„Es ist sehr wichtig, die Gesundheitssysteme weltweit zu stärken“ – H-BRS Aktuell mit Professorin Katja Bender
Die USA haben gleich zu Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Donald
Trump die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit drastisch gekürzt.
Auch in anderen Ländern sind die entsprechenden Budgets rückläufig.
„Grundsätzlich fließt weltweit deutlich weniger Geld in die
Entwicklungszusammenarbeit als viele denken“, sagt Professorin Katja
Bender von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS), die soziale Sicherungs-
und Gesundheitssysteme aus globaler Perspektive erforscht. Der Volkswirtin
ist es grundsätzlich wichtig, Gesundheitssysteme zu stärken, da der
fehlende Zugang zu ihnen im Krankheitsfall zu den größten
Verarmungsrisiken weltweit gehöre.
Frau Professorin Bender, was haben Sie gedacht, als Sie zunächst die
Nachricht von den radikalen Einschnitten bei USAid, der US-Behörde für
Entwicklungszusammenarbeit, und dann deren geplanter Auflösung bis Juli
gehört haben?
Professorin Katja Bender: Das war ein Schock für mich. Die Massivität der
Kürzungen bei USAid ist einzigartig, und auch die Tatsache, dass sie so
schnell umgesetzt werden. Falls es dabei bleibt, entsteht eine Lücke, von
der nicht klar ist, wie sie geschlossen werden kann.
Wo entstehen denn zum Beispiel Lücken?
Bender: Die USA sind bislang der größte Geldgeber weltweit im Bereich
Gesundheit. Sie unterstützen insbesondere Programme, die darauf abzielen,
bestimmte Krankheiten zu bekämpfen oder Präventionsmaßnahmen zu
unterstützen. Die meisten Mittel fließen in die Behandlung von HIV und
AIDS. Aber im Fokus stehen auch Infektionskrankheiten wie Malaria,
Tuberkulose und Polio, die in vielen Ländern sehr hohe Sterblichkeitsraten
haben. Finanziert werden beispielsweise Medikamente ebenso wie Impfungen,
Moskitonetze oder Stellen im Gesundheitssektor. Insbesondere den Erfolg
dieser Programme kann man gut messen und nachweisen.
Wie ist die Lage der Entwicklungszusammenarbeit weltweit?
Bender: Auch viele europäische Länder haben in den vergangenen Jahren ihre
Mittel für Entwicklungszusammenarbeit gekürzt, sodass man durchaus von
einem Trend sprechen kann. Frankreich hat seinen entsprechenden Etat für
dieses Jahr um 35 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro verringert. Die
britische Regierung hat ihn zugunsten der Verteidigungsaufgaben von 0,6
auf 0,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens gekürzt. In der Folge ist die
zuständige Ministerin zurückgetreten. Und die rechtsgerichtete
niederländische Regierung hat im Februar ebenfalls Kürzungen in
Milliardenhöhe angekündigt.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Bender: Deutschland ist eines der Länder, das zumindest die
Selbstverpflichtung in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) einhält, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens
für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Mit 0,8 Prozent lag Deutschland
zuletzt sogar etwas darüber. Noch höher ist der Anteil in Norwegen,
Luxemburg oder Schweden, aber die meisten Länder liegen darunter. Wie es
in Deutschland weitergeht, bleibt abzuwarten. Die Entwicklungspolitik wird
in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD gerade sehr kontrovers
diskutiert. So möchte die SPD das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erhalten und die 0,7-Prozent-Quote
aufrechterhalten. CDU und CSU dagegen schlagen vor, das BMZ ins Auswärtige
Amt zu integrieren. Das ist eine Diskussion, die es im Vereinigten
Königreich vor fünf Jahren auch gab, und das wurde dort dann auch
umgesetzt. Hierzulande war die Integration des BMZ ins Auswärtige Amt
übrigens Teil des FDP-Wahlprogramms im Bundestagswahlkampf 2009. Letztlich
blieb das Ministerium aber erhalten und FDP-Politiker Dirk Niebel wurde
sogar Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Warum hat die Entwicklungszusammenarbeit einen so schweren Stand?
Bender: Es gibt tatsächlich kaum ein Politikfeld, über das so stark
diskutiert wird und in dem so kritisch auf die Wirkung geschaut wird.
Dabei besteht eine Diskrepanz zu dem eher geringen Umfang von
Entwicklungszusammenarbeit. Vielleicht wäre hier ein bisschen mehr
Verhältnismäßigkeit gut. Das bedeutet nicht, die Wirkung komplett zu
vernachlässigen.
Wie groß sind die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit denn
insgesamt?
Bender: Es ist weniger, als viele denken. Die öffentlichen Gelder der 32
Staaten, die im Ausschuss für Entwicklungshilfe der OECD
zusammengeschlossen sind, lagen im Jahr 2023 weltweit bei insgesamt 223
Milliarden Euro. Die USA waren der größte Unterstützer, Deutschland folgte
an Position zwei. Zum Vergleich: Der Haushalt des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales betrug im selben Jahr 175 Milliarden Euro. Es gibt ein
großes Informationsdefizit, denn die Öffentlichkeit überschätzt die
weltweiten Mittel häufig stark. Bei Umfragen in den USA vermuteten
Befragte den Anteil der Entwicklungszusammenarbeit am US-Budget bei 25
Prozent, obwohl es gerade mal ein Prozent war. In Deutschland schätzten
Befragte den Anteil am Bruttonationaleinkommen laut dem vom Deutschen
Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit herausgegebenen
Meinungsmotor Entwicklungspolitik auf 9,5 bis 10,7 Prozent. Es sind, wie
gesagt, 0,8 Prozent. Dieses Phänomen ist nicht neu, aber in den
vergangenen Jahren hat der Anteil der Menschen, die
Entwicklungszusammenarbeit kritisch gegenüberstehen, zugenommen.
Woran liegt das?
Bender: Der Entwicklungszusammenarbeit steht unter einem besonders hohen
Rechtfertigungsdruck. Es wird ihr unterstellt, nicht effektiv zu arbeiten
und autokratische Regime zu fördern. Das liegt unter anderem daran, dass
es um nationale Steuergelder geht, viele aber nicht wissen, wie die Mittel
überhaupt verwendet werden. In Deutschland waren 2023 zum Beispiel 35
Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit bestimmt. Das heißt
aber nicht, dass das Geld komplett in andere Länder geht. Ungefähr ein
Fünftel davon wurde für die Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen
in Deutschland verwendet.
Welche unterschiedlichen Bereiche gibt es in der
Entwicklungszusammenarbeit?
Bender: Grundsätzlich geht es darum, globale Ungleichgewichte
auszugleichen und die Lebensbedingungen weltweit zu verbessern. Ein Teil
der Mittel geht in ärmere Länder. Dann werden multinationale
Organisationen wie die Vereinten Nationen unterstützt, die Gelder weiter
verteilen. Gefördert werden Projekte in sehr vielen thematischen
Bereichen, darunter zum Beispiel Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklung,
Bildung, Gleichstellung oder auch die Bekämpfung des Klimawandels.
Menschen vor Ort wird Hilfe geleistet in Konflikten oder nach
Naturkatastrophen. Ein weiterer Teil ist für die Flüchtlingshilfe in den
OECD-Ländern selbst bestimmt.
Sie erforschen die Sozialen Sicherungs- und Gesundheitssysteme aus
globaler Perspektive und sind Direktorin des Internationalen Zentrums für
Nachhaltige Entwicklung (IZNE) an der H-BRS. Welcher Punkt ist Ihnen bei
der Entwicklungszusammenarbeit besonders wichtig?
Bender: Ich finde es sehr wichtig, dass Gesundheitssysteme gestärkt
werden. Zu den größten Verarmungsrisiken weltweit gehören
Gesundheitsprobleme und der fehlende Zugang zu Gesundheitssystemen.
Menschen müssen also für Gesundheit direkt zahlen, es gibt keine soziale
Absicherung. Der Erfolg von Maßnahmen zur Stärkung von Gesundheitssystemen
ist nicht sofort messbar, aber diese langfristigen Investitionen sind sehr
wichtig.
In welchen Projekten an der H-BRS geht es um solche Fragen?
Bender: Am Beispiel von Ghana und Kenia haben wir uns mit Sozialschutz als
Faktor für wirtschaftliche Entwicklung und Armutsreduzierung beschäftigt.
Armut und Krankheit sind stark korreliert und verstärken sich gegenseitig:
Hohe direkte und indirekte Kosten für den Zugang zu Behandlungen führen zu
Armut oder verstärken bestehende Armut. In einem anderen Projekt geht es
zum Beispiel um die Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass Länder
ihre soziale Absicherung ausdehnen und welche Barrieren es gibt. Ein
Gesundheitssystem funktioniert auch nur, wenn es eine stabile
Energieversorgung gibt. Mit unserem interdisziplinären Projekt Enershelf
haben wir mit Partnern vor Ort in Ghana versucht Lösungsansätze mit
Solarenergie zu finden. Dieses Projekt durften wir auch bei der UN-
Klimakonferenz 2023 vorstellen.
Zur Person: Katja Bender ist Entwicklungsökonomin und Professorin für
Volkswirtschaftslehre, insbesondere wirtschaftliche und soziale
Entwicklung, an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (HBRS). Ihre
Forschungsschwerpunkte umfassen die politische Ökonomie von
Gesundheitssystemreformen, Governance sowie den Zusammenhang zwischen
technologischem und institutionellem Wandel mit besonderem Fokus auf dem
Energie-Gesundheits-Nexus. In jüngster Zeit befasst sich ihre Forschung,
auch motiviert durch eigene Erfahrungen, mit (internationalen)
Kooperationen zwischen Forschung, Praxis und Politik. Sie ist Direktorin
des Internationalen Zentrums für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) an der
H-BRS und stellvertretende Präsidentin der European Association for
Development Research and Training Institutes (EADI).