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VW - Wirtschaftspolitik: Deutsche Industrie steuert in eine Sackgasse

Es läuft nicht mehr rund bei VW. Volkswirt Prof. Dr. Tim Lohse von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sagt in einem Interview, es brauche dringend politische Veränderungen statt Subventionen und eine neue Strategie für die deutsche Industrie.  Sylke Schumann  Sylke Schumann / HWR Berlin
Es läuft nicht mehr rund bei VW. Volkswirt Prof. Dr. Tim Lohse von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sagt in einem Interview, es brauche dringend politische Veränderungen statt Subventionen und eine neue Strategie für die deutsche Industrie. Sylke Schumann Sylke Schumann / HWR Berlin
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Es läuft nicht mehr rund bei VW. Volkswirt Prof. Dr. Tim Lohse von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sagt in einem Interview, es brauche dringend politische Veränderungen statt Subventionen und eine neue Strategie für die deutsche Industrie.  Sylke Schumann  Sylke Schumann / HWR Berlin
Es läuft nicht mehr rund bei VW. Volkswirt Prof. Dr. Tim Lohse von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sagt in einem Interview, es brauche dringend politische Veränderungen statt Subventionen und eine neue Strategie für die deutsche Industrie. Sylke Schumann Sylke Schumann / HWR Berlin

Volkswirt Prof. Dr. Tim Lohse von der Hochschule für Wirtschaft und Recht
Berlin hält veraltete Innovationspotenziale für Kernproblem deutscher
Industrie. Ein Interview über die Krise bei VW, notwendige politische
Veränderungen statt Subventionen und eine neue Innovationsstrategie für
die deutsche Industrie.

Zur Person

Prof. Dr. Tim Lohse ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) und Research
Affiliate am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen
in München. Er forscht und publiziert unter anderem zu europäischer
Steuer- und Arbeitsmarktpolitik sowie volkswirtschaftlichen Strategien in
Abhängigkeit von Entwicklungen auf internationalen Märkten.

Prof. Lohse, wie bewerten Sie als Volkswirt die Entscheidung von
Volkswagen, trotz eines hohen Gewinns von über 22 Milliarden Euro im
vergangenen Jahr und 10 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2024, drei der
zehn Werke in Deutschland schließen zu wollen?

Der Blick zurück auf vergangene Erfolge hilft nicht. Der Konzern muss nach
vorne schauen – und da sieht es für die erfolgsverwöhnten Niedersachsen
nicht gut aus. Die Börse, an der bekanntlich die Zukunft gehandelt wird,
spricht eine klare Sprache: Die Marktkapitalisierung beträgt heute nur
noch rund 50 Milliarden Euro. Sie ist seit 2021 kontinuierlich gesunken
und liegt mittlerweile unter dem Buchwert.

Was heißt das für den Konzern VW?

Der Konzern muss in vielerlei Hinsicht umsteuern. Der Abbau von
Fertigungskapazitäten, die ohnehin nicht ausgelastet sind, ist da
sicherlich eine der möglichen Maßnahmen. Zur Wahrheit gehört aber auch,
dass das Lohn- und Gehaltsniveau bei VW weit überdurchschnittlich ist. In
Zeiten sprudelnder Gewinne war dies finanzierbar, zukünftig aber
vielleicht nicht mehr.

Inwiefern wird die angekündigte Schließung von VW-Werken Ihrer Meinung
nach die deutsche Automobilindustrie insgesamt beeinflussen, insbesondere
im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft im Vergleich zu
internationalen Konkurrenten, vor allem aus China?

Die Automobilindustrie in Deutschland steht vor großen Herausforderungen.
Ein Kernproblem ist, dass die Innovationspotenziale unserer Industrie in
Bereichen liegen, die an Bedeutung verlieren. Hierzu zählt insbesondere
das Knowhow rund um den Verbrennungsmotor, welches in China in der Form
nicht vorhanden ist, bei einem Wandel zur E-Mobilität aber auch keine
Rolle mehr spielt. Von immer größerer Bedeutung sind hingegen die
Batterietechnik, die in Deutschland unterentwickelt ist, aber auch die
Digitalisierung im Auto.

Weshalb klemmt es im Getriebe von VW?

Den Neubau einer Batteriefertigungsfabrik hat VW mangels ausreichender
Nachfrage nach seinen E-Autos jüngst abgeblasen. Und der Versuch vom VW,
mit CARIAD eine eigene Software-Lösung für seine Autos zu entwickeln, ist
nach Jahren letztlich gescheitert. All dies ist nicht unbedingt Ausweis
großer eigener Innovationskraft. Im europäischen Vergleich ist VW da
übrigens nicht alleine. Stellantis, der französische Mutterkonzern, unter
anderem von Opel und Fiat, hat ähnliche Probleme.

Welche Auswirkungen erwarten Sie auf den deutschen Arbeitsmarkt,
insbesondere in Bezug auf die Arbeitslosenquote, wenn Zehntausende von
Arbeitsplätzen bei Volkswagen wegfallen? Wird dieser massive Stellenabbau
Signalwirkung haben und andere Autobauer in Deutschland nachziehen?

Etwaige Werkschließungen von VW werden sich auf den Arbeitsmarkt insgesamt
nur wenig auswirken. Perspektivisch werden in Zeiten von Fach- und
Arbeitskräftemangel entlassene Beschäftigte andere Anstellungen finden.
Der Umbruch selbst wäre für die Betroffenen persönlich natürlich drastisch
und für Niedersachsen, wo sieben der zehn deutschen Werke stehen, unter
Umständen erheblich. Ob man aus dem Fall VW auch auf andere deutsche
Hersteller schließen kann, bleibt abzuwarten. VW hat sich in Sachen
Elektromobilität deutlich weiter aus dem Fenster gelehnt als BMW und
Mercedes. Diese haben zwar auch mit rückläufigen Absatzzahlen zu kämpfen,
sind aber hinsichtlich der Antriebsart breiter aufgestellt. Insgesamt ist
aber wohl zu erwarten, dass der Automobilsektor an volkswirtschaftlicher
Bedeutung verlieren wird.

Wie schätzen Sie die Verhandlungen zwischen Volkswagen und den
Arbeitnehmervertretungen ein? Glauben Sie, dass diese Gespräche zu einer
Lösung führen können, die sowohl die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des
Unternehmens als auch die Arbeitsplatzsicherheit der Mitarbeiter
berücksichtigt?

Aufgrund der starken Stellung von Niedersachsen bei VW werden die
Gespräche sicherlich das Management in seiner Entscheidung beeinflussen.
Da aber im großen VW-Reich zu viele unterausgelastete Fabriken existieren,
werden dann eben Standorte jenseits von Deutschland betroffen sein. Das
Werk im belgischen Brüssel gilt seit Jahren als Problemfall; ihm droht
schon länger die Schließung. Die beste Arbeitsplatzsicherheit bietet
hingegen nicht eine staatliche Garantie, sondern ein Produktportfolio, das
Kundinnen und Kunden gerne kaufen. Das scheint bei VW nicht mehr der Fall
zu sein. Das ist die entscheidende Frage für das VW Management.

In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen: Welche Maßnahmen sollten Ihrer
Meinung nach von der Regierung oder anderen Institutionen ergriffen
werden, um die negativen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und den
Arbeitsmarkt abzumildern?

Viele werden jetzt nach Absatzhilfen für von VW produzierten Autos rufen.
Das wäre eine fiskalisch teure Maßnahme mit sehr begrenztem Effekt.
Erstens bergen staatliche Kaufanreize stets die Gefahr von
Mitnahmeeffekten (man wollte das Auto ohnehin kaufen, jetzt gerne mit der
Hilfe). Zweitens ist unklar, ob eine solche Prämie Autokäuferinnen und
-käufer entlastet oder gänzlich vom Hersteller eingestrichen wird. Und
drittens ist der deutsche Markt viel zu klein, um einen strukturellen
Nachfragerückgang zu beheben.

Was wäre also aus volkswirtschaftlicher Sicht angebracht?

Die Politik sollte stattdessen ein ganz anderes, viel größeres Problem
angehen: die drohende Abschottung des US-amerikanischen und des
chinesischen Automarktes. Beide Länder haben beschlossen, Autos mit
Software aus dem jeweils anderen Land nicht mehr zuzulassen. Die
chinesische Volvo-Tochter Polstar fürchtet bereits, den Betrieb in den USA
einstellen zu müssen. Für weltweit operierende Konzerne wie VW ist diese
De-Globalisierung ein Alptraum, weil er zum Beispiel Exporte der in China
von VW gefertigten Fahrzeuge in die USA erschwert oder sogar unmöglich
macht. VW, wie aber auch alle anderen Hersteller, muss nun für jeden der
beiden großen Märkte eigene Fahrzeuge entwickeln. Die jüngst geschlossene
Kooperation mit dem US-Softwareunternehmen Rivian wäre für China gänzlich
hinfällig.

Hat die Autoindustrie wegen der vergleichsweise hohen Kosten,
beispielsweise für Energie, und der üppigen Verwaltung in Deutschland
überhaupt noch eine Zukunft? Kann sich Deutschland ein Subventionsfass
ohne Boden für den Erhalt von Zehntausenden Arbeitsplätzen in der
Autoindustrie leisten?

Die Politik hat es der Autoindustrie – aber auch anderen
Wirtschaftszweigen – in den letzten Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) nicht
leichtgemacht. Deutschland wird in internationalen Standortrankings nach
hinten durchgereicht. Die Problemfelder sind bekannt, und hohe
Energiekosten sowie eine überbordende Bürokratie im föderalen nicht-
digitalisierten Deutschland sind ein Standortnachteil. Hiergegen helfen
keine Subventionen, sondern nur politische Veränderungen.

Herr Prof. Lohse, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für
Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) ist eine
fachlich breit aufgestellte, international ausgerichtete Hochschule für
angewandte Wissenschaften, einer der bundesweit größten staatlichen
Anbieter für das duale Studium und im akademischen Weiterbildungsbereich.
Sie sichert den Fachkräftebedarf in der Hauptstadtregion und darüber
hinaus. Rund 12 000 Studierende sind in über 60 Studiengängen der
Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts-, Ingenieur- und Polizei- und
Sicherheitswissenschaften sowie in internationalen Master- und MBA-
Studiengängen eingeschrieben. Die HWR Berlin ist die viertgrößte
Hochschule für den öffentlichen Dienst in Deutschland und mehrfach
prämierte Gründungshochschule. Über 700 Kooperationen mit Partnern in der
Wirtschaft und im öffentlichen Dienst garantieren den ausgeprägten
Praxisbezug in Lehre und Forschung. 195 aktive Partnerschaften mit
Universitäten auf allen Kontinenten fördern einen regen
Studierendenaustausch und die internationale Forschungszusammenarbeit. Die
HWR Berlin ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for
Excellence“ und unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz
„Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

http://www.hwr-berlin.de

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