Digitale Diabetesversorgung: Fortschritte, Hürden und der Weg zu mehr Inklusion
Von Gesundheits-Apps über die elektronische Patientenakte bis hin zur
Online-Schulung: der medizinische Alltag wird mehr und mehr von digitalen
Technologien durchdrungen.
Besonders in der Diabetesversorgung ist der
Bedarf an digitaler Unterstützung groß, und für nahezu alle Aspekte des
Diabetesmanagements stehen bereits digitale Anwendungen zur Verfügung. Sie
tragen wesentlich dazu bei, die Lebensqualität und Sicherheit der
Betroffenen zu verbessern, wie Expertinnen und Experten der Deutschen
Diabetes Gesellschaft e.V. (DDG) auf der Vorab-Pressekonferenz zur 18.
Diabetes Herbsttagung darlegten.
Herausforderungen gebe es aber noch bei der digitalen Inklusion – denn
barrierefrei sind die meisten elektronischen Tools noch nicht. Die DDG
fordert barrierefreie Technologien und einen gesetzlichen Anspruch auf
moderne Therapieoptionen für alle Menschen – unabhängig von körperlichen
oder psychischen Einschränkungen.
Digitale Technologien als neuer Standard in der Diabetesversorgung
Was vor einigen Jahren noch fast futuristisch anmutete, ist heute bereits
zum Standard der Diabetesversorgung geworden: Sensoren übernehmen nicht
nur die Messung des Blutzuckerspiegels, sondern zeichnen den zeitlichen
Verlauf auch auf und halten die Daten in anschaulicher Form digital
abrufbereit. Diese Daten dienen in der Regel auch als Grundlage für das
Arzt-Patienten-Gespräch. „Das handgeschriebene Blutzuckertagebuch stellt
dagegen eine Ausnahme dar“, berichtete Dr. med. Tobias Wiesner,
diesjähriger Tagungspräsident der Diabetes Herbsttagung, auf der
Pressekonferenz. Ob die Daten zu Hause vom Patienten oder der Patientin
selbst ausgelesen werden oder in der ärztlichen Praxis, hänge vom
verwendeten System und der technischen Ausstattung der betreuenden Praxis
ab. Immer häufiger könnten die Messwerte auch direkt über eine Cloud
übermittelt werden. „Für Routinetermine müssen die Patientinnen und
Patienten dann nicht mehr unbedingt vor Ort in der Praxis erscheinen,
sondern können die aktuellen Werte auch per Video-Schaltung besprechen“,
so Wiesner, der als Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und
Diabetologie am MVZ Stoffwechselmedizin Leipzig tätig ist. Das bedeute
eine gewaltige Zeitersparnis – gerade für Menschen, die im ländlichen Raum
wohnen.
Elektronische Akten und vernetzte Systeme: Wegbereiter für ein
verbessertes Diabetesmanagement
Die elektronische Patientenakte und die elektronische Diabetesakte sollen
dazu beitragen, dass das Diabetesmanagement weiter verbessert und die
Kommunikation zwischen beispielsweise behandelnden Ärztinnen und Ärzten
effizienter wird. Noch seien wichtige Voraussetzungen hierfür jedoch nicht
geschaffen, war sich die Expertenrunde einig. Sie verwiesen auf die häufig
noch mangelnde Interoperabilität der Systeme und in der Folge den
unzureichenden Zugriff auf relevante Daten.
Für die Diabetes-Betroffenen selbst sind die Vorteile der Digitalisierung
schon heute im täglichen Leben spürbar. „Hier haben sich technische
Lösungen wie die kontinuierliche Blutzuckermessung, Insulinpumpen und vor
allem gekoppelte Closed-Loop-Systeme, die wie eine künstliche
Bauchspeicheldrüse funktionieren, als echte Game-Changer erwiesen“, sagte
Wiesner. Sie erleichterten den Patientinnen und Patienten nicht nur das
Diabetesmanagement, sondern trügen auch erheblich zur Behandlungsqualität
und mehr Sicherheit bei.
Fehlende Inklusion und Barrieren für vulnerable Patientengruppen
Trotz der beeindruckenden Fortschritte sehen die DDG-Expertinnen und
-experten noch großen Handlungsbedarf. „Gerade vulnerablen
Patientengruppen – wie ältere, blinde, von Demenz betroffene oder
anderweitig beeinträchtigte Menschen – bleiben viele der digitalen
Unterstützungsangebote verwehrt“ sagte Dr. med. Dorothea Reichert,
ebenfalls Tagungspräsidentin der Diabetes Herbsttagung, in ihrem
Statement. Standard bei der Behandlung des Typ-1-Diabetes sei die
sogenannte intensivierte Insulintherapie, bei der durch die Gabe eines
Langzeitinsulins oder die kontinuierliche Insulinabgabe über eine Pumpe
die Versorgung mit Basisinsulin sichergestellt wird. Darüber hinaus muss
vor jeder Mahlzeit die geplante Kohlenhydrataufnahme berechnet und eine
entsprechende Insulinmenge gespritzt oder abgegeben werden. „Menschen mit
Typ-1-Diabetes, die diese Berechnung nicht bewältigen, geraten schnell in
eine lebensbedrohliche Unter- oder Überzuckerung“, mahnte Reichert, die
als niedergelassene Fachärztin für Innere Medizin und Diabetologin DDG in
eigener Praxis in Landau tätig ist. Sie würden daher besonders von
digitalen Anwendungen profitieren, die die Dosierung berechnen, erst recht
von Closed-Loop-Systemen – Insulinpumpensysteme, die auch automatisch auf
Blutzuckerschwankungen reagieren. In der Praxis hätten aber gerade
Patientinnen und Patienten mit Unterstützungsbedarf oft keine Chance auf
Kostenübernahme für solche Systeme – mit der Begründung, dass sie den
Zeitpunkt und die Zusammensetzung ihrer Mahlzeiten nicht selbst
festlegten. „Dabei wird verkannt, dass auch in Betreuungseinrichtungen und
Pflegeheimen nicht sichergestellt ist, dass es Betreuungskräfte gibt, die
die Berechnung des Mahlzeiteninsulins übernehmen“, gab Reichert zu
bedenken.
Zudem gibt es bislang weder barrierefreie Glukosesensoren noch
barrierefreie Insulinpumpen. Die neuen Technologien erfordern ein
erhebliches Maß an digitalem Grundverständnis, und Menschen mit starker
Sehbehinderung sind von vornherein ausgeschlossen. „Menschen mit
psychischen Beeinträchtigungen können die vom Medizinischen Dienst
geforderten Dokumentationen zur Ernährung, Zuckerwerten, Insulinmenge und
Sport häufig nicht in der geforderten Qualität vorlegen und bekommen
deshalb keine automatisierten Insulindosierungssysteme bewilligt – obwohl
sie von diesen in besonderem Maße profitieren würden“, so Reichert.
Forderungen der DDG für eine inklusive digitale Diabetesversorgung
Im Sinne einer digitalen Inklusion fordert die DDG daher die forcierte
Entwicklung barrierefreier Technologien und einen gesetzlich geregelten
Zugang zu modernen Therapieoptionen für alle Menschen, unabhängig von
physischen oder psychischen Einschränkungen.
Die Pressemappe und den Mitschnitt der Pressekonferenz finden Sie auf der
Website der DDG unter https://www.ddg.info/pressekon
pressekonferenz-der-18-diabete
Terminhinweis für Journalist*innen:
Pressekonferenz im Rahmen des Diabetes Kongresses 2024 (hybrid)
„Diabetesversorgung im Fokus: Herausforderungen und Lösungen in Klinik und
Praxis“
Termin: Freitag, 22. November 2024, 12:30 bis 13:30 Uhr
Ort: Hannover Congress Centrum (HCC), Konferenzraum 8/10 (in der
Konferenzraumebene) oder hier online:
https://us06web.zoom.us/webina