Zuverlässig messen, ob Flüssen und Seen die Luft ausgeht
Abwässer tragen große Mengen organischer Substanzen in Flüsse und Seen,
die zu starkem Bakterienwachstum und Sauerstoffmangel führen. Bisherige
Messverfahren können diese organische Belastung nicht genau bestimmen. Ein
neues Verfahren, das von Experten des Helmholtz-Zentrums Hereon
mitentwickelt wurde, soll künftig ein eindeutiges Bild vom Zustand der
Gewässer liefern. Die Arbeit wurde jetzt im Fachmagazin Science Advances
veröffentlicht.
Wenn Abwässer aus Dörfern und Städten in Flüsse und Seen fließen, dann
gelangen mit den Fäkalien große Mengen an Fetten, Eiweißen, Zuckern und
anderen kohlenstoffhaltigen – organischen – Substanzen in die Natur. Diese
organischen Substanzen werden von Bakterien abgebaut, die Sauerstoff
verbrauchen. Je größer die Abwassermenge ist, desto besser gedeihen die
Bakterien. Doch damit nimmt der Sauerstoffgehalt des Wassers immer weiter
ab, bis schließlich den Fischen, Muscheln oder Würmern buchstäblich die
Luft ausgeht. Weltweit sind dadurch in vielen Flüssen und Seen
sauerstoffarme Todeszonen entstanden.
Bislang kein Goldstandard für Messungen
Um zu messen, wie stark die Gewässer mit organischen Stoffen aus Fäkalien
belastet sind, nehmen Behörden und Umweltforscher regelmäßig Wasserproben.
Weit verbreitet ist eine Messmethode, die mithilfe einer chemischen
Reaktion den Gehalt an organischen Substanzen bestimmt. Wie ein
internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jetzt
zeigt, liefert diese etablierte Methode jedoch Werte, aus denen sich der
tatsächliche Verschmutzungsgrad des Wassers kaum ableiten lässt. An der
Studie, die jetzt im Fachjournal Science Advances erschienen ist, ist auch
Prof. Helmuth Thomas, Leiter des Hereon-Instituts für
Kohlenstoffkreisläufe, beteiligt. „Wir stellen in dem Artikel deshalb auch
eine neue Methode vor, die Messungen künftig sehr viel zuverlässiger
macht“, sagt er.
Bei der herkömmlichen Messmethode werden Wasserproben mit den Chemikalien
Permanganat oder Dichromat versetzt. Diese sind besonders reaktionsfreudig
und bauen in kurzer Zeit alle organischen Substanzen ab. An der Menge des
verbrauchten Permanganats oder Dichromats lässt sich dann bestimmen, wie
viel organische Substanz in der Wasserprobe enthalten war. Experten
sprechen bei dieser Messung vom „Chemischen Sauerstoffbedarf“ (Chemical
Oxygen Demand, COD). Das Problem der COD-Messung: Sie unterscheidet nicht
zwischen den organischen Stoffen, die mit den Abwässern ins Wasser
gelangen, und jenen, die auf natürlichem Wege entstanden sind – etwa
Lignin und Huminsäuren, die beim Zerfall von Holz frei werden. Damit lässt
sich die Verschmutzung des Wassers kaum vom natürlichen Gehalt an
organischen Stoffen unterscheiden. „Für den Han-Fluss in Südkorea etwa
haben wir mit unserer neuen Methode herausgefunden, dass die Belastung mit
organischen Stoffen aus Abwässern in den vergangenen 25 Jahren abgenommen
hat. Die COD-Messungen aber zeigen nach wie vor hohe Werte an“, sagt
Helmuth Thomas, „weil hier die natürlichen Substanzen einen Großteil der
Organik im Wasser ausmachen.“
Komplizierte biologische Analyse
Wie aber lässt sich die tatsächliche Verschmutzung besser messen?
Etabliert ist hier seit Jahrzehnten eine biologische Messmethode, die
jedoch sehr viel aufwendiger als die COD-Messung ist und deshalb von
Behörden und Forschungseinrichtungen seltener genutzt wird. In diesem Fall
wird eine Wasserprobe aus dem Fluss oder See entnommen und der
Sauerstoffgehalt des Wassers als Anfangswert gemessen. Eine weitere
sogenannte Parallelprobe wird sofort luftdicht verschlossen. Anschließend
ruht diese Wasserprobe fünf Tage lang. In dieser Zeit bauen die Bakterien
die organische Substanz ab, wobei sie den Sauerstoff im Wasser nach und
nach verbrauchen. Nach fünf Tagen wird das Gefäß geöffnet und der
Sauerstoff gemessen. Enthält das Wasser viel Organik, waren die Bakterien
besonders aktiv. Entsprechend groß war dann der Sauerstoffverbrauch.
Experten sprechen bei dieser Messung vom „Biologischen Sauerstoffbedarf“
(Biological Oxygen Demand, BOD). „Die Messung des BOD ist sehr viel
genauer als die des COD, weil die Bakterien vorzugsweise die kleinen
organischen Moleküle aus dem Abwasser abbauen, aber die natürlichen wie
etwa Lignin unangetastet lassen“, sagt Helmuth Thomas. Allerdings habe
auch die Messung des BOD ihre Nachteile. Zum einen dauere die BOD-Messung
fünf Tage, während der COD-Wert nach wenigen Minuten vorliege. Zum anderen
müsse man beim Abfüllen, Lagern und Vermessen der Wasserproben peinlich
genau darauf achten, dass kein Sauerstoff aus der Umgebungsluft in die
Probe gelange und den Messwert verfälsche. „Das ganze Handling der BOD-
Messung beherrschen nur einige wenige Leute mit großer Laborerfahrung“,
sagt Helmuth Thomas. „Daher bevorzugen Behörden und Forscher auch heute
noch den COD – trotz großer Unsicherheiten.“
Schneller und sicherer messen
Das Team um Helmuth Thomas stellt deshalb eine alternative Methode vor,
die die klassische BOD-Messung verbessert. Vorteil der Methode ist, dass
nur eine Wasserprobe genommen werden muss, diese sofort verschlossen wird
und der Sauerstoffverbrauch ohne Eingriff in die Probe gemessen wird. Es
ist dabei nicht notwendig, die Probe nach fünf Tagen erneut zu öffnen, um
den Sauerstoffgehalt zu messen. So wird vermieden, dass die Probe erneut
mit Luftsauerstoff in Berührung kommt. Beim neuen Ansatz wird gleich beim
Abfüllen der Wasserprobe eine optische Faser in das Probengefäß
eingeführt. Über diese Faser kann der Sauerstoffgehalt anhand optischer
Effekte kontinuierlich direkt in der Probe gemessen werden. Thomas: „Wir
können den Sauerstoffgehalt damit nonstop messen und erhalten ein sehr
viel genaueres Bild vom Sauerstoffverbrauch durch die Bakterien.“ Erste
Versuche haben gezeigt, dass ein aussagekräftiges Ergebnis bereits nach
rund 48 Stunden vorliegt, was die BOD-Messung erheblich beschleunigt.
Alles in allem macht das optische Verfahren die BOD-Messung also nicht nur
zuverlässiger, sondern auch schneller. Helmuth Thomas geht deshalb davon
aus, dass sich das neue Verfahren in den kommenden Jahren als neuer
Standard etabliert, der sowohl die COD- als auch die klassische BOD-
Messung ablösen wird. So kann künftig beispielsweise zuverlässiger als
bisher ermittelt werden, ob Maßnahmen zur Gewässerreinhaltung tatsächlich
erfolgreich sind.