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Nationaler Strategieplan Labormedizin: “Wir müssen auf die nächste Pandemie vorbereitet sein”

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Eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und technologisch
fortschrittliche Labormedizin ist essenziell für die Gesundheitsversorgung
in Deutschland – angesichts dieser Tatsache hat die Deutsche Gesellschaft
für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) ein wegweisendes
Positionpapier mit dem Titel “Nationaler Strategieplan Lobormedizin”
verfasst.

Im Gespräch mit MedLabPortal gehen der Präsident der DGKL, Prof.
Harald Renz, und der Bevollmächtigte des Präsidiums der Fachgesellschaft,
Jan Wolter, auf den nationalen Strategieplan ein.

MedLabPortal: Das aktuelle Positionspapier der DGKL hat es in sich und
erscheint uns innovativ-disruptiv, kommt aber in Zeiten eines gewissen
politischen Vakuums in Berlin. Wer genau sind die Adressaten des Papers?

Wolter: Der Labormedizin kommt in der medizinischen Versorgung eine
strategische Schlüsselposition zu. Von daher haben wir uns ganz bewusst
für einen „Nationalen Strategieplan“ entschieden. Ein kleinteiliges
Denken, hier ein wenig am EBM rumschrauben, dort eine Fördermaßnahme, das
wird der Bedeutung der Labormedizin nicht gerecht. Dies muss jedem in der
Politik klar sein, der sich mit Gesundheitspolitik beschäftigt oder auch
innerer Sicherheit oder Digitalisierung.

MedLabPortal: Sie wollten also bewusst parteiübergreifend vor den
Bundestagswahlen am 23. Februar ein Zeichen setzen. Warum jetzt?

Renz: Es wird Zeit, dass die Laboratoriumsmedizin auch in der politischen
Arena adäquat „verankert“ wird. Wir nehmen wahr, dass viele Beteiligte des
Gesundheitswesens gar nicht genau wissen, welche Leistungsfähigkeit die
Labormedizin eigentlich auszeichnet, wie sie zur Resilienz des
Gesundheitswesens beiträgt und auch im Sinne von Pandemic Preparedness
eine große Rolle spielt. Hieraus entwickelt sich auch unser
Forderungskatalog.

Wolter: Ich sehe Deutschland zudem an einem Scheideweg. Wir erleben eine
ganze Reihe von Umbrüchen, von denen jeder einzelne für sich schon von
enormer Bedeutung ist: Globale (Un-)Sicherheit, instabile politische
Allianzen, Klimawandel, gesellschaftlicher Wandel, Industrieumbrüche,
Digitalisierung, … Deutschland muss hier seine Rolle klarer definieren und
sich strategisch positionieren. Für eine so komplexe Fachdisziplin, wie
wir es sind, mag das für die Politik seltsam klingen – aber wir spielen in
vielen dieser Kompetenzfelder eine ganz entscheidende Rolle.

MedLabPortal: Wir fanden das Papier sehr innovativ-disruptiv. Denn im
Grunde, und das ist bundesweit neu, ist die Stellungnahme Ihrer
Fachgesellschaft nichts anderes als ein Masterplan für nationale Krisen im
Gesundheitswesen. So fordern Sie beispielsweise die Politik auf, für eine
Fallpauschalen-unabhängige Vergütung zu sorgen. Das würde die
Laborleistungen aus der unsäglichen Ökonomisierung der Medizin befreien,
behandelnde Krankenhausärzte müssten demnach nicht mehr auf die Kosten
achten, sondern auf das Wohl der Patienten. Auf welche Weise würde das die
Diagnosequalität im Krankenhaus erhöhen?

Renz: Ein Grundproblem, vor dem wir heute stehen, ist die Quadratur des
Kreises. Auf der einen Seite steht ein unaufhaltsamer medizinischer
Fortschritt mit immer besseren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten für die
Patienten, auf der anderen Seite ist das verbunden mit immer höheren
Kosten. Wie wollen wir gesellschaftlich-ethisch verantworten, dass
manches, das was zum Wohle des Patienten geleistet werden kann, aus
ökonomischen Gründen nicht beim Patienten ankommen darf? Hier braucht es
einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs, in dem natürlich Prioritäten
gesetzt werden müssen. Wie schwer es der Politik fällt, Prioritäten zu
setzen, erleben wir gerade in der Frage rund um die Haushaltsplanungen und
die Schuldenbremse.

MedLabPortal: Rückgrat Ihrer Strategie ist die Tatsache, dass die
Labormedizin systemrelevant ist. Entsprechend sollte auch die Politik
reagieren, fordern Sie. Wer steht im Fokus des Papers?

Renz: Im Mittelpunkt steht selbstverständlich der Patient. Und zwar
flächendeckend in der Region, egal, ob er in Berlin, München oder auf dem
flachen Lande wohnt. Eine gute, moderne, solide Diagnostik muss allen
Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sein. Als Nächstes ist darauf zu
achten, dass wir auch die medizinische Leistungsfähigkeit behalten und
erhalten. Hier sind besondere Aktivitäten notwendig, um den Nachwuchs
sicherzustellen, und zwar im technischen wie auch im ärztlichen Sektor.

MedLabPortal: Uns ist aufgefallen, dass die DGKL im Bereich der
Labormedizin Hochsicherheitslabore fordert. Will man dadurch potenzielle
Sabotageakte – und somit die Paralyse des gesamten Gesundheitswesens –
umgehen?

Wolter: Unter dem „One-Health“ Ansatz, der der engen Vernetzung zwischen
Gesundheit der Menschen, der Tiere und der Ökosysteme Rechnung trägt (z.B.
Zoonosen, Umweltmedizin etc.) blicken wir mit einer gewissen Sorge auf die
aktuellen Ereignisse und Entwicklungen hinsichtlich Infektionskrankheiten.
Hinzu kommen wachsende internationale Spannungen mit beträchtlichem
Eskalationspotenzial. Auch die wachsende Instabilität innerhalb von
Nationen spielt eine Rolle bei der Risikobewertung. Deutschland sollte
sich zwingend auf entsprechende Szenarien vorbereiten.

MedLabPortal: Und wie sieht es mit dem Nutzen von BSL-4
Hochsicherheitslaboren jenseits von Sabotage und Terror aus?

Renz: Gute Frage. Betrachten wir doch zur Veranschaulichung die Pandemic
Preparedness. Wir müssen auf die nächste Pandemie vorbereitet sein, die
früher oder später sicherlich kommen wird. Wenn wir dann wieder den
Werkzeugkasten erst zusammenbauen müssen, verlieren wir viel Zeit,
Ressourcen – und am Ende des Tages sogar Menschenleben. Das ist völlig
unnötig, denn wir können vorsorgen. Teil dieses präventiven
Werkzeugkastens sind die erwähnten Hochsicherheitslabore.

MedLabPortal: Auch die Einführung eines Cyber-Cent wird in Ihrem
Positionspapier empfohlen. Damit sollen Labore, auch
privatwirtschaftliche, in mehr Cybersicherheit investieren können. Die
Idee ist löblich, nur: Auf welche Weise kann man gewährleisten, dass der
Cyber-Cent nicht einfach in die Kassen der Beteiligten fließt, ohne dass
er für andere Zwecke ausgegeben wird?

Wolter: Fakt ist, dass Labore als absolut kritische Infrastruktur besser
geschützt werden müssen. Dieser Schutz muss finanziert werden, und die
Labore benötigen hierfür zusätzliche Mittel. Der Cyber-Cent ist dabei eine
einfache, unbürokratische Möglichkeit. Alternativ könnte der Cyber-Cent
auch nicht direkt an die Labore gehen, sondern in einen Cyber-Security-
Investitionsfond. Daraus könnten dann wiederum gezielt und an Maßnahmen
gebunden Mittel vergeben werden. Der Verwaltungsaufwand würde die
Einnahmen jedoch vermutlich zu einem guten Teil auffressen. Ich bin daher
für unkomplizierte Lösungen. Labore, die trotz zusätzlicher Mittel nicht
in ihre IT-Sicherheit investieren und Standards vernachlässigen, könnten
anderweitig sanktioniert oder im Schadensfall entsprechend haftbar gemacht
werden.

MedLabPortal: Apropos Geld. Die Errichtung eines Innovationsfonds für die
Labormedizin ist ein weiterer Aspekt, auf den Sie die Politik hinweisen.
Benötigen Unternehmen, die Milliardengewinne mit Laborbefunden einfahren,
wirklich Geld vom Staat?

Renz: Innovation hat ja auch etwas mit Evidenz zu tun. Es müssen nicht nur
neue Therapiemöglichkeiten auf ihre Evidenz hin überprüft werden, sondern
das Gleiche gilt auch für diagnostische Strategien und diagnostische
Tests. Hier fordern wir einen besonderen Fond innerhalb des
Innovationsfonds, der gerne reserviert ist, um die Evidenz der Diagnostik
zu überprüfen.

MedLabPortal: Es geht demnach primär um die Stärkung der unabhängigen,
universitären Forschung. In Kombination bedeuten die Punkte des
Positionspapiers doch eins: Universitäten und Krankenhäuser werden im
Bereich der Labormedizin eine Art Rückgrat sein – autark, finanziell
abgesichert und selbst im Falle von physischen Ausfällen in anderen
Bereichen der Gesundheitsversorgung immer noch einsatzbereit. Bliebe nur
die Frage: Warum sollte die kommende Bundesregierung Geld in die Hand
nehmen, und darauf eingehen?

Renz: All das, was wir oben aufgeführt haben, kostet selbstverständlich
auch Geld. Umsonst ist die Pandemic Preparedness nicht zu bekommen, die
Resilienz des Gesundheitswesens ist kostspielig. Die Versorgung der
gesamten Bevölkerung, auch und gerade im ländlichen Raum und in der Fläche
mit optimaler Diagnostik, wird nicht umsonst zu haben sein. Dies sind
einige wenige Beispiele, die zeigen, dass es auch bei limitierten
Ressourcen einer Priorisierung innerhalb der Politik bedarf, und hier
werden wir dafür kämpfen, den Stellenwert und die Bedeutung der
Labormedizin herauszuarbeiten.

MedLabPortal: Herr Prof. Renz, Herr Wolter Danke für Ihre Zeit.

Die Fragen stellten MedLabPortal Redakteure Marita Vollborn und Vlad
Georgescu

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erbeten

Redaktion: X-Press Journalistenbüro GbR

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