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Robotergestütztes Laserverfahren ermöglicht schonende Kraniotomie im Wachzustand

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Um während neurochirurgischen Eingriffen komplexe Hirnfunktionen testen zu
können, werden diese an wachen, lokal anästhesierten Patienten
durchgeführt. So können die Chirurgen mit ihnen interagieren und prüfen,
wie sich ihr Eingriff auf die Hirnfunktion auswirkt. Doch das Öffnen des
Schädels im Wachzustand ist für die Betroffenen psychisch äußerst
belastend. Ein neues robotergestütztes und optisch präzise überwachtes
Laserverfahren des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen
soll künftig schonende, vibrationsfreie und nahezu lautlose Kraniotomien
im Wachzustand ermöglichen. Das Knochengewebe des Schädels wird dabei mit
kurzgepulster Laserstrahlung abgetragen.

Schon allein der Gedanke an eine Hirnoperation im Wachzustand lässt viele
Menschen schaudern. Betroffene sind mit einem angsteinflößenden Eingriff
konfrontiert: Bei der Kraniotomie – dem Öffnen des Schädels – wird das
Knochenmaterial mit mechanischen Instrumenten abgetragen, was die
Patientinnen und Patienten buchstäblich erschüttert. Immens empfundener
Lärm und starke Vibrationen lösen schweren psychischen Stress aus. Die
Wachoperationen werden daher meist nur dann durchgeführt, wenn für den
Eingriff nur eine kleine Schädelöffnung erforderlich ist – etwa zur tiefen
Hirnstimulation bei schwerwiegenden Bewegungsstörungen. Größere
Kraniotomien, die beispielsweise für das Entfernen von Hirntumoren
notwendig sind, stellen für wache Patienten eine zu große Belastung dar.

Bei Tumor-Entfernungen böte die Möglichkeit zur Interaktion mit den
Patientinnen und Patienten während des Eingriffs eine wichtige
Kontrollmöglichkeit. Gerade wenn für die Sprache und Motorik kritische
Hirnregionen betroffen sind, könnten OP-Teams jederzeit testen, ob das
Entfernen von Gewebe funktionale Defizite auslöst. Dank der
Kontrollmöglichkeit wären unter anderem Tumore radikaler entfernbar, ohne
dabei die Hirnfunktionen zu beeinträchtigen. Perspektivisch bietet dies
die Chance, die Prognose der betroffenen Patientinnen und Patienten zu
verbessern. Ähnlich verhält es sich beim Implantieren von Schrittmachern
für die tiefe Hirnstimulation (THS). Um deren Wirkung gegen schwere
Schüttellähmungen beispielsweise infolge von Parkinson zu optimieren,
müssen die Elektroden zur Hirnstimulation hochpräzise in den betroffenen
Hirnarealen positioniert werden. »Die THS wird heute sehr erfolgreich
gegen Schüttellähmung eingesetzt. Aufgrund der belastenden Wach-
Kraniotomie verzichten aber immer noch viele Betroffene auf den Eingriff,
trotz der Erfolge, die diese Methode zeitigt«, sagt Dr. Achim Lenenbach,
Leiter der Abteilung Lasermedizintechnik und Biophotonik am Fraunhofer
ILT.

Berührungslos operieren

Um die Erfolgschancen auszuschöpfen, gilt es, die Patientinnen und
Patienten bei Wach-Kraniotomien psychisch zu entlasten. Dafür entwickelt
Lenenbach mit seinem Team ein neuartiges, robotergestütztes
Laserverfahren. Der Wechsel von mechanischen Instrumenten zur Lasertechnik
soll nahezu lautlose, vibrationsfreie und damit schonende Kraniotomien
möglich machen, damit neurochirurgische Eingriffe sehr viel häufiger im
Wachzustand erfolgen können als bisher. Zudem soll das Verfahren durch
sensorische Kontrolle des Laserprozesses das Risiko von
Hirnhautverletzungen bei der Kraniotomie minimieren und den postoperativen
Heilungsprozess verbessern.

Mit diesem Ziel entwickelt das Team im Projekt STELLA einen effizienten,
sicheren und weitestgehend automatisierten Laserschneidprozess.
Kernkomponente ist ein CO2-Laser mit 120 Nanosekunden (ns) kurzen
Laserpulsen. Die kurzen Pulse stellen sicher, dass keine
Karbonisationseffekte infolge von Wärmeeintrag an den Schnittkanten
auftreten. Denn thermische Schäden am Knochengewebe behindern den
Heilungsprozess. Durch die kurze Einwirkdauer entfernen die ns-Pulse das
Hartgewebe, ohne das umliegende Gewebe nennenswert zu erhitzen. Das neue
Laserverfahren hinterlässt saubere und thermisch unbeeinträchtigte
Schnittränder. Doch im Klinikalltag kommt es auch auf die Effizienz an.
»Wir erreichen aktuell Abtragraten von 1,6 Kubikmillimetern pro Sekunde
(mm³/s)«, berichtet Lenenbach. Für die klinische Anwendung bedürfe es im
Sinne eines effizienten Schneidprozesses 2,5 mm³/s. Um das zu erreichen,
setze man auf einen auf den Knochenschneidprozess abgestimmten
Festkörperlaser.

Umstellung auf einen am Fraunhofer ILT entwickelten Festkörperlaser

Bisher erfolgte die Strahlführung des CO2-Lasers über einen
Gelenkspiegelarm. Doch im Sinne erhöhter Effizienz, Reproduzierbarkeit und
Flexibilität hat das Fraunhofer-Team das Laser-Kraniotom mit einem
fasergeführten Festkörperlaser ausgestattet, der 100 ns kurze Laserpulse
im mid-infraroten Spektralbereich um 3 µm emittiert. »Licht mit dieser
Wellenlänge wird sehr gut von Knochengewebe absorbiert, kann in einer
Faser geführt werden und ist somit leichter mit dem Roboter kombinierbar
als CO2-Laserstrahlung«, sagt der Experte. Außerdem könne die Kombination
mit dem Roboterarm den Weg zu weiteren medizinischen Anwendungen ebnen.
Interessant sei dies unter anderem für Eingriffe an der Wirbelsäule, die
wegen der Nähe zum Rückenmark riskant sind. Durch den sensorisch
kontrollierten Kurzpulslaserprozess lasse sich das Risiko minimieren.

Da die für das Laser-Kraniotom gefragte Kurzpulslaserquelle mit 3 µm
Wellenlänge und 100 ns Pulsdauer kommerziell nicht erhältlich ist,
entwickelt sie die Abteilung Laser und Optische Systeme des Fraunhofer ILT
gemeinsam mit Industriepartnern. So rücken die avisierten Abtragraten ohne
thermische Schädigung des umliegenden Hartgewebes in greifbare Nähe.

Sensorische Überwachung des Laserschneidprozesses

Um sicherzustellen, dass der Laserstrahl tatsächlich nur Knochengewebe
abträgt und die darunterliegenden Strukturen wie die Hirnhaut oder das
Rückenmark unversehrt bleiben, wird der Laserschneidprozess durch ein OCT
(Optical-Coherence-Tomography)-Messsystem überwacht. Ein dem Schneidstrahl
überlagerter OCT-Messstrahl ermittelt die lokale Schnitttiefe und
Restdicke des Knochens. Unmittelbar vor dem Durchtrennen des Knochens
stoppt der Prozess. Die verbleibende feine Knochenlamelle kann danach mit
geringem Kraftaufwand ohne Verletzungsrisiko aus dem Verbund gelöst
werden. Der präzise geregelte Knochenabtrag sorgt für einen wirksamen
Schutz des Gewebes unter dem Schädel oder im Spinalkanal. »Dafür wertet
Software die prozesssynchron aufgenommenen Sensorsignale kontinuierlich
aus und übermittelt die Ergebnisse an die Echtzeitsteuerung des
laserchirurgischen Systems«, erläutert Lenenbach. Zudem zeigt die Inline-
OCT-Sensorik den Operateuren an, wie der Abtrag des Knochengewebes
voranschreitet. Sie können nach Abschluss des fast lautlosen
Schneidprozesses den gelösten Schädeldeckel abheben, um mit dem
neurochirurgischen Eingriff zu beginnen. Danach wird der Knochendeckel
wieder eingesetzt und wächst dank des schonenden Laserschneidverfahrens
schnell wieder mit dem umliegenden Gewebe zusammen.

Virtuelles Systemmodell

Ein virtuelles Systemmodell des Laserkraniotoms ermöglicht es dem Team
während des Entwicklungsprozesses, etwaige technische Störeinflüsse im
Ablauf der Kraniotomie zu untersuchen sowie den Einfluss einzelner
Systemkomponenten ohne Modifikation der Hardware virtuell zu testen. So
konnte es alternative Scanner-Modelle erproben, den Prozess wahlweise mit
einem automatisierten Stereotaxie-System oder auch mit einem
kollaborativen Roboter durchführen und das virtualisierte System auf diese
Weise sehr effizient optimieren. »Die Virtualisierung ist für uns
mittlerweile ein sehr wichtiges Werkzeug, um laserbasierte
Operationssysteme zu designen, zu testen und sie Schritt für Schritt an
die klinische Praxis heranzuführen«, bilanziert Lenenbach. Für effiziente
Entwicklungsprozesse sei das digitale Prototyping ein wichtiges Werkzeug.
STELLA-Demonstrator auf der MEDICA 2024

Interessierte können sich vom 11. bis 14. November 2024 auf der Leitmesse
MEDICA in Düsseldorf über die Technologie informieren. Das Team des
Fraunhofer ILT wird auf dem Fraunhofer-Gemeinschaftsstand in Halle 3 Stand
E74 den STELLA-Demonstrator präsentieren.

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