Zum Hauptinhalt springen

Corona, Kinder und Medien – Frust und Chance

Pin It

Stiftung Kindergesundheit über Risiken und Nutzen des intensiven
Medienkonsums während der Corona-Pandemie

Trifft Homeschooling auf Homeoffice, können Frust, Streit und Erschöpfung
drohen. Wenn Kinder mit Tablet und Handy zuhause lernen und arbeiten
müssen, verbringen sie noch viel mehr Zeit vor Bildschirmen und Displays
als vor Corona. Das verschärft die in vielen Familien bereits bestehenden
Probleme mit dem Medienkonsum der Kinder. Je länger der Lockdown dauert,
umso genervter und dünnhäutiger reagieren Kinder und Eltern. Wie findet
man die richtige Balance in dieser komplexen Situation? Dieser Frage hat
sich die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme
angenommen.

„Der Umgang mit Internet und Smartphone, digitalen Netzwerken und Spielen
sind für unsere Kinder längst etwas Selbstverständliches geworden. Ihre
Nutzung bringt jedoch gleichermaßen Chancen und Risiken mit sich“, sagt
Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der
Stiftung Kindergesundheit. „Die Corona-Pandemie hat zu einer
außergewöhnlichen Situation für den Alltag von Kindern und Jugendlichen
geführt: Plötzlich waren bisherige Freizeitaktivitäten kaum noch möglich,
Schulen über Wochen und Monate geschlossen, der Unterricht nach Hause
verlagert. Dadurch kam es zu einem extensiven Anstieg der Nutzungszeiten
von Fernsehen und digitaler Medien“.

Der Anstieg betraf nicht nur die Stunden vor den Bildschirmen und
Displays, die für das Lernen benötigt wurden, betont die Stiftung
Kindergesundheit: Durch die coronabedingten Einschränkungen hatten die
Kinder und Jugendlichen plötzlich nicht nur mehr Zeit zum Chatten und
Spielen, für WhatsApp und Instagram, sondern waren auch auf diese Medien
angewiesen, um in Kontakt mit Freunden und Klassenkameraden zu bleiben.

Erkenntnisse für die durch Corona veränderte Mediennutzung liefert die
„JIM-Studie 2020“ des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest
(mpfs), für die 1.200 Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren in ganz
Deutschland telefonisch oder online befragt wurden.

Jeden Tag über vier Stunden im Internet!
Hier die wichtigsten Ergebnisse:

O 89 Prozent der Jugendlichen sind täglich online. Die Nutzungsdauer des
Internets ist im Vergleich zu 2019 von täglich 205 auf durchschnittlich
258 Minuten angestiegen.

O Dabei entfällt der größte Anteil der Onlinenutzung auf den Bereich der
Unterhaltung (34 %). Kommunikation (27 %) und Spiele (28 %) liegen fast
gleichauf. Auf die Suche nach Informationen entfallen lediglich elf
Prozent der täglichen Nutzungszeit.

O Das regelmäßige Streamen von Serien, Sendungen und Filmen ist von 74
Prozent im Jahr 2019 auf 87 Prozent 2020 gestiegen. Zu den beliebtesten
Streaming-Plattformen zählen YouTube und Netflix.

O Die durchschnittliche Nutzungszeit von digitalen Spielen hat um 40
Minuten zugenommen und beträgt mittlerweile 141 Minuten täglich.

O Zwischen den Nutzungsgewohnheiten von Mädchen und Jungen gibt es
deutliche Unterschiede: Ein Drittel der Onlinenutzung von Mädchen entfällt
auf den Bereich Kommunikation, während es bei Jungen nur 23 Prozent sind.
Umgekehrt verwenden Jungen mit 34 Prozent einen sehr viel höheren Teil
ihrer Onlinezeit auf Spiele (Mädchen: 19 %).

O Die größte Steigerung ist bei der chinesischen Plattform TikTok zu
verzeichnen, das von jedem zehnten Jugendlichen als liebstes
Internetangebot angeführt wird. Spotify und Facebook werden von jeweils
fünf Prozent genannt.

O 94 Prozent der Jugendlichen nutzen WhatsApp mehrmals in der Woche, um
sich mit anderen auszutauschen, 86 % nutzen es täglich. Jugendliche, die
WhatsApp nutzen, bekommen im Schnitt 22 Nachrichten am Tag zugeschickt.

Vorteile fürs Wissen, Nachteile für die Gesundheit
Wegen der ständigen und oft suchtartigen Nutzung von digitalen Geräten
durch ihre Kinder machen sich viele Eltern Sorgen. Diese sind durchaus
gerechtfertigt, betont die Stiftung Kindergesundheit. Professor Dr.
Berthold Koletzko präzisiert: „Den zahlreichen positiven Aspekten der
Mediennutzung zur Information und Kommunikation stehen leider auch
erwiesene Nachteile für die körperliche und seelische Gesundheit
gegenüber. Viele Studien bestätigen den unheilvollen Einfluss eines
extensiven Medienkonsums auf Bewegungsmangel und Übergewicht,
Verhaltensauffälligkeiten und nachlassende Schulleistungen“.

Neue Ergebnisse liefert die internationale WHO-Studie „Health Behaviour in
Schoolaged Children (HBSC)“, an der auch 5.094 Schulkinder aus Deutschland
beteiligt waren. Sie ergab: Je mehr Zeit Jugendliche vor dem Bildschirm
verbringen und je häufiger sie soziale Medien nutzen, desto häufiger
treten chronische Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Schwindel auf. Als
Ursachen kommen dafür eine schlechte Körperhaltung vor den Bildschirmen
oder eine Ermüdung der Augen in Frage.

Auch chronische Schlafstörungen treten häufiger auf. Die Dauer und
Qualität des Schlafs werden durch verschiedene Faktoren gestört, so z.B.
durch das Blaulicht der Bildschirme in den Stunden vor dem Schlafengehen.

Jugendliche mit häufiger Nutzung sozialer Medien, konsumieren außerdem
eher Suchtmittel wie Tabak, Alkohol und Cannabis, greifen öfter zu Energy-
Drinks und ernähren sich ungesünder. Zudem sind sie häufiger übergewichtig
und haben eine negativere Einstellung zu ihrem Körper.

Auch die Augen leiden an Folgen des hohen digitalen Konsums, berichtet die
Stiftung Kindergesundheit. So haben Wissenschaftler der Ernst-Abbe-
Hochschule Jena bei Schülern und Studierenden eine „coronabedingte“
Zunahme von Kurzsichtigkeit registriert, ausgelöst durch den dauerhaften
Blick und hohe Konzentration auf das Display in der Nähe und der Rückgang
von Aktivitäten draußen mit Blick in die Ferne.

Gemeinsam Regeln aufstellen und befolgen
Die Stiftung Kindergesundheit gibt Eltern folgende Empfehlungen für einen
risikoarmen Umgang mit Medien:

O Eltern sind das wichtigste Vorbild für ihre Kinder und sollten ihnen
einen maßvollen Umgang mit Medien vorleben und vermitteln.

O Treffen Sie gemeinsam Entscheidungen zur Nutzung von Medien (z.B. erst
Hausaufgaben, dann Pause, dann spielen oder surfen).

O Achten Sie auf eine Balance zwischen medialen und non-medialen
Aktivitäten.

O Schaffen Sie Zeit für gemeinsame Freizeitaktivitäten, bei welchen Sie
auf Medien verzichten,        z. B. gemeinsames Laufen, Ballspielen,
Radfahren oder gemeinsame Spiele drinnen.

O Lenken Sie das Interesse Ihres Kindes auf unterschiedliche
Freizeitbeschäftigungen, besonders auch für Sport oder Spiel unter freiem
Himmel.

O Informieren Sie sich, was Ihr Kind schaut und spielt. Tauschen Sie sich
mit Ihrem Kind aktiv aus: Was macht es? Was macht ihm besonders viel Spaß?
Welche möglichen Schwierigkeiten gibt es?

O Sprechen Sie mit Ihrem Kind über mögliche Gefahren, Ihre Ängste und
Sorgen. Bieten Sie Ihrem Kind Anlaufstellen, falls es Probleme gibt.

O Benutzen Sie Medien nicht als „elektronische Babysitter“ oder als Mittel
zur Bestrafung oder Belohnung.

O Bildschirmmedien (z.B. Fernseher, Spielekonsolen, Computer) sollten
nicht im Kinderzimmer, sondern im Wohnzimmer oder anderen
gemeinschaftlich, von der Familie genutzten, Räumen stehen.

O Beaufsichtigen Sie die Internetaktivitäten Ihres Kindes. Eine kostenlose
Software, die nur zugelassene Seiten für bestimmte Altersgruppen erlaubt,
kann unter https://www.jugendschutzprogramm.de heruntergeladen werden.

O Achten Sie auf ausreichend bildschirmfreie Zeit vor dem Schlafengehen.

O Pflegen Sie gemeinsame Mahlzeiten und reden Sie am Tisch miteinander.
Kein Radio, Fernsehen oder Handy beim Essen, und kein Essen beim
Fernsehen!

Programm für einen sinnvollen Umgang mit Medien
Professor Berthold Koletzko unterstreicht: „Internet, Mobiltelefone und
Computerspiele gehören heute zum Alltag unserer Kinder. Sie bieten
Möglichkeiten für eine sinnvolle Nutzung, z. B. auch zur
Gesundheitsbildung und -förderung. Besonders medienaffine Kinder und
Jugendliche können so gesundheitsrelevante Botschaften bekommen, die sonst
eher kein Gehör finden“.

Dieser Zielsetzung dient auch das von der Stiftung Kindergesundheit
gemeinsam mit ihrem Partner, der IKK classic, entwickelte
Präventionsprogramm „DIE RAKUNS – Das gesunde Klassenzimmer“. Auch dem
wichtigen Thema Medienkompetenz widmet sich dieses Programm in einem Modul
für SchülerInnen der 3. und 4. Klasse. Kinder sollen durch eine
reflektierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Medien deren Vor- und
Nachteile kennenlernen. Zentral ist dabei, das eigene Medienverhalten zu
erkennen und einen sinnvollen Umgang mit Medien zu erarbeiten. Das
Programm für eine nachhaltige Gesundheitsförderung wird mittlerweile
bundesweit in über 2.800 Schulen und über 16.000 Schulklassen erfolgreich
eingesetzt, freut sich die Stiftung Kindergesundheit.