Wie umgehen mit einem schwierigen Erbe?


Debatte um Jakob Friedrich Fries: Philosophinnen der Friedrich-Schiller-
Universität Jena schalten Website www.erinnerngestalten.uni-jena
Der Philosoph Jakob Friedrich Fries (1773-1843) zählt heute zwar nicht zu
den Klassikern der Philosophie, gilt jedoch als einflussreicher Vertreter
des deutschen Kantianismus bzw. Nachkantianismus. Gleichzeitig trat Fries,
der viele Jahre in Jena lehrte, als Autor einer antisemitischen
Hetzschrift hervor. In seiner 1816 publizierten Polemik „Ueber die
Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden“
finden sich deutlich judenfeindliche Äußerungen und sogar Aufrufe zur
Vernichtung, Vertreibung, Stigmatisierung. Dennoch wird Fries in Jena in
vielfältiger Weise geehrt. So gibt es im Norden der Stadt einen Friesweg,
und ein Denkmal in der sogenannten „Via triumphalis“ am Fürstengraben
erinnert an den Philosophen. Im Hörsaal Z1 des Instituts für Philosophie
wurde zudem noch im Oktober 2000 eine Fries-Büste aufgestellt. Auf
Initiative Studierender wurde die Büste gut 20 Jahre später – im Februar
2020 – verhüllt. Auf der gerade freigeschalteten komplexen Website
www.erinnerngestalten.uni-jena
aufgearbeitet, weitergeführt und öffentlich gemacht. Einmischung ist
ausdrücklich erwünscht.
Ein klares „richtig“ oder „falsch“ ist in der Debatte kaum möglich
„Wir erleben eine sehr lebendige Auseinandersetzung in dieser Sache“, sagt
Prof. Dr. Andrea Esser vom Institut für Philosophie. Der Streit um die
antisemitischen Äußerungen von Fries und die Ehrungen des Philosophen
weise weit über die Person Fries hinaus; einfache Antworten auf die Frage,
wie mit diesem problematischen Erbe umzugehen ist, seien nicht möglich. Um
fundierte Meinungen in dieser Sache zu ermöglichen, haben Prof. Esser und
ihre Mitarbeiterin Dr. Peggy H. Breitenstein zwei Forschungsseminare
angeboten, die zugleich auf langjährigen Überlegungen und Projekten zur
Frage „Wie umgehen mit Rassismus, Sexismus, Antisemitismus in Werken der
Philosophie?“ aufbauen konnten. Im ersten Seminar (Sommersemester 2020)
ging es vorrangig um die philosophischen Schriften Fries', den Umgang mit
seinen antisemitistischen Schriften sowie das Verhältnis von Werk und
Autor. Im zweiten Forschungsseminar (Wintersemester 2020/21) standen die
Möglichkeiten einer kritischen Erinnerungskultur und öffentliche
Verhandlungen eines „kulturellen Gedächtnisses“ im Blickpunkt.
Für Dr. Peggy H. Breitenstein dokumentiert die neue Website einen Prozess,
dessen Ausgang weiterhin offen ist: „Soll die Büste verschwinden? Soll sie
ersetzt oder vielleicht sogar umgestaltet werden?“ Die Seite dokumentiert
die aktuellen Kontroversen um die Fries-Ehrungen in Jena. Dort kommen
Befürworter der Verhüllung der Büste ebenso zu Wort wie Gegner. Auch um
die Bewertung der philosophischen Schriften Fries' geht es. Immerhin steht
die Büste des Philosophen neben denen von Fichte, Schelling, Hegel und
Frege. Darüber hinaus wird auf der Website die Frage diskutiert, welche
Bedeutung Denkmäler überhaupt im Rahmen unserer Erinnerungskultur spielen
und welche Facetten des Gedenkens es gibt. Zu guter Letzt steht der Aufruf
an die Öffentlichkeit, sich einzumischen und mitzugestalten. Unter dem
Leitmotiv „Überlagern und sichtbar machen“ werden konkrete ästhetische
Umgestaltungsvorschläge gesucht.
Ideen zu einem Umgang mit der Fries-Büste werden erbeten bis zum 15.
September 2021 an die E-Mail-Adresse fries-ausschreibung@uni-jena.d
Ergebnisse des Wettbewerbs sollen gemeinsam mit der neuen Homepage am 1.
Oktober 2021 in der Reihe „Kein Schlussstrich“ der Öffentlichkeit
präsentiert werden.