Zum Hauptinhalt springen

Überschießende Narbenbildung im Knie: Nutzen einer OP unklar

Pin It

Für die Beantwortung der Frage, ob operative Verfahren
Bewegungseinschränkungen und Schmerzen bei Arthrofibrose reduzieren
können, fehlen geeignete Studien.


Ursache für eine überschießende Narbenbildung an einem der großen Gelenke
(Arthrofibrose) sind Entzündungen nach Verletzungen des Gewebes, zum
Beispiel nach einer Operation. Eine Arthrofibrose ist schmerzhaft und
schränkt die Bewegung stark ein – und damit die gesundheitliche
Lebensqualität.

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen (IQWiG) hat ein interdisziplinäres Team von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Federführung des
Instituts für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung
der Medizinischen Hochschule Hannover die Vor- und Nachteile von
operativen Behandlungen bei Arthrofibrose im Knie untersucht.

Die Frage, ob Personen mit überschießender Narbenbildung im Knie nach
einer Operation das Knie besser bewegen können und weniger Schmerzen haben
als Betroffene ohne Operation, konnten die Autorinnen und Autoren jedoch
mangels aussagekräftiger Studiendaten nicht beantworten. Da aktuell auch
keine weiteren Studien laufen oder geplant sind, wird sich die dürftige
Informationslage in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern.

Frage eines Bürgers an die Wissenschaft

Der HTA-Bericht „Arthrofibrose im Knie – Können operative Verfahren
Bewegungseinschränkungen und Schmerzen reduzieren? “ entstand im Rahmen
des IQWiG-Verfahrens ThemenCheck Medizin. Hier können Bürgerinnen und
Bürger wissenschaftliche Begutachtungen von Untersuchungs- und
Behandlungsverfahren vorschlagen. In diesem Fall leidet der Vorschlagende
selbst an der Erkrankung und den damit verbundenen Beeinträchtigungen, die
seine Aktivitäten im Beruf, im Haushalt und in der Freizeit stark
beeinträchtigen. Er fragt sich, ob operative Verfahren Linderung bei einer
Arthrofibrose im Knie bringen können.

Schätzungsweise 50 000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich neu an
Arthrofibrose, überwiegend am Knie. Eine überschießende Narbenbildung wird
normalerweise erst einmal konservativ behandelt. Entzündungshemmende
Medikamente sollen einer weiteren Narbenbildung vorbeugen. Außerdem
erhalten die Betroffenen Physiotherapie mit Bewegungsübungen, Dehnung des
Narbengewebes oder Lymphdrainage. Manchmal kommt auch eine motorbetriebene
Bewegungsschiene zum Einsatz, die das Bein passiv so weit bewegt, wie es
für den Betroffenen oder die Betroffene möglich ist. Passiv bedeutet: Das
Bein wird von der Schiene bewegt und nicht von der oder dem Betroffenen
selbst. Solch eine konservative Behandlung braucht Geduld und kann bis zu
einem Jahr dauern.

Wenn konservative Behandlungen nicht ausreichend geholfen haben, kommen
operative Eingriffe in Betracht. Mithilfe einer Gelenkspiegelung
(Arthroskopie) oder als offene Operation können Verwachsungen im Knie
gelöst und Narben entfernt werden. Diese Verfahren werden als Arthrolyse
bezeichnet. Bei Arthrofibrose aufgrund von mechanischen Komplikationen
nach dem Einsetzen eines künstlichen Kniegelenkes ist auch ein Wechsel
der Knie-Endoprothese oder einzelner Komponenten möglich.

Es gibt darüber hinaus die Möglichkeit, das Knie manuell unter Narkose
sehr stark zu bewegen. Ziel dabei ist, das Narbengewebe im Knie zu lösen,
damit es wieder beweglicher wird. Dieses Verfahren wird als sogenannte
Narkose-Mobilisation („manipulation under anaesthesia“, kurz MUA)
bezeichnet.

Im Jahr 2019 wurden in Deutschland rund 10 000 manuelle Bewegungen unter
Narkose sowie rund 6000 offene Operationen am Knie und mehr als 9000
minimalinvasive Gelenkspiegelungen abgerechnet.

Keine Studien zu operativen Verfahren oder Gelenkspiegelungen

Das vom IQWIG beauftragte Wissenschaftsteam aus Hannover identifizierte
keine Studien, die operative Verfahren wie die Arthrolyse oder den Tausch
des künstlichen Kniegelenks oder einzelner Teile davon untersuchen.

Eine Studie vergleicht die einmalige Narkose-Mobilisation mit einer
zunehmenden Dehnung des Knies durch eine computergesteuerte
motorbetriebene Bewegungsschiene über einen Zeitraum von sechs Wochen.
Beide Gruppen erhielten zusätzlich regelmäßige Physiotherapie. In dieser
Studie wurden etwa 60 Patientinnen und Patienten mit versteiftem
Kniegelenk, bei denen Arthrofibrose vermutet wurde, in zwei
Behandlungsgruppen aufgenommen. Sie waren im Durchschnitt 60 Jahre alt und
hatten ein künstliches Kniegelenk. In der Studie wurden Ergebnisse für die
Endpunkte Mortalität, Bewegungsumfang, Komplikationen und
gesundheitsbezogene Lebensqualität ermittelt. Für keinen der Endpunkte
zeigte sich nach sechs Wochen ein statistisch signifikanter Unterschied
zwischen der MUA- und der Vergleichsgruppe. Es ließ sich daher kein Vor-
oder Nachteil für eine der beiden Behandlungsoptionen ableiten. Die Studie
wies zudem methodische Mängel auf, die die Aussagekraft einschränken.

Die Autorinnen und Autoren des ThemenCheck-Berichts fanden keine Hinweise
auf laufende oder geplante Studien, die künftig neue Erkenntnisse liefern
könnten.

„In Deutschland werden jährlich mehrere tausend Patienten wegen
überschießender Narbenbildungen im Knie operiert. Dabei wissen wir nicht,
ob diese offenen oder minimalinvasiven Eingriffe tatsächlich Schmerzen
lindern oder die Beweglichkeit verbessern. Das ist für die Betroffenen,
die sich für oder gegen eine OP entscheiden müssen, nicht
zufriedenstellend“, sagt Ulrich Siering vom IQWiG-ThemenCheck-Team. Um
dies zu ändern, sind weitere prospektive vergleichende Studien nötig, die
eine operative Therapie mit verschiedenen Formen der üblicherweise
angewendeten konservativen Therapie vergleichen.