Energiewende: Infrastruktur unter der Erde, Ernte-Erträge über der Erde
Forschungsprojekt der Universität Hohenheim und des
Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW: Stromkabel in der Erde bringen in
der Landwirtschaft keine Einbußen
Gleichstrom-Erdkabel mindern weder den Ertrag noch die Qualität von
landwirtschaftlich genutzten Kulturen – das zeigen erste
Zwischenergebnisse eines Forschungsprojektes der Universität Hohenheim in
Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW.
Entscheidend ist jedoch eine fachgerechte Bauweise. Seit vier Jahren
untersuchen die Projektbeteiligten im Rahmen des SuedLink-Vorhabens die
Auswirkungen von 525-Kilovolt-Gleichstrom-Erdka
Forschenden auf vier Versuchsfeldern den Betrieb von Erdstromkabeln und
analysieren deren Einfluss auf die Temperatur und Feuchtigkeitsverläufe im
Boden sowie die Auswirkungen auf Ertrag und Qualität der angebauten
Feldfrüchte.
Um erneuerbare Energien wie beispielsweise Strom aus Windkraftanlagen
verlustarm über große Entfernungen zu transportieren, müssen laut Gesetz
in Deutschland Hochspannungs-Gleichstromleitu
werden. So unter anderem auch im Projekt SuedLink, einem der größten
Netzausbauprojekte in Deutschland. Die 700 km lange Gleichstrom-
Erdkabelverbindung transportiert Windstrom aus Norddeutschland nach Bayern
und Baden-Württemberg und wird von TenneT (Nordabschnitt) und TransnetBW
(Südabschnitt) realisiert.
Doch welche Auswirkungen haben Erdstromkabel auf landwirtschaftliche Böden
und Ernteerträge? Die Frage ist umso wichtiger, weil die Flächen für die
geplante SuedLink-Leitung von den Netzbetreibern nicht erworben werden,
sondern im Eigentum der landwirtschaftlichen Betriebe bleiben. Deshalb ist
es besonders wichtig, dass die Flächen nach dem Bau normal weiter
bewirtschaftet werden können und auch die gewohnten Erträge bringen.
Das Forschungsprojekt CHARGE der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit
mit TransnetBW und gefördert durch das Ministerium für Umwelt, Klima und
Energiewirtschaft Baden-Württemberg liefert nun erste Antworten: Bau und
Betrieb von Gleichstromerdkabeln beeinträchtigen weder die Erträge noch
die Qualität der angebauten Feldfrüchte - sofern beim Bau einige Vorgaben
eingehalten werden.
Praxisnahe Feldversuche an vier repräsentativen Standorten
Auf vier Untersuchungsflächen in Baden-Württemberg und Bayern, deren
unterschiedliche Bodentypen repräsentativ für Süddeutschland sind,
untersuchen die Projektbeteiligten den Einfluss von Bau und Betrieb von
Erdstromkabeln auf die landwirtschaftliche Nutzung. Die Auswirkungen auf
Bodenstruktur, Temperatur und Feuchtigkeit interessieren sie dabei genauso
wie Entwicklung, Wachstum und Ertrag der angebauten Kulturpflanzen.
Zu den Untersuchungsstandorten gehören in Baden-Württemberg die Orte Bad
Friedrichshall/Kochendorf (Landkreis Heilbronn), Boxberg und
Großrinderfeld (Main-Tauber-Kreis) sowie in Bayern die Gemeinde
Güntersleben (Landkreis Würzburg).
Innerhalb der etwa fußballfeldgroßen Versuchsflächen wurden je drei
Kabelgräben angelegt: Zwei Gräben sind mit beheizbaren Stahlrohren
ausgestattet, die den maximalen Energieeintrag von 32 Watt pro laufenden
Meter der späteren SuedLink-Erdkabel simulieren. Der dritte Graben dient
als Kontrolle, der lediglich ausgehoben und wiederverfüllt wurde. So
können die Forschenden Effekte erfassen, die allein auf die Baumaßnahmen
zurückzuführen sind.
Die Flächen wurden von den Landwirt:innen vier Jahre lang in der gewohnten
Fruchtfolge bewirtschaftet, darunter Getreidearten wie Weizen, Gerste,
Dinkel, aber auch Raps und Mais. Sensoren erfassten während dieser Zeit
kontinuierlich Bodentemperatur und -feuchte bis in 1,25 m Tiefe.
Bau und Betrieb beeinflussen Boden
Sowohl der Bau als auch der Betrieb von Erdstromkabeln beeinflussen die
Umwelt: „Um die Kabeltrassen zu bauen, müssen die Bauunternehmen schweres
Gerät einsetzen. Dadurch wird unter Umständen der Boden rund um die
Kabelgräben verdichtet. Im eigentlichen Kabelgraben stören zumindest
zeitweise das Ausheben und Wiederverfüllen die natürliche Struktur des
Bodens“, erklärt Jonas Trenz, Doktorand im Fachgebiet Pflanzenbau der
Universität Hohenheim.
Deshalb achteten die Forschenden beim Bau der Kabelgräben darauf, dass die
natürliche Schichtung des Bodens beim Ausheben und Wiederverfüllen
weitgehend erhalten bleibt. Fachleute sprechen hier von „fachgerechter
Bauweise“. So wurden beispielsweise die natürlichen Bodenschichten
getrennt gelagert und wiederverfüllt, Arbeiten auf stark durchnässten
Böden wurden vermieden und verdichtete Bereiche anschließend gelockert.
„Denn nasse Erde kann sich stark verdichten, so dass die Pflanzen später
Schwierigkeiten haben, ihre Wurzeln auszubreiten“, beschreibt der Experte
den Grund.
„Neben Veränderungen in der Bodenstruktur führen Erdstromkabel zu einer
Wärmeabgabe an den umliegenden Boden. Uns interessiert, welche Folgen das
für den Boden und die Pflanzen hat, die auf ihm wachsen“, ergänzt
Fachgebietsleiterin Prof. Dr. Simone Graeff-Hönninger. „Wir untersuchten:
Ist der Grad der Erwärmung beispielsweise im Oberboden für die Pflanzen
relevant? Steht den Pflanzen eventuell weniger Wasser für ihr Wachstum zur
Verfügung? Welche Auswirkungen hat das auf die Erträge und Qualitäten der
angebauten Kulturarten sowie auf ihre Entwicklung und Reifung?“
Ergebnisse: Keine Einbußen – teilweise Vorteile
Nach vier Jahren Versuchslaufzeit zeigt sich, dass auf den Versuchsflächen
sowohl durch den Bau als auch durch den Wärmeeintrag keine Ertragseinbußen
festgestellt werden konnten. „Allerdings beeinflussen die
unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten das Wachstum der Kulturpflanzen
deutlich“, so Jonas Trenz. „Auf flachgründigen oder steinigen Standorten
profitierten die Kulturarten sogar und wir konnten höhere Erträge
beobachten.“
„Was das Pflanzenwachstum sowie Ertragshöhe und Kornqualität betrifft,
können wir Effekte durch den Bau und die abgegebene Wärme beobachten, aber
wir können noch nicht eindeutig zuordnen, welcher Effekt worauf
zurückzuführen ist“, so Prof. Dr. Graeff-Hönninger. „Ganz allgemein finden
wir eine hohe Abhängigkeit vom Standort und der Kulturart.“
„Die Temperaturmessungen ergaben, dass die Erwärmung unmittelbar am Kabel
zwischen 14 und 16 Grad Celsius beträgt, während im Oberboden in 15 cm
Tiefe die Temperaturen nur um 1 bis 3 Grad steigen“, sagt Dr. Joachim
Ingwersen vom Fachgebiet für Biogeophysik an der Universität. „Mit
zunehmendem Abstand vom Kabel nimmt die Bodenerwärmung rasch ab und ist in
vier Metern Entfernung nicht mehr nachweisbar.“
Forschung für eine nachhaltige Zukunft
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass landwirtschaftliche Flächen auch mit
Erdstromkabeln produktiv bleiben und unter bestimmten Bedingungen sogar
profitieren können“, fasst Prof. Dr. Graeff-Hönninger zusammen. „Unser
Ziel ist, die gewonnenen Daten in Pflanzenwachstumsmodelle einzubetten,
die es uns erlauben, unsere Ergebnisse auch auf andere Standorte zu
übertragen.“
Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, bodenschonende Bauweisen
weiterzuentwickeln, die Bodenerwärmung durch Erdkabel zu minimieren und
die nachhaltige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen zu sichern. Die
Forschungsergebnisse könnten auch wichtige Hinweise darauf geben, wie
steigende Bodentemperaturen – verursacht durch Klimawandel oder technische
Anlagen – landwirtschaftliche Böden und Nutzpflanzen grundsätzlich
beeinflussen.
HINTERGRUND: Projekt CHARGE − Felduntersuchung zum Einfluss von
Hochspannungsgleichstromübertr
landwirtschaftliche Kulturpflanzen
Mit dem Forschungsprojekt CHARGE untersucht die Universität Hohenheim in
Kooperation mit dem baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreiber
TransnetBW, welche Auswirkungen die Wärmeabgabe von Erdstromkabeln und die
baubedingten Veränderungen der Bodenstruktur und Bodenlagerung auf die
Landwirtschaft haben. Das Ministerium für Umwelt, Klima und
Energiewirtschaft Baden-Württemberg fördert das Projekt mit knapp 1,3
Million Euro. Die Laufzeit des Projekts erstreckt sich vom 1.1.2021 bis
31.8.2026.
HINTERGRUND: SuedLink
SuedLink ist eines der größten Infrastrukturvorhaben der Energiewende. Die
Gleichstrom-Erdkabelverbindung wird die windreichen Regionen
Norddeutschlands mit Bayern und Baden-Württemberg verbinden. Die 700
Kilometer lange Verbindung wird von den beiden Übertragungsnetzbetreibern
TransnetBW und TenneT realisiert. TenneT ist für den nördlichen
Trassenabschnitt und die Konverter in Schleswig-Holstein und Bayern
zuständig, TransnetBW ist für den Bau und Betrieb, den südlichen
Trassenabschnitt und den Konverter in Baden-Württemberg verantwortlich.
Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
http://www.uni-hohenheim.de/pr