Esskultur ade, Einheitsbrei und Essen a gogo, wie die Gastronomie ihre Vielfalt und Identität verliert stellt Léonard Wüst fest

Die zwei Flaggschiffe der Sorser Gastronomieflotte, das „Bellevue“ und der „Hirschen“, existieren nicht mehr in der angestammten Form: anstelle des ersteren stehen dort jetzt zwei Mehrfamilienhäuser mit schönen und sehr teuren Wohnungen mit unverbaubarem Blick auf den Sempachersee.Im zweiten gibts jetzt Industrie Frühlingsrollen, Pinsa, Poulet Schnitzelbrot und Rösti Sticks dazu 350 fränkigen Champagner.
Die Unsitte der Querfinanzierung häuft sich in der Gastronomiebranche
Manchmal fragt man sich ja schon, wie das wohl finanziert ist. In der absoluten Spitzengastronomie ist es ja gang und gäbe, dass viele dieser Restaurants quersubventioniert werden. Nur als Beispiel Alt Nationalrat und Unternehmer (Stadler Rail), Peter Spuhler der, zusammen mit seinem Freund Michael Pieper, Besitzer des Restaurants Tavlo in Champfèr ist und dieses zu unterirdischen Konditionen an Martin Dalsass, dekoriert mit einem Michelin Stern und 18 Gault&Millau Punkten vermietete. (Dalsass ging Ende Saison 2024 in Pension,Souschef Kevin Fernandez ,wurde im Herbst sein Nachfolger im Tavlo).
Nicht Rendite orientiert
Originalzitat Peter Spuhler: Es geht uns nicht um die Rendite. Pieper und ich wollten, dass unser Lieblingshaus in St. Moritz weiterlebt. Das Restaurant muss Spass machen und der Pächter Martin Dalsass braucht genügend Luft, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen.

Anmerkung des Autors. Die Mehrheit der Restaurantbetreibenden „chrampfen“, vielfach als Familienbetrieb, meist in 12 bis16 Stunden Tagen, erledigen die Büroarbeiten noch am „Wirtesonntag“, falls es den überhaupt gibt, also wenn der Betrieb geschlossen ist, beuten sich selber aus, ruinieren ihre Gesundheit um überhaupt über die Runden zu kommen und können von einem „Finanz Götti“, einem gastronomischen „Sugar Daddy“ wie Peter Spuhler nur träumen. Trotzdem werden sie beim geringsten Preisaufschlag, also wenn z.B. der Kaffee um 10 Rappen teurer wird, von Gästen und Presse als Halsabschneider diffamiert. Es kann ja auch nicht sein, dass Gastronomiebetriebe nur existieren können, wenn sie quer finanziert werden, dass Gastronomen keinen gerechtes, ihrer Arbeit entsprechendes Einkommen generieren können.
Wieso braucht es in fast jedem neu zu erstellenden grösseren Bau ein Café oder Restaurant ?

Kaum wird ein neues Gebäude, eine neue Überbauung geplant, gibt es schon den Ruf nach einem Café, einem Restaurant, das man dort unbedingt auch einplanen müsse.Natürlich wird sich sicher jemand finden, der auch mal „es betzeli Wirten möchte“ (das kann ja jede*r) So verwundrts ja auch nicht, dass in Fernsehsendungen wie z.B. „auf und davon“ des Schweizer Fernsehens etwa 80 Prozent der Auswanderer, die dort vorgestellt werden, an ihrem neuen Wohnort ein Bed & breakfast, eine Bar oder ein Take away eröffnen möchten, obwohl sie in ihrem vorherigen beruflichen Werdegang noch nie etwas mit Gastronomie zu tun hatten. Die meisten von denen kommen, wenns denn dort überhaupt zustande kommt, ziemlich ernüchtert und meistens mit Schulden belastet wieder zurück und beklagen sich über ausufernde bürokratische Hürden, ungeeignete Handwerker, keine Anerkennung, gar Bewunderung und Unterstützung durch die Eingeborenen usw.
Pizzerien kannte man auf dem Lande noch nicht, in den Städten erst vereinzelt
Die „Italianita“ brach bei uns ja auch erst aus, als man es sich leisten konnte, Ferien in „Bella Italia“ zu machen, sich tagsüber am Teutonengrill in Rimini liegend einen Sonnenbrand einfing und sich abends in einer Pizzeria über das relativ teure Brot, Pizza genannt, hermachte oder anderntags in einer Trattoria Pasta zum obligaten Chianti verzehrte.
Als „Auswärts essen“ noch nicht selbstverständlich war

Zuhause in der Schweiz war auswärts essen nicht so normal wie das heute ist. Vielleicht mal sonntags, damit auch Mama mal einen halbwegs freien Tag hatte, für eine Tauffeier, einen runden Geburtstag oder andere Familienfeiern, aber unter der Woche mal einfach so, „grundlos“ abends in ein Restaurant zum Essen gehen war damals gar nicht gang und gäbe und wenn, ging es in ein Restaurant wo Speisen hausgemacht waren, also selber frisch zubereitet wurden und hausgemacht nicht hiess, dass die Dose im Haus geöffnet wurde, oder dass man die Fishknusperli im Bierteig im Hause aus der Tiefkühltruhe genommen hat. Und fast jedes dieser sogenannten Speiselokale hatte mehrere oder aber eine ganz besondere Spezialität.

In meinem Heimatort Surseegab es folgende Speiselokale, in alphabetischer Reihenfolge: „Bellevue“, „Brauerei“, „Hirschen“, „Kreuz“, „Schwanen“ und „Wilder Mann“. Davon waren „Bellevue“, „Brauerei“, „Hirschen“, „Kreuz“ und „Schwanen“ die Lokale, deren Angebot auf der traditionellen französischen Küche beruhten, mit wechselndem saisonalen Angebot wie Spargelzeit, Wildsaison usw. Viele kleinere Restaurants waren auf eine andere Kundschaft ausgerichtet, so pilgerten Bauarbeiter und Handwerker zum Zobig und Znüni ins „Bahnhöfli“ und ins „Himmelrich“ da dort die Sandwiches fast ebensoviel Schinken oder Salami wie Brot hatten. Auch zum Feierabendbier traf man sich dort, während man die Bürolisten und Geschäftsleute zum Apero eher im Hirschen,Kreuz,Schwanen oder in der Sonne antraf. Für einen scharfen Jass war man bei der „Wöude Marie“ im „Wilden Mann“am besten aufgehoben, während mir in den „Sonne“ Grossvater Gassmann das richtige Kegeln beibrachte, ein Sport, das man auch in der „Brauerei“ ausüben konnte. Als ich dann mit grad mal 13 Jahren den ersten Kranz holte, war mein Trainer, Grossvater Gassmann, fast noch stolzer als ich kleiner Bub.
Für Wild pilgerten die Liebhaber in den „Schwanen“.

„Wildspezialitäten aus eigener Jagd“ verkündete eine grosse, sehr auffällige Reklametafel, die im Herbst jeweils vor dem Hotel Restaurant „Schwanen“ stand. Dass der Inhaber des „Schwanen“ dem Hobby der Jägerei frönte und als gelernter Koch die Zubereitung der Jagdausbeute gekonnt zuzubereiten wusste, sprach sich schnell herum und so pilgerte manch Wildliebhaber dorthin, um sich mit Rehpfeffer, Rehschnitzel usw. verwöhnen zu lassen.
Nebst der Jagd betrieb der Schwanenwirt auch die Imkerei als Hobby

Der Hotelier/Wirt Vater Troxler war, nebst passioniertem Jäger, auch noch Imker und so durfte ich, aufgrund meiner Freundschaft zu seinem jüngeren Sohn Alfons, ab und zu mit, wenns zu seinen Bienenvölkern im Luzerner Hinterland, sogar ins Napfgebiet ging. Da wir selber kein Auto hatten, war schon eine Autofahrt für mich etwas Aussergewöhnliches. Das absolute Highlight aber war, dass wir zwei Buben, angekommen beim Bienenstock, auch einen „Kartonstumpen“ rauchen durften, während sich der Imker eine Imkerpfeife stopfte, damit die Beiali nicht in unsere Nähe kamen, uns gar stechen könnten.
Das Kalbsleberli genoss man im Löwen

Der Löwenwirt war ursprünglich gelernter Metzger, hatte also noch beste Beziehungen zum örtlichen Schlachthaus und zu ehemaligen Berufskollegen, sodass er montags immer die frischeste Kalbsleber ergattern konnte, die seine Frau, die in der Küche das Zepter schwang, gekonnt zuzubereiten wusste. Also, für ein gutes Kalbsleberli mit Rösti, gingen die Liebhaber dieser Innerei anfangs Woche in den „Leue“ zum Zmittag oder Znacht. Dazu veranstaltete man dort im Frühling und Herbst jeweils eine Metzgete, mit, vom Hausherrn, dem gelernten Metzger, selber gewursteten Blut – und Leberwürsten.
Fischknusperli der Hit im Restaurant „Unterstadt“

Der hier in den 1960er Jahren amtende Wirt war hauptberuflich Fischer am Sempachersee, seine Frau „hütete“ das kleine Lokal in, wie es der Name schon sagt, der Unterstadt. Naheliegend also, dass eines der wenigen Gerichte auf der überschaubar kleinen Speisekarte Fischknusperli aus eigenem Fang waren und die waren, selbst bei nicht so grossen Fischkennern- und Liebhabern, ein absoluter Renner. Auch kannte der Waltisberg Seppi einen Metzger im Umland, der die absolut besten Buurebratwürste herstellte und den Weg auf die Unterstadt Speisekarte schafften.

Das war aber nicht der einzige Grund, dass dieses Lokal sehr gut frequentiert wurde, hatte der Seppi doch zwei ausnehmend hübsche Töchter im besten Alter, von denen die ältere, Marianne, 1962 sogar zum allerersten Elmer – Girl gekürt wurde, von 1962 bis 1970 dem inoffiziellen Vorläufer der Miss Schweiz Wahlen.

Auch in Nachbardörfern gab es Lokale, die etwas boten, was sie von allen andern unterschied, so pilgerten viele in die „Linde“ in Daiwil bei Willisau und, oder ins „Fontannen Pintli“ bei Wolhusen um die auf der ganzen Luzerner Landschaft bekannten und beliebten Poulet im Körbli zu geniessen.
Den Beaujolais nouveau gabs in den ausgesuchten Betrieben, in denen die Verantwortlichen auch wussten, wie und wem man diesen am besten serviert, also nicht unbedingt bei Raumtemperatur von 30 Grad und nicht unbedingt einem Kalterersee konsumierenden Gast zu empfehlen.
Nicht immer musste es die Kulinarik sein, das Lokale besonders machte, so gings über die Kantonsgrenze in den „Bären“ nach Reitnau im Kanton Aargau , um die einzige Musikbox in näherer Umgebung zu sehen und vor allem, zu hören.
So hatte man, auch auf dem Land, eine recht umfassende Auswahl, für jeden Geschmack etwas und nicht den unsäglichen Einheitsbrei, wie heute leider üblich.
Heute undenkbar? Für das Mittagessen nach Hause zu Mami

Man kann sich heute fast nicht mehr vorstellen, dass früher die meisten Leute und Schüler*innen für das Mittagessen nach Hause gingen und die anderen in ein Restaurant, wo sie eventuell mit dem Betreiber ein Preisabkommen hatten z.B. ein Glas Mineralwasser im Menüpreis inbegriffen, 6 Tagesmenüs zum Preis von 5 o.ä. Damals hatten ja tatsächlich noch nicht alle eine 5 Tage Woche und auch ich ging am Samstagmorgen noch in die Schule, dafür hatten wir am Mittwoch Nachmittag frei.
Der fatale Einfluss von Convenience Food auf die Gastronomie
Die immer hektischer werdende Arbeitswelt, verkürzte Mittagspausen usw. hinterliessen, nebst anderen Ursachen wie Betriebskantinen und Schulmensen, auch in der Gastronomie ihre tiefen Spuren
Es fing an mit der Kaffeemaschine im Büro, im Coiffeursalon usw. Dem Kühlschrank für Getränke und ging weiter bis zur Mikrowelle im Büro zum Erwärmen der von Zuhause mitgebrachten, vorgekochten Menus, oder der im Grossverteiler gekauften Lasagne etc..
Also gingen die Versicherungsagenten, Büroangestellten, die Kleingewerbetreibenden der Umgebung und so fort nicht mehr ins nahegelegene Café, Tea Room oder Restaurant in die Kaffeepause mit Gipfeli am Vormittag oder zu Café und Kuchen am Nachmittag, alles Umsätze, die der Gastronomie wegbrachen und nicht zu kompensieren waren.
Zunehmender Einheitsbrei in der Gastronomie „Dank“ Frisco-Findus, Knorr, Nestlé, Maggi usw. Plötzlich meinte jeder, er müsse alles anbieten, das man halbwegs fertig von diesen Firmen kaufen konnte. Plötzlich stand auf der Speisekarte fast jedes „Spunten“ eine, oder auch mehrere diverse Pizzen und eine Lasagne, das mexikanische „Chili con carne“ auf der Speisekarte, auch vorgefertigte Chicken Nuggets fanden den Weg in fast jede „Beiz“, verdrängten die so feinen Poulet im Chörbli.

Gabs früher die Coupe Romanow, den Bananasplit und die Coupe Maison da, wo auch das dazu benötigte Speiseeis, also die bei uns sogenannten Glacen auch selber hergestellt wurden, was in Sursee in grad mal vier Betrieben der Fall war, nämlich im „Bellevue“, im „Hirschen“ und in den beiden Cafés/Confiserien „Surchat“ und „Bruggmann“. Nun aber, Frisco sei Dank servierten fast alle Lokale plötzlich auch diverse Coupes, da an ja auch die anderen Ingredienzien dafür, wie z. B. Fruchtsalat für die Coupes „Maison“ und „Jacques“ bei Hero und andern Anbietern in der Dose fix fertig bekam.
So haben wir heute die Situation, dass Du praktisch in jedem Restaurationsbetrieb Chicken Nuggets mit Pommes frites bekommst und nachher noch ein Industrie Tira mi su, für eine gute Buurebratwurst aber eine halbe Weltreise machen musst, wenn nicht grad in der Nähe ein Landgasthof eine traditionelle Metzgete im Programm hat.
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Zunehmende Konkurrenz auch durch die diversen Vereinslokale

Konnte man früher am Fussballmatch zur obligaten Pausenbratwurst ein Bier oder Cola usw. konsumieren, die von Vereinsmitgliedern verkauft wurden, natürlich ohne Lohn oder Gehalt. Klar war das für den Verein finanziell lukrativ und plötzlich fühlte man sich berufen, doch grad das zum Stadion gehörende Clublokal auch als Restaurant vor und nach den Spielen zu betreiben, wofür man problemlos vom Amt für das Gastgewerbe die nötige Bewilligung erhielt, während „normale“ Restaurantbetreiber mit immer neuen Auflagen betreffend genügend Toiletten, entsprechenden Lüftungsanlagen, immer restriktiveren Hygienevorschriften usw. drangsaliert wurden. Dann kamen die für die Finanzen des Vereins Verantwortlichen schnell auch auf die Idee, diese Lokalität doch auch für Hochzeitsapéros, Geburtstagsfeiern, Chlaushöcks usw. Zu vermieten. Lokalitäten, die u.a. auch durch finanzielle Beiträge der Gemeinde, von Privaten, Gönnern und Sponsoren erstellt werden konnten, also auch mit Steuergeldern. Die Einnahmen die über die Clublokale generiert werden, fliessen aber zu 100% in die Vereinskasse und nicht anteilsmässig an die vorgenannten Investoren, Gemeinde etc.
Wer hat noch nicht gewirtet, wer will auch mal?
So Clublokalwirt*innen waren mühelos zu finden, da doch alle gern es betzeli wirten möchten und natürlich auch können, eine Annahme, die sich bis heute hartnäckig hält. So wundert es ja auch nicht, dass in den diversen TV Formaten über Auswanderer fast alle am Traumziel eine Bar, ein Bed and breakfast, ein Guesthouse o.ä. eröffnen wollen, kaum jemand ein Elektrofachgeschäft, einen Sanitär- oder Bodenlegerbetrieb, logisch, dort wären ja berufliche Ausbildungen fast zwangsläufig erforderlich, aber äbe, es bitzeli wirten oder Barchef spielen kann ja jede*r ohne entsprechende Qualifikation.
Meist gibt es dann ein böses Erwachen schlimmstenfalls Rückkehr mit einem Haufen Schulden und geplatzten Träumen etc.
Zurück zu den Clublokalitäten
So Clublokale hat ja nicht nur der Fussballclub, sondern auch der Seeclub, Tennisclub,der Schützenverein, die Fasnachtszunft usf. Alles, teilweise auch mit Steuergeldern erstellte, bzw. restaurierte Lokalitäten deren Miet- – und andere Einnahmen aber die Vereinskässeli klingeln lassen und alles Umsätze, die ganz, oder zumindest teilweise, der Gastronomie entgehen.
Essen a gogo, Esskultur war mal
Esskultur ist zur Sau, selbst Banker und Versicherungsmakler, die früher zum Znüni, Zmittag, Zobig und Feierabendbier ein Lokal besuchten, stopfen irgendwas aus Styropor, – Karton – oder Plastikgeschirr in sich rein, auf einem Treppenabsatz oder einer Parkbank sitzend, wenn vorhanden, oder halt gar im gehen. So erstaunt es ja nicht, dass Kinder gar nicht mehr wissen, wissen können, wie man sich richtig ernährt, wie es ist, gemütlich an einem Tisch sitzend, sein Mittagessen zu geniessen, statt einfach etwas in sich hinein zu stopfen. Wie sollen Kinder wissen, dass es ausser Big Mac und Pizza auch Lebensmittel gibt, dass eine Waadtländer Saucisson mit Lauchkartoffeln, ein Blanquette de veau mit Reis oder ein Siedfleisch mit Petersilienkartoffeln und grünen Bohnen eine Gaumenfreude sind, wenn sich ihre Eltern, ihre „erwachsene Umgebung“, fast ausschliesslich von Junk Food ernähren.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: KI Shutterstock generierte Bilder und aus dem Internet
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