Besetzung und Programm
Ludwig van Beethoven Violinsonate Nr. 7 in c-Moll Op. 30 Nr. 2 für Violine und Klavier
Johannes Brahms Violinsonate D-Moll Op. 108
Lisa Schatzman, Violine Shih-Wei Huang, Klavier
Zu Beginn ist alles fast wie früher, man besteigt in Luzern ein Schiff und schaukelt, bei, entgegen den Wettervorhersagen, perfektem Herbstwetter, gemütlich über den spiegelglatten Vierwaldstättersee gen Station Kehrsiten – Bürgenstock.
(Musste man früher mit dem normalen Kursschiff anreisen, Dauer ca. eine Stunde, bringt uns heute ein spezieller Katamaran, der „Bürgenstock Express“ stündlich in einer guten halben Stunde nach Kehrsiten). Dort steigt man dann ins legendäre Bürgenstock Bähnli um, das uns die letzten Höhenmeter bis zum weltberühmten Hügel über dem See transportiert.
Es ist die älteste elektrisch betriebene Standseilbahn der Schweiz. Die Bahn wurde 1888 eröffnet. Die Strecke beträgt 930 Meter, dabei wird eine Höhendifferenz von 440 Metern überwunden, bis man sich auf 874 M.ü.Meer beim neuen, von der Katara Hospitality, Tochtergesellschaft des Staatsfonds Qatar Investment Authority erschaffenen, erbauten wäre falsch ausgedrückt, Bürgenstock Resort befindet. Die Gesamtinvestitionen betrugen über eine halbe Milliarde Franken und werden von den Katari durchaus als längerfristige Kapitalanlage angesehen. Uns unbeteiligten Laien wird ab solch horrenden Summen fast schwindlig und unbegreiflich auch, wie sich sowas je auszahlen könnte. Bei meiner letzten Ankunft, vor ca. 20 Jahren per Auto auf dem Bürgenstock, wurden wir relativ unsanft von Jimmy Carters Bodyguards «gebeten» die unmittelbare Nähe des Tagungshotels, wo der ehemalige US-Präsident als Referent gastierte, zu verlassen.
Diesmal erkundigten wir uns gleich ausgangs der Bergstation, bei einem dort postierten Resort Mitarbeiter, wo denn die Lounge sei, wo das Konzert nachmittags stattfinden würde und wie man vorher zum berühmten Felsenweg gelangen könne.
Der nette Herr informierte uns sehr höflich und ausführlich und so fühlten wir uns denn, auch als «Nicht VIP’s», herzlich willkommen geheissen. So machten wir uns denn auf, über die, notabene, sehr gut behindertengerecht ausgebauten Zugänge und Wege, die nähere Umgebung zu erkunden und, neugierig wie wir waren, den Spuren der Prominenz des vergangenen Jahrhunderts nachzuspüren und so auch die Magie dieses schönsten Fleckchen Erde auf unserem Planeten (Zitat Audrey Hepburn) in uns aufzusaugen.
Die bewegte Geschichte des Hügels unfern der Leuchtenstadt Luzern, hat es durchaus in sich, dass der Berg wieder zu einem Treffpunkt der Reichen und Schönen werden könnte und es wäre den Investoren, die mit der Erstellung des Resorts auch dem lokalen Gewerbe Aufträge, somit Batzeli brachten und ein paar hundert attraktive neue Arbeitsplätze anbieten, zu gönnen. War zu Beginn, analog den Ideen von Samih Sawiris für Andermatt, die Skepsis, nicht nur der Einheimischen, noch gross, identifiziert sich heute fast die ganze Region mit dieser Perle von Anlage auf dem Hochplateau.
Prominenz war schon immer gerne auf dem Bürgenberg
So lebten z.B. Sophia Loren und ihr Mann Carlo Ponti 13 Jahre in der Villa Daniel, heute das Sharq Oriental Restaurant & Shisha Lounge.
Aufenthalte von weiteren prominenten Zeitgenossen:
Weltberühmt wurde auch die Bürgenstock-Kapelle durch die Hochzeit der Schauspielerin Audrey Hepburn mit Mel Ferrer im Jahr 1954. Auch andere Weltstars verbrachten gerne ein paar Tage in den, auch damals schon luxuriösen Hotels, auf dem Berg, der auch schon sehr früh, ab 1928, über einen Golfplatz verfügte.
Der Bürgenstock fand seinen Platz nicht nur durch Stargäste auf der Weltkarte
Auf dem Bürgenstock fanden auch mehrfach politische Verhandlungen statt. Anfang 2002 wurde hier das Bürgenstock-Abkommen zwischen den Beteiligten am Sezessionskrieg im Südsudan geschlossen. Im Frühjahr 2004 fanden zwischen den Türkisch- und den Griechisch-Zyprioten Verhandlungen in der EU-Beitrittsfrage statt.1960 und 1995 tagte die Bilderberg-Konferenz auf dem Bürgenstock.
Die Anlagenbetreiber möchten aber nicht nur die Prominenz auf den Berg holen, sondern bieten auch «Arrangements» für die lokale Bevölkerung, wobei diese logischerweise schon nicht grad ins Budget von Otto Normalverbraucher passen dürften.
Der Ort soll auch für die regionalen Einwohner zu einem beliebten Treffpunkt avancieren
Nebst der gottgewollten fantastischen Umgebung sollen auch spezielle Events «Eingeborene» animieren die verschiedenen Locations des Resorts zu erkunden. So sind diese Sonntagnachmittag Konzerte unter der Bezeichnung «A Classical Affair» ein perfekter Grund, sich sonntags mal auf dem Resort umzuschauen, um spätnachmittags zum perfekten Abschluss des Ausflugs in der Lakeview Bar & Cigar Lounge den kammermusikalischen Klängen diverser reputierter Musikerinnen» zu lauschen.
Touristischer Rundgang auf dem Bürgenberg
Mit einem interessanten informativen Rundgang starten wir unser «Bergsteigerabenteuer». Auf gewohntem Wanderweg geht’s entlang der Hotelanlage Richtung Kapelle und Felsenweg, wobei es dauernd etwas zu entdecken, bestaunen gibt.
Bestes Piano Bar Feeling schon nachmittags über dem See
Um einen besonders guten Platz für das Nachmittagskonzert zu ergattern, sind wir schon frühzeitig in der topgestylten Lakeview Bar & Cigar Lounge mit dem atemberaubenden Ausblick über den Vierwaldstättersee, wo uns überaus hilfsbereite, höfliche und gutaufgelegte dienstbare Geister empfangen wie sehr wichtige Gäste. Natürlich geniessen wir diese Aufmerksamkeiten und lassen uns gerne verwöhnen, in einen vielversprechenden Nachmittag mit einem ausgesuchten Tee, stilvoll dargereicht, startend.
Dass dazu eine angenehme, schon fast Piano Bar ähnliche Atmosphäre aufkommt, sorgt der ungarisch stämmige Pianist Dezsö Balogh. Er verwöhnt die gutgelaunten Gäste mit jazzigem Sound und wunderbaren Interpretationen von Klassikern des Swing, Filmmusik, Oldies ebenso wie aktuellen Hits.
Währenddessen kredenzen uns die aufmerksamen Servicemitarbeiterinnen zum Einstieg ein Glas herrlich prickelnden und vorzüglich mundenden Krug Grande Cuvée Champagner. Dazu platzierten sie auch bei jedem Tisch eine Etagère mit herzhaften und süssen Snacks.
Afternoon tea concerto in der Lakeview Bar & Cigar Lounge
Dann folgte der Hauptgang dieser sonntäglichen Inszenierung und die beiden Musikerinnen, Lisa Schatzmann, Konzertmeisterin des Luzerner Sinfonieorchesters (Violine) und die taiwanesische Konzertpianistin Shi Wie Huang betraten die Szene applaudiert vom erwartungsfreudigen Auditorium.
Violinsonate Nr. 7 (Ludwig van Beethoven)
Zitat Maria Gnann SWR 2 Klassik: C-Moll – das bedeutet bei Beethoven: Es geht ums Ganze! Seine “Schicksals-Sinfonie”, die Fünfte steht in c-Moll, ebenso die große “Pathétique”-Klaviersonate. Das Prinzip “Ganz oder gar nicht” gilt auch für die c-Moll-Violinsonate: ein in jeder Hinsicht gewichtiges Stück.
Beethoven sich nie mit dem zufrieden gegeben, was er vorfand, sondern immer nach neuen Wegen und Ausdrucksmöglichkeiten gesucht. Diese Sonate, 1802 entstanden, drängt in ihrem stürmischen Gestus heraus aus dem kleinen Kammermusik-Salon mit seinem adligen Publikum hinein in den großen, öffentlichen Konzertsaal. Zitatende. 1. Satz: Allegro con brio
Die ersten acht Takte des Satzes bilden eine I-IV-V-I-Kadenz. Das zweite Thema des Satzes, ein Marsch, wird im Klavier wiederholt und endet in einer Schlussgruppe mit Akkordschlägen als Schlusspunkt. Die Shi Wie Huang am Flügel setzt die ersten Töne des Intros, bis sich nach etwa 10 Sekunden Lisa Schatzmann mit ihrer Niccolo Amati Geige dazugesellt. Eine im tiefen Bass grummelnde Halbton-Bewegung verleiht dem Satz etwas beinahe Bedrohliches. Das rollende Hauptthema kommt einer kleinen Explosion gleich – abgesehen von retardierenden Einschüben, die die ausladende Geste des Satzes unterstreichen, befinden sich Violine und Klavier ständig in rastloser Bewegung. Eine sehr animierte Interpretation durch die beiden gut aufgelegten Musikerinnen.
2. Satz: Adagio cantabile
Durch die in As-Dur geschriebene Partitur bekommt das Adagio einen elegischen Charakter, den die beiden Protagonistinnen mit ihrer feinfühligen Interpretation noch veredelten.
3. Satz: Scherzo. Allegro
Im ausgelassenen dritten Satz, einem Scherzo mit Trio-Mittelteil, demonstriert die Geige ihre unterschiedlichen Fähigkeiten als Melodieinstrument – die gezupften Töne haben einen augenzwinkernden Witz, schroffe Akzente erinnern wieder an die Unruhe des ersten Satzes.
4. Satz: Finale. Allegro – Presto
Zu Beginn des vierten Satzes erklingen den Basstriller sowie die Akkorde des ersten Satzes erneut. Im Finale rundet Beethoven die Sonate kunstvoll ab – er beginnt mit dem im Bass grummelnden Halbton und wuchtigen Akkordschlägen, setzt schnelle dynamische Wechsel und scharfe sforzati und mündet in einen ungezügelten, effektvollen Schluss.
Ein einträchtiges Wechselspiel
In allen vier Sätzen der Sonate trägt zuerst das Klavier die Themen vor, bevor sie von der Geige übernommen werden, in den nachfolgenden Seitenthemen läuft das Spiel umgekehrt. Die Gleichberechtigung und enge Verknüpfung von Klavier- und Violinstimme erreichen hier eine neue Dimension.
Für diese eindrückliche Darbietung durften die Künstlerinnen einen langanhaltenden Applaus geniessen um dann eine kurze Pause zu geniessen, die von den dienstbaren Geistern genutzt wurde, um den Gästen die nächsten Köstlichkeiten nachzureichen und Getränke nachzufüllen.
Violin Sonata No. 3 (Johannes Brahms)
Johannes Brahms erweist in seiner 3. Violinsonate der ungarischen Volksmusik seine Referenz. Gegenüber ihren beiden Vorgängerinnen ist Brahms dritte Violinsonate ein eher düsteres Werk. Das Besondere: Brahms lässt Violine und Klavier darin innig miteinander agieren. Damit befreit er das Klavier aus seiner Rolle, der ewige Begleiter zu sein. In der Sonate übernimmt das Klavier die tragende Rolle und fordert die Violine sowohl musikalisch als auch interpretatorisch heraus. Bereits im ersten Satz zeigt Shih Wie Huang mit engagierten Solopassagen, was im Steinway Flügel steckt. Abgelöst wird sie im zweiten Satz von der Violine. Ein inniges Adagio schafft eine Art Ruhepol, der in eine lyrische und sehr gesangliche Antwort des Klaviers übergeht. Brahms griff in seinen Sonaten öfter auf Themen seiner Lieder zurück. Doch diesmal hält er sich mit Eigenzitaten zurück. Anstatt auf sich selbst zu verweisen, reichert er die Sonate mit Melodien an, die wirken, als würden Klavier und Violine miteinander singen. Den Abschluss bildet ein wie der erste düstere vierte Satz mit fast sinfonischen Zügen – beides für eine Sonate der damaligen Zeit ungewöhnlich.
Der erste Satz ist vor allem durch zwei Momente gekennzeichnet: durch sein langgezogenes Hauptthema, das die Violine auf schwankendem Klaviergrund vorträgt, und das in seiner klagend-insistierenden ungarischen Melodik so überaus sprechend wirkt, und durch zwei große Orgelpunkte in Durchführung und Coda, über denen sich ein zwielichtiges, chromatisches Toccatenspiel entfaltet. Beide Elemente verleihen dem Satz einen fast hermetischen Charakter von Klage, der sich nur im schwärmerischen zweiten Thema auflockert. In der d-Moll-Sonate verwendet Brahms lediglich einen liedartigen Ausdruck ohne direktes Zitat, der den langsamen Satz bestimmt. Sein Thema über absteigenden Terzen zitiert an einer Stelle den ersten Satz des Violinkonzerts. Nach einem lyrischen Zwischenspiel, das an Brahms‘ späte Intermezzi erinnert, kehrt das Violinthema variiert wieder und wird in der Coda harmonisch schön verändert.
Der dritte Satz löst den Intermezzo Charakter dadurch ein, dass er ein tastendes Thema durch wundersame Metamorphosen des Ausdrucks führt. Der ungarische Duktus entsteht hier aus dem doppelten „Tanzschritt“ zu Beginn jedes Taktes, die eigenartige Farbe der Harmonik resultiert aus der fis-Moll-Tonart, die zu den anderen Sätzen im Terzverhältnis steht.
Das Finale ist der stürmischste Satz des Werkes.
Die beiden Musikerinnen, die sonst in keinem Orchester zusammenspielen, verstanden sich, dank Augenkontakt, minimer Gesten der Köpfe und Körpersprache bestens und harmonierten perfekt. Dies sah auch die aufmerksame Zuhörerschaft so und applaudierte dementsprechend begeistert.
Zum krönenden Abschluss des äusserst genussvollen Ausflugs servierte man uns noch eine Sachertorte mit dem dazu passenden Cappuccino.
Voller Emotionen und gesättigt mit visuellen, kulinarischen und akustischen Höhepunkten begaben, wir uns beim eindunkeln wieder auf die Rückreise über den See, das abendliche Lichtermeer rund um ebendiesen bestaunend.
Anregung: Kleinere Anpassungen würden ungestörten Konzertgenuss garantieren
Natürlich ist es für die Künstlerinnen nicht grad optimal, wenn während ihrer Performance weiterserviert wird.
Dieses Problem liesse sich relativ einfach verhindern, indem man mit den Musikerinnen vereinbart, dass diese zwischen den einzelnen Sätzen oder Sequenzen der Werke, eine etwas ausgedehntere Pause als üblich einlegen, damit die Servicefachleute während diesen 2 bis 3 Minuten die Gäste bedienen können. Positiver Nebeneffekt: Die Leute würden sich auch eher getrauen nach jedem Satz zu applaudieren, was ja an und für sich nicht so üblich ist.
Kleine Fotodiashow des Events von Sandra Neumeister:
fotodiashows.wordpress.com/2021/11/01/impressionen-vom-burgenstockausflug-a-classical-affair-31-oktober-2021/
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: https://burgenstockresort.com/ und Sandra Neumeister
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