen Dienst garantieren den ausgeprägten
Praxisbezug in Lehre und Forschung. 195 aktive Partnerschaften mit
Universitäten auf allen Kontinenten fördern einen regen
Studierendenaustausch und die internationale Forschungszusammenarbeit. Die
HWR Berlin ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for
Excellence“ und unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz
„Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

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