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Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China: Bei einzelnen Produkten kritisch

Deutsche Importabhängigkeit von China und Taiwan  Kiel Institut für Weltwirtschaft
Deutsche Importabhängigkeit von China und Taiwan Kiel Institut für Weltwirtschaft
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Deutsche Importabhängigkeit von China und Taiwan  Kiel Institut für Weltwirtschaft
Deutsche Importabhängigkeit von China und Taiwan Kiel Institut für Weltwirtschaft

Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Importen aus China ist laut
einer aktuellen Analyse des IfW Kiel deutlich geringer, als durch
klassische Handelsstatistiken suggeriert wird. Insgesamt hängt nur ein
äußerst kleiner Teil der deutschen Produktion direkt oder indirekt von
chinesischen Vorleistungen ab. Der mit Abstand größte Teil entstammt
deutschen Eigenleistungen. Allerdings dominiert China bei einzelnen
Rohstoffen und Produkten, insbesondere im Bereich Elektronik, den
Weltmarkt sowie die deutsche Versorgung und könnte als Lieferant
kurzfristig nicht ersetzt werden.

„Um die Versorgungssicherheit in Bezug auf kritische Rohstoffe sowie Vor-
und Endprodukte zu gewährleisten, braucht Deutschland dringend eine
Strategie für mehr Diversifizierung. Dies wäre nicht nur die richtige
Antwort auf zunehmende geopolitische Rivalitäten, sondern dient vor allem
auch der Absicherung gegen Lieferengpässe“, sagt Alexander Sandkamp,
Mitautor des Kiel Policy Briefs „Leere Regale made in China: Wenn China
beim Handel mauert“ (https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-policy-
briefs/2023/leere-regale-made-in-china-wenn-china-beim-handel-mauert-0/
).

Für die deutsche Wirtschaft demnach unabdingbare Produktgruppen, bei denen
die Abhängigkeit von China besonders hoch ist, sind mit einem Importanteil
von rund 80 Prozent Laptops, Mobiltelefone (Importanteil 68%), bestimmte
Textilprodukte (Spinnstoffwaren, 69%) Computereinheiten wie Sound- und
Grafikkarten (62%), Fotoelemente und LEDs (61%) oder Platinen und
Leiterplatten (Schaltungen gedruckt, 58%).

Einige der für die Produktion von Spezialtechnologie wichtigen und von der
EU als kritisch eingestuften seltenen Erden und Rohstoffe wie Scandium
oder Antimon bezieht Deutschland zu 85 Prozent und mehr aus China. Sie
kommen beispielweise in der Batterieproduktion oder
Oberflächenbeschichtung zum Einsatz.

Äußerst hoch ist die deutsche Abhängigkeit von China auch bei bestimmten
Medizinprodukten, etwa Atemschutzmasken oder Schmerzmitteln, mit
Importanteilen von zum Teil über 90 Prozent.

China und Taiwan dominieren bei 221 Produkten

„Politisch ist eine Abkopplung Deutschlands von China nicht mehr
undenkbar. Ein militärischer Konflikt zwischen der Volksrepublik und
Taiwan etwa dürfte Sanktionen auf europäischer Ebene auslösen“, so
Sandkamp. „In einem solchen Fall könnte auch Taiwan aufgrund chinesischer
Blockaden als Lieferant ausfallen. Das würde eine deutsche
Versorgungsnotlage bei bestimmten kritischen Produkten verschärfen.“

Speziell bei Computereinheiten und -teilen sowie elektronischen
Schalteinheiten bedient neben China auch Taiwan einen nennenswerten Teil
der globalen und auch deutschen Nachfrage. Sollte die EU chinesische
Importe boykottieren, stünden dafür praktisch keine alternativen
Zulieferer zur Verfügung. Darüber hinaus ist Taiwan für die Versorgung mit
Fahrradkomponenten essenziell.

Insgesamt identifizieren die Autoren 221 Produkte, bei denen China und
Taiwan gemeinsam den deutschen Import dominieren. Bei der Mehrzahl der
Produkte liegt der Importanteil beider Länder bei über 80 Prozent.

Konsum und Produktion in Deutschland basieren vor allem auf
Eigenleistungen

Abgesehen von den genannten kritischen Vorleistungen ist die Bedeutung
Chinas für die deutsche Wirtschaft laut Analyse aber überraschend gering.
Nur etwa 0,6 Prozent der direkten Vorleistungen, die für die deutsche
Produktion benötigt werden, stammen den Berechnungen nach aus China.
Wichtiger sind sowohl die USA (0,8%) als auch Frankreich (0,7%). Bezieht
man indirekte Vorleistungen mit ein, die Deutschland aus Drittländern
bezieht und die dort mit Hilfe chinesischer Vorprodukte hergestellt
werden, steigt der Anteil Chinas an der deutschen Produktion auf 1,5
Prozent.

Auch im Bereich der in Deutschland konsumierten Endprodukte ist China nur
von untergeordneter Bedeutung. Direkt stammen 1,4 Prozent der in
Deutschland konsumierten Leistungen aus China, unter Berücksichtigung
indirekter Verflechtungen steigt der Anteil auf 2,7 Prozent. Die Bedeutung
Chinas für den Endverbrauch ist somit fast doppelt so hoch wie für die
deutsche Produktion.

Die Zahlen stehen im Kontrast zu gängigen Handelsstatistiken, wonach China
mit knapp 12 Prozent das wichtigste Ursprungsland aller deutschen Importe
ist. Aus den USA stammen gut 6 Prozent, aus Frankreich gut 5 Prozent. Von
der Europäischen Union (EU)  als Ganzes stammen über 50 Prozent der
deutschen Importe.

„Diese klassischen Handelsflüsse alleine sind nur bedingt geeignet, um die
wirtschaftliche Bedeutung Chinas für Deutschland einzuordnen. Denn auch
Deutschland selbst produziert Zwischen- und Endprodukte für die heimische
Produktion und den heimischen Konsum“, so Sandkamp.

Handelskonflikt EU – China mindert deutsches BIP langfristig um 1 Prozent

Über 80 Prozent der heimischen Produktion und über 70 Prozent des
heimischen Konsums entstammen laut Analyse deutscher Eigenleistung. Eine
Abkopplung der EU von China, bei der der Handel um 97 Prozent reduziert
wird, würde die deutsche Wirtschaftsleistung nach Modellrechnungen auf
lange Sicht – also, wenn neue Lieferstrukturen gefunden und etabliert sind
– um 1 Prozent geringer ausfallen lassen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt
2021 entspricht das entgangener Wertschöpfung in Höhe von 36 Mrd. Euro pro
Jahr.

„Unsere Berechnungen zeigen, dass die Abhängigkeit der deutschen
Wirtschaft von China gesamtwirtschaftlich gesehen nur gering ist.
Allerdings würde ein abrupter Abbruch der Handelsbeziehungen zunächst eine
Versorgungslücke mit wichtigen Rohstoffen, Medikamenten und Produkten
bedeuten, mit der Folge erheblicher Wohlstandseinbußen für Deutschland“,
so Sandkamp.

„Die Politik darf sich nicht erst um alternative Bezugsquellen bemühen,
wenn es zu spät ist, sondern muss heute über Freihandelsabkommen,
Investitionsschutzabkommen oder Investitionsgarantien vorbeugen. Dabei
sollte China, wenn möglich, immer Teil des deutschen Handelsportfolios
sein, exklusive Lieferstrukturen müssen aber eliminiert werden. Konkret
sollte die EU etwa bei den Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit
Australien einen besonderen Fokus auf Rohstoffe legen.“

Jetzt Kiel Policy Brief lesen: „Leere Regale made in China: Wenn China
beim Handel mauert“ (https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-policy-
briefs/2023/leere-regale-made-in-china-wenn-china-beim-handel-mauert-0/
)