Strommarkt: Erfolgreicher Praxistest im Raum Euskirchen zeigt Chancen und Herausforderungen bei lokalem Stromhandel
Im Rahmen des Projekts BEST hat ein Konsortium unter
Leitung des Reiner Lemoine Instituts (RLI) den lokalen Stromhandel im Raum
Euskirchen auf einem digitalen Marktplatz getestet. Die Ergebnisse zeigen
Chancen und Herausforderungen: Lokale Strommärkte helfen Energieversorgern
dabei Angebot und Nachfrage vor Ort zu koordinieren und Produkte zu
optimieren. Private Haushalte oder kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
könnten die Flexibilität ihrer elektrischen Anlagen und Anwendungen zur
Reduktion der Strombeschaffungskosten einsetzen.
Als Herausforderungen zeigen die Expert:innen wie wichtig der Rollout
intelligenter Messsysteme (Smart Meter) für erfolgreichen lokalen
Stromhandel ist oder dass die reine Weitergabe von Strompreisen zu hohen
Gleichzeitigkeiten führt, die Netze überlasten können.
„Lokaler Stromhandel ist technisch möglich. Unsere Ergebnisse zeigen, wie
lokale Flexibilitäten über einen dezentralen Strommarkt genutzt werden
können. Strom kann frei gehandelt werden, solange die Netze über
ausreichend Kapazitäten verfügen. Bei Engpässen kommt es zur gezielten
Nutzung regionaler Flexibilitäten. So erreichen wir eine möglichst lokale
Deckung des Strombedarfs, vermeiden Abregelungen und wirken Engpässen
entgegen“, sagt Friederike Reisch, Leiterin des Forschungsbereichs
Mobilität mit Erneuerbaren Energie am RLI.
Praxistest mit Blockhain-Technologie
Der Praxistest umfasste gewerbliche, kommunale und private Standorte, die
mit der erforderlichen Hard- und Software wie zum Beispiel Home Energy
Management Systems (HEMS) und intelligenten Messsystemen für den
Stromhandel ausgestattet wurden. Für diesen Handel hat das Projektteam
einen über Blockchain-Technologie abgesicherten Markt mit
Authentifizierungs- und Sicherheitsarchitektur aufgebaut. So wurde
gleichzeitig ein transparenter Markt und Datenschutz gewährleistet. Von
der Wetterprognose, über die lokale Optimierung des Stromhandels bis hin
zur Beschaffung von Ausgleichsenergie hat das Projektteam alle notwendigen
energiewirtschaftlichen Prozesse umgesetzt und wichtige Erkenntnisse zum
lokalen Stromhandel erlangt:
1. IT-seitige Anbindung und Standardisierung sind aufwändig
Die Anbindung von heterogenen Bestandsanlagen, wie zum Beispiel Maschinen
in Produktionsbetrieben oder älterer PV-Anlagen stellte sich als aufwändig
und kostenintensiv heraus. Aktuell gibt es keinen skalierbaren Prozess, um
das Flexibilitätspotenzial von Bestandsanlagen bei KMUs effizient zu
nutzen. Standardisierte Messkonzepte sowie der Rollout intelligenter
Messsysteme mit Steuerungsfähigkeit könnten hier entscheidende
Fortschritte bringen.
2. Herausforderung Netzüberlastung bei dynamischen Strompreisen
Die Auswirkungen der zunehmenden Elektrifizierung von Mobilität und des
Wärmesektors auf einen lokalen Markt wurden simuliert. Die Ergebnisse
zeigen, dass die reine Weitergabe von (Börsen-) Strompreisen zu hohen
Gleichzeitigkeiten im Verbrauch und somit künftig zu Netzüberlastungen
führen kann. Die mit der Novelle des §14a Energiewirtschaftsgesetz
beschlossenen Regelungen zu variablen Netzentgelten könnten hier Abhilfe
schaffen, müssen dafür jedoch zeitlich und räumlich differenzierter
ausgestaltet werden können.
3. Lokale Strommärkte als zukunftsweisende Lösung für Netzbetreiber
Lokale Strommärkte bieten eine transparente und potenziell skalierbare
Lösung für lokale Energieversorger, um Angebot und Nachfrage vor Ort zu
koordinieren. Auf dieser Grundlage können neue Produkte entwickelt werden,
die optimal zur Erzeugungs- und Verbrauchsstruktur der Akteure in den
jeweiligen Regionen passen.
4. Haushalte und KMUs können Strombeschaffungskosten senken
Die Teilnahme an lokalen Strommärkten ermöglicht es Haushalten sowie KMUs,
die Flexibilität ihrer elektrischen Anlagen zu nutzen, um ihre
Strombeschaffungskosten zu senken, ohne dass dabei von außen in ihre
internen Prozesse eingegriffen wird.
Integration erneuerbarer Energien und Flexibilisierung des Stromverbrauchs
Ob Photovoltaik auf der Fertigungshalle, kommunale Windkraftanlage oder
Dachsolar auf dem Eigenheim – Die Energiewende schreitet voran und
Stromerzeugung wird dezentraler. Der Zubau dieser Anlagen erhöht dabei
auch den Anteil volatiler erneuerbarer Energien im Stromsystem und bringt
neue Herausforderungen wie zum Beispiel Kosten für Eingriffe zur Anpassung
der Leistungseinspeisung (Redispatch-Maßnahmen). Die erfolgreiche
Integration erneuerbarer Energien und die Flexibilisierung des
Stromverbrauchs sind daher zentrale Elemente der Energiewende. „Bisherige
Stromnetze wurden als „Kupferplatte“ behandelt – ein Modell, das zunehmend
an seine Grenzen stößt. Die Projektergebnisse zeigen einen wegweisenden
Ansatz zur Bewältigung der Herausforderungen der Energiewende und bieten
Erkenntnisse für Anwendungen im Bereich lokaler Strommärkte“, so Reisch.
Über das Projekt und den Praxistest
Im Projekt BEST (Blockchainbasiertes dezentrales Energiemarktdesign und
Managementstrukturen) haben Expert:innen ein Strommarktbietersystem (SMBS)
auf Basis einer Blockchain und als Open-Source-Software unter
Berücksichtigung der aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen
entwickelt und erprobt. Ziel war es, ein dezentrales Strommarktdesign zu
entwickeln, das regionale Netzengpässe berücksichtigt und die Nutzung von
Flexibilitätspotenzialen ermöglicht. Ein zentraler Bestandteil des
Projekts war die Implementierung einer Blockchain-basierten Marktstruktur,
die durch eine robuste Authentifizierungs- und Sicherheitsarchitektur
unterstützt wird. In enger Zusammenarbeit mit dem regionalen
Energieversorgungsunternehmen e-regio wurde ein Handelsmechanismus
entwickelt und erfolgreich in einem Prototyp getestet, bei dem reale
Verbrauchs- und Erzeugungsstandorte in den Prozess integriert wurden. Das
RLI arbeitete im Projekt gemeinsam mit Expert:innen des Fraunhofer-
Instituts für offene Kommunikationssysteme (FOKUS), des
Digitalunternehmens OLI Systems, des Forschungsinstituts fortiss, der
Hochschule Weserbergland, des Energiedienstleisters e-regio und der
Energieforen Leipzig für Wissenstransfer in der Energiewirtschaft. Das
Projekt lief zwischen Januar 2021 und September 2024 und wurde vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.
Weiterführende Informationen: https://best-strommarkt.de/