Umwelthistorikerin forscht zur Deutschen Seewarte


Vom Feuer zum Wasser gekommen ist die Umwelthistorikerin Dr. Katrin
Kleemann. Nachdem sie die Einflüsse auf die nördliche Hemisphäre nach dem
Ausbruch des isländischen Laki-Vulkans im 18. Jahrhundert erforschte,
dreht sich in ihrem aktuellen Projekt für das Deutsche Schifffahrtsmuseum
(DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte alles um das Meer:
Kleemann rollt zum ersten Mal die Historie der Deutschen Seewarte auf.
Ein hektisch blinkendes Mobiltelefon randvoll mit Nachrichten weckte
Katrin Kleemann am 15. Januar 2022: Ein Unterwasservulkan vor Tonga war
ausgebrochen, spuckte Aschewolken in den Himmel, ließ Tsunami-Wellen über
die Inselgruppe rollen und schickte eine Druckwelle um den Erdball, die
auf elektronischen Barometern weltweit messbar war. Für die
Umwelthistorikerin, die seit August 2021 als wissenschaftliche
Mitarbeiterin am DSM arbeitet, eine große Sache: „Die Schwefelgase, die
während eines Ausbruchs in die Atmosphäre geschleudert werden, können das
Klima beeinflussen. Der Ausbruch der isländischen Laki-Spalte vom 8. Juni
1783 bis 7. Februar 1784 hat in den folgenden Jahren sehr kalte Winter in
Europa nach sich gezogen“, sagt die 33-Jährige, die ihre Promotion über
den Vulkanausbruch in Island und dessen Folgen für die nördliche
Hemisphäre schrieb. Dafür griff sie unter anderem auf die Wettertagebücher
des britischen Naturforschers Gilbert White zurück, der für die Kälte
gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine bildliche Sprache fand: Er schrieb
von gefrorenen Nachttöpfen und Thermometern, in denen sich das Quecksilber
bis in die Glaskugel zurückgezogen hatte.
„Die Nachricht vom Vulkanausbruch erreichte Kopenhagen erst drei Monate
später – per Schiff. Das war damals der einzige Weg, Neuigkeiten zu
verbreiten“, sagt die gebürtige Schleswig-Holsteinerin, die in Kiel,
Berlin und München studierte. In ihrem neuen Projekt für das DSM dreht
sich nun alles um das Meer. Die Deutsche Seewarte, die von 1875 bis 1945
in Hamburg ihren Hauptsitz hatte, erfasste Wetterdaten, bereitete sie auf
und verlieh Instrumente zur Messung der maritimen Meteorologie und zur
Erforschung der Ozeane. Über die Historie der Institution, die als
Vorgängerin des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie des
Deutschen Wetterdiensts gilt, ist bisher wenig bekannt. Kleemann
rekonstruiert sie und freut sich, dass sie auf diverse Quellen am DSM
zurückgreifen kann. „Für das Projekt ist das DSM das perfekte Zuhause.“
Die Seewarte nutzte die Logbücher von Schiffen, die aus aller Welt in
Hamburg einfuhren. Auf deren Grundlage erstellte sie Wetterkarten und
Segelanweisungen, die Passagen über die Ozeane um einige Tage verkürzen
konnten und die Schifffahrt sicherer machten. Die Anstalt bereitete
wichtiges Wissen für die Schifffahrt und Ozeanographie auf und war an
Expeditionen beteiligt. „Für mich als Historikerin ist ebenfalls spannend
zu sehen, wie das Institut in Zeiten wie dem Kaiserreich, der Weimarer
Republik und der NS-Zeit arbeitete. Oder: Welche Auswirkungen der Verlust
der deutschen Kolonien hatte, in denen sich ebenfalls Wetterstationen
befanden.“
Vom Gebäude der Seewarte ist in Hamburg nach der Zerstörung im Zweiten
Weltkrieg nichts mehr zu sehen. Spuren der Arbeit tauchen jedoch heute
noch weltweit auf: Der Vater der Seewarte, Polarforscher und Geophysiker
Georg Balthasar von Neumayer, setzte im 19. Jahrhundert Tausende
Flaschenpost-Sendungen aus, um Meeresströmungen zu messen. Längst nicht
alle wurden eingesammelt. „2018 stolperte eine Australiern in der Nähe von
Perth am Strand zufällig über eine. Mal sehen, ob sich noch eine
Falschenpost findet.“ Kleemann will die Geschichte der Deutschen Seewarte
anhand von Exponaten erzählen. Im DSM hat sie schon einige Objekte ins
Auge gefasst, die nützlich sein könnten, wie die beiden Gezeitenrechner.
Sobald wieder ein Vulkan brodelt, schaut die Forscherin natürlich auf ihre
Vulkan-App und sucht Kontakt zu Kollegen – auch, weil sie die bisherige
Männerdomäne nicht sich selbst überlassen möchte: „Ich gehöre zu einer
Gruppe, in der sich internationale Wissenschaftler zu den Vulkanausbrüchen
und den Folgen austauschen. Bisher gibt es nur sehr wenige Historikerinnen
in unserer Gruppe.“