Wunderpflanze Weide – ein Strauch für (fast) alle Fälle!
Eine besonders spannende und vielseitig verwendbare
Pflanze haben derzeit Forschende der Hochschule Hof im Blick: Am Institut
für Materialwissenschaften (ifm) in Münchberg widmet man sich dem
Weidenstrauch.
Seine Ruten können durch die flexiblen Eigenschaften ihres
Holzes in der Textilproduktion, der Bauwirtschaft, aber auch in Medizin
und Kosmetik Verwendung finden. Die Weide liefert damit einen sehr schnell
nachwachsenden Rohstoff, der beim Einsatz in den genannten Bereichen
zugleich noch eine hohe CO2-Ersparnis mit sich bringt.
Die Weide bringt für die beabsichtigten Einsatzfelder im Bereich Textil-
und Bauwirtschaft beste Eigenschaften mit: Sie ist einerseits so biegsam,
dass endlose Weidenholzfäden verflochten bzw. verwebt und zum Beispiel als
Ersatz von Rattan, das aus der ostasiatischen Rotangpalme besteht,
verwendet werden können. Andererseits ist das Holz im verflochtenen und
verwebten Zustand gleichzeitig so stabil, dass es auch als Verstärkung von
Fassaden im Baubereich in Frage kommt. „Wir wollen das Weideholz als
Material für diese Bereiche fest etablieren. Die Vorteile liegen dabei auf
der Hand: Der Strauch ist schnell wachsend und jedes Jahr können Ruten mit
bis zu fünf Metern Länge geerntet werden. Und der Einsatz der Weide hilft
zudem bei der Einsparung von CO2 – alleine schon, da es ein regionales
Gehölz ist, das nicht erst zu uns transportiert werden muss“, erklärt
Corinna Anzer vom ifm der Hochschule Hof. Sie fährt fort: „Zusammen mit
unserem Partner, der Universität Kassel – Forschungsplattform BAU KUNST
ERFINDEN, haben wir es uns zum Ziel gesetzt, den bekannten händischen
Flecht- und Webprozess durch industrielle, also maschinelle Abläufe
zuverlässig zu ersetzen. Dafür haben wir diverse Maschinen im Bereich der
textilen Verarbeitung bei uns umgerüstet.“ Weitere konkrete Anwendungen
für das fertige Produkt sollen sich in den Bereichen Architektur,
Innenausstattung, Möbeldesign, Sport oder bei Lampenschirmen ergeben.
Nachhaltige Produktion eines regionalen Gehölzes
In ihrer Forschung engagieren sich die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler gemeinsam mit Landwirten und Industrieunternehmen auch
zunächst für die nachhaltige Produktion, d.h. den Anbau von Weiden mit
ganz spezifischen Material- und Wuchseigenschaften. Sie züchten den
Strauch dabei in sogenannten multifunktionalen Agroforstsystemen. Dabei
werden Gehölze mit Ackerkulturen und Tierhaltung so kombiniert, dass auf
den Flächen ökologische und ökonomische Vorteile für den Landwirt
entstehen. Corinna Anzer, fachliche Leitung für Weberei und Flechten am
ifm, erklärt: „Das Ziel ist es, durch das Holz den Rohstoff für
Weidenholzfäden und Weidenholztextil zu gewinnen. Gleichzeitig extrahieren
wir aus der Rinde der Ruten Salizylate, die in der Medizin und der
Kosmetik eingesetzt werden können. Von der Weide kann somit sehr vieles
genutzt und verarbeitet werden.“ Für an der Produktion interessierte
Landwirte bringt der Strauch zudem einen weiteren Vorteil mit sich: Die
Weide ist ein Tiefwurzler und ist daher gegen kurzfristige Trockenperioden
resistenter. Zudem sorgt sie mit ihrem tiefgreifenden Wurzelwerk im Boden
für einen guten Erosionsschutz.
Forschung an Arbeitsschritten
Natürlich bringt die Forschung um die Verarbeitung der Weidenholzfäden
auch viele Herausforderungen mit sich: Zunächst müssen die getrockneten
Weideruten, die mehrere Meter Länge haben, zu einem gleichmäßigen Faden
verarbeitet werden. Sie werden dafür in Breite und Dicke bearbeitet, um
einen konstanten Querschnitt zu erreichen. In einem weiteren Schritt
werden die einzelnen Abschnitte „geschäftet“, also in einem spitzen Winkel
angeschnitten, um Stellen zu erhalten, die gut miteinander verklebt werden
können. „Das ist ein besonders wichtiger Arbeitsschritt, denn die
Klebestelle darf später keine Schwachstelle sein“, erläutert Corinna Anzer
die Schwierigkeit. Schließlich komme es dann im Flecht- und Webprozess auf
das genaue Austarieren von Maschinenparametern und Fadenspannung an,
damit es nicht zum Riss des Materials kommt. So waren insbesondere die
notwendigen Umlenkungen des Fadens im 180-Grad-Winkel für die Forschenden
besonders anspruchsvoll – schließlich sei die Weide zwar für Holz
vergleichsweise flexibel, aber doch nicht so biegeflexibel wie Baumwolle,
Polyester oder Hanf. Den Flechtvorgang selbst könne man sich dann
technisch wie einen klassischen Tanz unter dem Maibaum vorstellen: „So wie
sich die bunten Bänder beim Maitanz überlappen, so müssen sich auch unsere
Weidenholzfäden anordnen, um eine belastbare Struktur zu bilden“, so die
stellvertretende Projektleiterin.
Analyse entlang der Wertschöpfungskette
Des Weiteren wird zudem die gesamte Wertschöpfung von Weidenholz vom Anbau
bis zum hochveredelten Produkt analysiert - wobei auch Böden, Klima,
Wasserhaushalt und biodiversitätsfördernde Maßnahmen berücksichtigt und
erfasst werden. Die zugrunde liegenden Vorhaben wurden bzw. werden
gefördert und unterstützt durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen,
Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) aus Mitteln des Innovationsprogramms
Zukunft Bau sowie der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. im Auftrag
des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).