Wie TV-Serien Führung besser machen können
n Zeiten von Netflix & Co. schauen wir oft Serien. Aus Serien wie „The
Crown“ und „Keeping up with the Kardashians“ können wir lernen, wie gute
Führung funktioniert. Prof. Dr. Brigitte Biehl von der FernUniversität in
Hagen zeigt in ihrer Forschung zum Leadership Development einen
ergänzenden Ansatz zu klassischen Management-Büchern.
In Zeiten von Fachkräftemangel kein positives Ergebnis: Laut einer
aktuellen Studie von Xing und Appinio würde die Hälfte der Deutschen gerne
nach einem Jahr wieder ihren Job wechseln. 43 Prozent geben an, dass sie
unzufrieden mit dem Management des Unternehmens sind und 25 Prozent sind
mit ihrer direkten Führungskraft nicht zufrieden. Dabei ist gute Führung
wichtig, denn sie entscheidet maßgeblich darüber mit, ob Beschäftigte sich
wohlfühlen und ihre Stärken einbringen können. Prof. Brigitte Biehl,
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Personalführung und
Organisation an der FernUniversität, unterrichtet seit über 17 Jahren an
wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten und kennt die Kritik an der
unzureichenden Entwicklung von Management-Nachwuchses.
Der persönliche Aspekt fehlt
„Es werden zwar viele Theorien und Fachwissen vermittelt, aber es fehlt
der persönliche Aspekt dabei. Das Erkennen der eigenen Werte, Emotionen
und Motivation. Der Transfer auf den eigenen Führungsstil fällt schwer“,
weiß Prof. Brigitte Biehl. Eine gute Führung beginnt bei einem selbst: Wie
will ich führen? Oder auch: Wie will ich nicht führen? Eine Methode, die
sich ergänzend dafür eignet, ist das Lernen mit künstlerischen Methoden.
Filme, Serien oder klassische Literatur wie von Shakespeare werden schon
länger in Management-Lehrgängen eingesetzt. In Serien gibt es oft
Führungskräfte oder Situationen, in denen geführt wird, und aufmerksame
Zuschauende können erkennen, was gut und schlecht in der Kommunikation
oder am Auftreten läuft. „Es gibt zum Beispiel diese lustige Szene in der
Serie ,Game of Thrones‘. Der Charakter Theon Graufreud hält vor seinen
Rittern eine Motivations-Rede vor dem Kampf. Sie enthält eigentlich alles,
was in der Theorie gefordert wird, aber ein Ritter schlägt ihn k.o., denn
das Publikum ist überhaupt nicht auf seiner Wellenlänge“, beschreibt
Biehl. „Die Szene zeigt auch, wie die Geführten sich dem Einfluss auch
verweigern und die Führungsbeziehung schlagkräftig mitgestalten können.“
An den gängigen Büchern zum Thema Management gibt es eine noch viel
wichtigere Kritik: Oft sind sie nur auf den Mann zugeschnitten. Frauen,
Menschen mit Behinderung oder mit einem Migrationshintergrund werden dort
nicht in den Blick genommen. „Eine Führungskraft ist in der Literatur oft
weiß, männlich, heterosexuell und nicht behindert. Dabei sind
Führungskräfte vielfältig. Gerade aktuelle Serien bieten alternative
Rollenmodelle an“, sagt Brigitte Biehl.
Wie kann ich aus Serien lernen?
Um wirklich aus Serien etwas lernen zu können, müssen die Zuschauenden sie
intensiv anschauen und sich für die Filmerfahrung öffnen. Im zweiten
Schritt ist es wichtig, dass man sich mit der Serie inhaltlich
auseinandersetzt, um die Erfahrungen aktiv zu verarbeiten.
Das kann in
Form eines Tagebuchs sein, über Gespräche mit anderen oder in der inneren
Auseinandersetzung. Mehrere Studien haben bereits aufgezeigt, dass wir
Serien oder Filme nicht nur passiv konsumieren. Vielmehr geht es um das
„Mitfiebern“ mit unseren Lieblingscharakteren. Am Beispiel der Serie
Dallas, in der es um eine Familie aus einer Öl-Dynastie geht, wurde
untersucht, warum viele Menschen diese Serie gucken, obwohl sie
wahrscheinlich nie in ihrem Leben etwas mit dem Thema Öl zu tun haben.
„Das liegt daran, dass die Charaktere realistische Situationen erleben,
die uns ebenfalls in unserem Alltag passieren, also emotional realistisch
sind. Anders als Fachbücher bieten Serien oder Filme eine Nahaufnahme von
Emotionen. Da kommen Menschen vor, die kämpfen, die auch mal weinen oder
scheitern.“ Im letzten Schritt ist es wichtig, die eigenen Erkenntnisse in
den Arbeitsalltag zu transferieren: Was kann ich für mich übernehmen, wie
passt das in die Welt, in der ich lebe und arbeite?
Forschung mit Studierenden
Brigitte Biehl hat diesen Ansatz zum Leadership Development mit Film mit
Studierenden der FernUniversität in Hagen und der SRH Berlin University of
Applied Sciences praktisch umgesetzt und ausgewertet. Dabei haben
Studierende mit und ohne Berufserfahrung und teilweise auch mit
Führungserfahrung eine selbst gewählte Serie angeschaut und sich intensiv
mit ihr auseinandergesetzt. Eine Gruppe arbeitete mit den TV-Serien rund
um die Mitglieder der Kardashian-Jenner-Familie. Sie sind bekannte
Reality-Stars und auch als Unternehmerinnen tätig. Besonders Kim
Kardashian und ihre jüngere Schwester Kylie Jenner sind sehr erfolgreich
und stehen auf der Forbes-Liste.
Wie vereinbare ich Kind und Job?
„Die Kardashian-Schwestern entsprechen nicht dem klassischen Bild von
Leadership: Sie haben keinen Harvard-Abschluss, sind immer top-gestylt und
starke weibliche Charaktere.“ Die Teilnehmenden berichten, dass sie sich
vor dem Ansehen der Serie eher nicht in einer Führungsrolle gesehen haben
– danach aber schon. „Diverse Charaktere ermutigen andere, sich in der
Führungsrolle zu sehen.“ Die berühmten Schwestern verkörpern zudem ein
weiteres wichtiges Thema: Mutterschaft mit dem Beruf zu vereinbaren. „Auch
dieses Thema findet in der Fachliteratur kaum statt. Es gibt dort keine
Hilfestellungen. Dabei betrifft es die Hälfte der Menschen“, sagt Biehl.
„Ein Student meinte, dass er sich erst jetzt vorstellen kann, wie
schwierig es für seine Mutter war, Job und Kind zu vereinbaren.“ Das
zeigte sich auch am Beispiel der Serie „The Crown“, in der sich Queen
Elizabeth II. durch alle Widerstände kämpft – als Mutter, Königin und
Staatsoberhaupt. Eine Studierende hat sich in ihrem Tagebuch, mit dem sie
die Filmerfahrung auf dem Weg zu einem Lerntransfer verarbeitet hat, als
Symbol selbst die Krone aufgesetzt und will nun mehr Durchsetzungsstärke
wagen.
Mehr Mut durch Serien
Die Wissenschaftlerin stellte fest, dass die Studierenden nach dem Ansehen
der Serien Führung besser erkennen können. „Zudem nehmen sie sich selbst
und andere besser wahr. Die Mehrheit möchte sich aktiver in ihr
Arbeitsleben einbringen.“ Das kritische Denken wurde durch die Serien
angeregt und auch ihre eigene Empathie. Brigitte Biehl regt an, die
klassische Management-Ausbildung mit Ansätzen wie dem kunstbasierten
Lernen zu ergänzen, um auch unsere Emotionen anzusprechen. Denn so kann
das Zwischenmenschliche besser erfasst werden – was gute Führung
grundlegend ausmacht.