Leistungsdruck und Klimakrise – Deutsches Schulbarometer spiegelt aktuelle Sorgen von Schüler:innen
Die Kriege in der Welt, der Leistungsdruck in der Schule, die globale
Klimakrise und die Ängste vor der eigenen Zukunft machen Schüler:innen in
Deutschland aktuell oft Sorgen.
Das geht aus dem heute (20. November)
veröffentlichten Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung
hervor. Laut der repräsentativen Studie, die in einer Kooperation mit der
Universität Leipzig entstand, bewertet mehr als ein Viertel der befragten
Kinder und Jugendlichen (27 Prozent) die eigene Lebensqualität als
niedrig.
Ein Fünftel beschreibt sich selbst als psychisch belastet (21 Prozent, aus
Familien mit niedrigem Einkommen 33 Prozent). Ebenso viele klagen über ein
geringes schulisches Wohlbefinden (20 Prozent, aus Familien mit niedrigem
Einkommen 30 Prozent). „Es muss uns alarmieren, wenn ein Viertel der
Schülerinnen und Schüler die Schule als druckvoll erlebt, die eigene
Lebensqualität niedrig bewertet und angibt, unterschiedlichen
existenziellen Ängsten ausgesetzt zu sein“, sagt Dr. Dagmar Wolf, Leiterin
des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung. Die Lebensqualität der
Kinder und Jugendlichen habe sich zwar seit der Corona-Pandemie
kontinuierlich verbessert, liege aber immer noch deutlich unter dem
präpandemischen Niveau. „Die meisten Kinder und Jugendlichen verbringen
täglich acht Stunden in der Schule. Das ist vergleichbar mit dem
Arbeitsplatz von Erwachsenen, dessen Bedeutung für die Gesundheit
regelmäßig untersucht wird. Für die Situation der jungen Menschen in
unserer Gesellschaft klafft hier allerdings eine große Forschungslücke,
die wir unbedingt schließen müssen.“
Kritik an der Unterrichtsqualität: Schüler:innen vermissen individuelle
Rückmeldungen der Lehrkräfte
Für die aktuelle Ausgabe des Schulbarometers hat das
Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag des Kinder- und
Jugendpsychologen Prof. Dr. Julian Schmitz vom Institut für Psychologie
der Universität Leipzig und seinem Team insgesamt 1.530 Kinder und
Jugendliche im Alter zwischen 8 und 17 Jahren sowie jeweils ein Elternteil
in einer bundesweiten und repräsentativen Studie zu verschiedenen Themen
befragt. Dabei ging es unter anderem um die psychische Gesundheit, die
Lebensqualität, aktuelle Sorgen und Belastungen, die Unterrichtsqualität
sowie den Zugang zu psychosozialen Hilfsangeboten in und außerhalb von
Schulen. Die Onlinebefragung fand zwischen dem 26. April und dem 20. Mai
2024 statt. Die Erhebung wurde von einem interdisziplinären Team aus
Wissenschaftler:innen aus den Bereichen Psychologie, Bildungs- und
Kommunikationswissenschaften der Universität Leipzig und der Hochschule
für Musik, Theater und Medien Hannover konzipiert.
Ein Schwerpunkt der Studie war der Zusammenhang zwischen Unterricht und
psychischer Gesundheit. Zentral für das schulische Wohlbefinden, so die
Ergebnisse des Schulbarometers, sind die konstruktive Unterstützung durch
die Lehrkräfte und eine gute Klassenführung. Doch gerade hier gibt es Luft
nach oben: Viele Schüler:innen berichten von häufigen Unterrichtsstörungen
(83 Prozent) und dass die Mehrheit der Lehrkräfte nicht nachfragt, was man
schon verstanden hat und was noch nicht (41 Prozent). Häufig erhalten die
Schüler:innen keinerlei Rückmeldung, was sie noch lernen müssen (37
Prozent) oder wie sie es besser machen können (28 Prozent). Ein Drittel
(35 Prozent) hat zudem nur selten die Möglichkeit, Probleme im
Klassenverbund mit der Lehrkraft zu besprechen.
"Die aktuellen Ergebnisse des Kinder- und Jugendschulbarometers zeigen,
dass deutlich mehr Schülerinnen und Schüler von psychischen Problemen und
einer niedrigen Lebensqualität auch nach dem Ende der COVID19- Pandemie
berichten. Besonders schulbezogene Themen wie hoher Leistungsdruck,
belastete Beziehungen zu Lehrkräften und Mitschüler:innen, aber auch
mangelhafte Unterrichtsqualität und ein schlechtes Lernklima sind wichtige
Faktoren, die sich negativ auf Kinder und Jugendliche auswirken“, erklärt
Projektleiter Prof. Schmitz. Zugleich zeigten die Ergebnisse der Erhebung,
dass wichtige Hilfsangebote wie Psychotherapieplätz für Schüler:innen
häufig nicht oder nur mit langer Wartezeit verfügbar sind. „Unsere
Studienergebnisse unterstreichen insgesamt, dass wir deutlich mehr
gesellschaftliche Anstrengungen unternehmen müssen, um das psychisch
gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen“, betonte
er.
„Schüler:innen brauchen kontinuierliche und regelmäßige Rückmeldungen“,
sagt Wolf. „Lehrkräfte sollten ihnen Mut machen, dass sie auch schwierige
Aufgaben und Herausforderungen meistern können. Für eine individuelle
Förderkultur braucht es ein neues Unterrichtsverständnis, das den
Lernprozess in den Mittelpunkt stellt. Dazu sind neben datengestützter
Diagnostik auch alternative Prüfungsformate und -zeiten notwendig, um die
individuelle Lernentwicklung als neuen Standard zu etablieren.“
Lücken in der Versorgungsstruktur: Ein Teil der Eltern erhält keine Hilfe
bei psychischen Problemen ihrer Kinder
Die Studie beleuchtet auch, wie die Erziehungsberechtigten mit dem Thema
psychische Gesundheit umgehen und welche Hilfsangebote sie für ihr Kind in
Anspruch nehmen. Dabei zeigt sich, dass bis zu einem Drittel der Eltern
die Hilfestrukturen an der Schule ihrer Kinder nicht kennen. Wird Hilfe
innerhalb der Schule gesucht, ist in den meisten Fällen die
Klassenlehrkraft die erste Anlaufstelle (70 Prozent). Ein Viertel der
hilfesuchenden Eltern hat in der Schule allerdings keine Unterstützung
erhalten (23 Prozent). Bis zum Beginn einer regulären Therapie warten
Kinder und Jugendliche im Durchschnitt fünf Monate.
Über das Deutsche Schulbarometer
Mit dem Deutschen Schulbarometer lässt die Robert Bosch Stiftung seit 2019
regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen
in Deutschland durchführen. Seit 2024 werden neben den Lehrkräften auch
Schüler:innen befragt. Beide Erhebungen werden jährlich mit denselben
Befragten durchgeführt. Das Deutsche Schulbarometer ermöglicht eine
frühzeitige Beschreibung von Entwicklungen, indem es die Beobachtungen und
Einschätzungen derjenigen erhebt und analysiert, die Schule täglich
mitgestalten und erleben. Aktuelle Herausforderungen und Bedarfe der
Schulen sollen auf diese Weise erkannt und daraus Empfehlungen für
Entscheidungsträger:innen im Bildungssystem abgeleitet werden.