Wenn Gefäße altern – unterschätztes Risiko für Herz und Gehirn
Magdeburger Forschungsteam zeigt neue Wege zur Vorbeugung von Herz-
Kreislauf-Erkrankungen
Wenn die Blutgefäße altern, steigt das Risiko für Herzinfarkt,
Herzschwäche, Schlaganfall und Demenz. Dieser Prozess passiert schleichend
und bleibt lange unbemerkt, sodass Probleme oft erst bei schweren
Komplikationen sichtbar werden. Um auf dieses Gesundheitsrisiko aufmerksam
zu machen, haben Forschende der Universitätsmedizin Magdeburg nun in der
renommierten Fachzeitschrift Nature-Signal Transduction and Targeted
Therapy eine Übersichtsarbeit veröffentlicht.
Darin beschreibt das Team,
wie Gefäße steif werden, welche Folgen das für Millionen Menschen hat und
wie sich dieser Alterungsprozess bremsen lässt. Genau hier setzt auch das
Magdeburger Forschungsprojekt „Digitale kardiovaskuläre Prävention“
(DIKAP) mit der derzeit größten Präventionsstudie zu Herz-Kreislauf-
Erkrankungen in Deutschland an.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit Todesursache Nummer eins. 2019
starben daran fast 18 Millionen Menschen. Ein wesentlicher Grund ist die
Gefäßalterung: Mit den Jahren verlieren Arterien ihre Elastizität, der
Blutdruck steigt, Organe werden schlechter versorgt. Die Folgen reichen
von Herzschwäche über Nierenerkrankungen bis hin zu Demenz. „Unsere Arbeit
zeigt deutlich: Gefäßsteifigkeit ist einer der frühesten und wichtigsten
Marker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und damit ein Ansatzpunkt für
personalisierte Prävention“, sagt Dr. med. Patrick Müller, Assistenzarzt
an der Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie Magdeburg und
einer der Autoren.
Sachsen-Anhalt als Modellregion
Sachsen-Anhalt ist besonders betroffen. Die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt
ist im bundesweiten Vergleich nicht nur die älteste, sondern trägt auch
eine besonders hohe Last an Risikofaktoren: Bluthochdruck, Rauchen,
Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen und
Bewegungsmangel sind hier deutlich häufiger als in anderen Regionen
Deutschlands. Die Folge: Mehr Herzschwäche, mehr Schlaganfälle, mehr
koronare Herzerkrankung (Herzinfarkte) und die bundesweit niedrigste
Lebenserwartung.
„Das macht Sachsen-Anhalt zu einer Modellregion für die demographische
Entwicklung in Europa. Wir sehen hier schon heute, was andere Regionen
erst in einigen Jahren erwartet. Gleichzeitig eröffnet uns das die Chance,
Präventionsstrategien zu entwickeln, die europaweit Wirkung entfalten
können. Denn bis zu 80 Prozent aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen wären
vermeidbar, wenn wir Risikofaktoren konsequent behandeln und die
Gefäßalterung früh erkennen“, betont Prof. Dr. med. Rüdiger Braun-
Dullaeus, Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie
Magdeburg.
Das interdisziplinäre Forschungsteam beschreibt, wie Entzündungen,
Kalkablagerungen oder Umbauprozesse in der Gefäßmuskulatur die Alterung
beschleunigen und welche Chancen in einer gezielten Vorbeugung liegen:
• Früherkennung mit modernen Methoden wie der Pulswellenanalyse,
• digitale Präventionsprogramme, die Blutdruck, Gewicht und
Blutzucker stabilisieren,
• neue Therapiekonzepte, die Medikamente mit Lebensstiländerungen
und digitaler Begleitung verbinden.
„Die arterielle Gefäßsteifigkeit ist einer der wichtigsten Frühindikatoren
für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und trotzdem bisher kaum in der
Regelversorgung angekommen. Wir brauchen einheitliche Messstandards und
eine bessere Vergütung, damit dieses Wissen auch wirklich bei den
Patientinnen und Patienten ankommt“, erklärt Prof. Braun-Dullaeus.
Um diese Lücke zu schließen, schlagen die Forschenden ein „arterial
stiffness framework“ vor – ein Konzept, das Mechanismen klarer beschreibt
und den Weg für standardisierte Prävention und Therapie ebnet. Ziel ist
es, die Messung der Gefäßsteifigkeit langfristig als Routineuntersuchung
zu etablieren.
Größte Präventionsstudie Deutschlands gestartet
Wie der Transfer in die Versorgung gelingen kann, zeigt das Projekt
Digitale Kardiovaskuläre Prävention (DIKAP), das im Mai 2025 in Magdeburg
gestartet ist. Es ist die größte Studie zur telemedizinischen Prävention
von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland. „Mit DIKAP wollen wir
zeigen, wie sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis
übertragen lassen und wie digitale Prävention die Gefäßgesundheit
langfristig verbessern kann“, erklärt Studienleiter Dr. Müller. „Mit
digitalen Technologien können wir Patientinnen und Patienten eng begleiten
und Erkrankungen verhindern, bevor sie entstehen. Das ist eine enorme
Chance für die Gesundheitsversorgung, gerade auch in Regionen mit wenigen
Ärztinnen und Ärzten“, sagt Dr. Müller.
Für die Studie werden weiterhin Teilnehmende gesucht: Frauen und Männer ab
40 Jahren mit Bluthochdruck und mindestens einem weiteren Risikofaktor wie
Rauchen, Übergewicht, Diabetes oder Bewegungsmangel. Voraussetzung ist,
dass bisher kein Herzinfarkt oder Schlaganfall vorlag. Interessierte
finden weitere Informationen unter www.dikap.med.ovgu.de.
Die Übersichtsarbeit entstand in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz Zentrum
München (PD Dr. med. Katharina Lechner). Gefördert wird die Forschung
durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), das
Polycarp-Leporin-Programm der Medizinischen Fakultät Magdeburg und dem
Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG).
Foto: Ein Teil des Magdeburger Forschungsteams zur Gefäßalterung (v. l.):
Prof. Dr. med. Rüdiger Braun-Dullaeus, Direktor der Universitätsklinik für
Kardiologie und Angiologie Magdeburg, Dr. med. Matthias Kunz, Facharzt für
Innere Medizin, Dr. med. Patrick Müller und Dr. med. Maximilian Herzog,
Assistenzärzte der Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie
Magdeburg und Prof. Dr. med. Stefanie Schreiber, kommissarische Direktorin
der Universitätsklinik für Neurologie Magdeburg. Fotografin: Sarah
Kossmann/Universitätsmedizin Magdeburg
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Patrick Müller, Assistenzarzt, Universitätsklinik für Kardiologie und
Angiologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg,
Originalpublikation:
Herzog, M.J., Müller, P., Lechner, K. et al. Arterial stiffness and
vascular aging: mechanisms, prevention, and therapy. Sig Transduct Target
Ther 10, 282 (2025). DOI: https://doi.org/10.1038/s41392
